Erst pauken, dann schießen

Es ist ruhiger geworden in Wald und Feld. Es ist Schonzeit für fast alle Tierarten, denen Jäger ansonsten nachstellen. Doch während sich die Tierwelt ums Aufziehen ihrer Nachkommen kümmert, sind manche Menschen schon wieder auf der Pirsch: Nicht um zu erlegen, sondern um alles rund um die Jagd zu lernen. Denn nur wer im Besitz eines Jagdscheins ist, darf Wildtiere erlegen.
In den frühen Morgenstunden macht sich Ursula Zieten auf den Weg. Sie will noch vor dem Morgengrauen den Hochsitz am Waldrand erreichen. Denn das Rotwildrudel könnte bereits auf der Wiese stehen, und sie will es schließlich nicht mit ihrer Ankunft vertreiben.
Zieten kennt das Rudel. Viele Jahre lang hat sie die Tiere beobachtet. Sie kann nicht nur die Alttiere, die (einjährigen) Schmaltiere und die Kälber voneinander unterscheiden, sondern auch die einzelnen Individuen. „Das müssen Jäger können“, unterstreicht sie. Und Zieten ist schließlich Jägerin.
Genauso müssen Jäger die Sozialstruktur innerhalb des Rudels kennen und verstehen lernen. „Beim Rotwild steht immer ein weibliches Tier mit Kalb an der Spitze“, ist eines der unzähligen Details, die Ursula Zieten ihren Schülern vermittelt. Frauen und Männer, die das Jägerhandwerk erlernen, bildet sie gerade gemeinsam mit sieben anderen Dozenten zum Jungjäger aus.
Warum es so wichtig ist, ein Leittier von den anderen Alttieren unterscheiden zu können? Ganz einfach: Selbst wenn nach der Schonzeit ab Mai wieder Kälber geschossen werden dürfen, so werde es für die Struktur im Rudel problematisch, wenn es just das Kalb des Leittieres träfe. „Ohne Kalb verliert ein Leittier sofort die Rudelführung“, sagt die erfahrene Jägerin.
Wer den Jagdschein erwerben will, muss sich also ordentlich ins Zeug legen. Pauken ist angesagt. Ein Jahr lang dauert die Ausbildung beim Jagdverein, und vieles davon ist purer Lernstoff. Jagdrecht, Wildkunde, Naturschutz, Waffenkunde – kaum ein Thema werde ausgelassen, wenn es darum geht, Menschen, die sich schließlich samt Schusswaffe in der Wildnis aufhalten wollen, darauf umfänglich vorzubereiten. Zu verantwortungsvoll sei die Jagd, versichert Ursula Zieten.
Dabei gibt es ohnehin reichlich Einschränkungen, wenn es ums Erlegen von Wildtieren geht. Nicht nur die Schonzeiten zählen, die Wochen, während derer Elterntiere ihre Jungen aufziehen. Darüberhinaus schränken viele einzelne gesetzliche Vorgaben Jagdzeiten und Jagdmethoden ein. So ist es beispielsweise verboten, Rehe nachts zu erlegen. Und natürlich enthält das Jagdgesetz zudem Paragrafen, die die Jagd verbieten, wenn durch sie Menschen gefährdet wären.
Es beinhaltet zudem reichlich Restriktionen, die neben dem Schutz der Bevölkerung auch schonungslose Praktiken bei der Jagd verhindern sollen. Wie kommt es, dass es dennoch immer wieder zu Beschwerden aus der Bevölkerung oder von Naturschützern kommt? „Das ist wie im Straßenverkehr“, sagt Zieten. „Da gibt’s auch Leute, die Vorschriften und Verbote einfach missachten.“
Eine Menge Stoff
Viel Stoff also, der da gepaukt werden muss. Deshalb dauert die Ausbildung auch an die zehn Monate. Zweimal die Woche gibt’s Unterricht, samstags geht’s auf den Schießstand der Usinger Jägervereinigung zum „Üben bis zum Umfallen“, wie es die Ausbilderin den Schülern gleich am Anfang angekündigt hat. Und dazwischen geht es auf Exkursionen durchs Revier, um die Kenntnisse um Flora und Fauna zu vertiefen.
Am Ende steht die Prüfung. Weil die Anforderungen hoch sind, wird sie in drei Abschnitten auf drei Tage verteilt: schriftlich, mündlich und praktisch, und die Schießprüfung mit verschiedenen Waffen. Die Prüfrichter werden von der Jagdbehörde entsandt und dürfen selbst nicht ausbilden.
Nicht jeder, der den Jagdschein erwirbt, beabsichtige, später auch auf Wildtiere zu schießen, sagt Zieten. Vor allem Frauen hätten ihr schon öfter diesen Verzicht angekündigt.
Was aber bewegt Menschen dann wohl, sich einer Jagdausbildung zu unterziehen? „Bei mir war’s der Wunsch nach einem Hund von derselben Rasse, wie ihn mein Vater hatte, der Jäger war“, verrät Ursula Zieten. Weil es sich aber um eine Jagdhundrasse handelte, musste der Hund auch „jagdlich geführt“ werden. Und so landete Zieten auf Umwegen bei der Jagdausbildung. Heute leitet sie selbst entsprechende Lehrgänge, und sie geht auch auf die Jagd – stets mit respektvollem Blick auf das Leben der Wildtiere und deren Sozialgefüge.
Viel über Natur gelernt
„Man sammelt unheimlich viel Wissen über die Natur und ihre Zusammenhänge“, sagt Jägerin. „Das ist auch für mich das Faszinierende an der Jagd.“ Warum Ursula Zieten trotz ihrer offensichtlichen Ehrfurcht vor dem Wildleben in freier Natur in der Lage ist, auf ein Tier zu schießen? „Mir ist klar, dass die Wildbestände nun einmal unter Kontrolle gehalten werden müssen, nachdem sie keine natürliche Feinde mehr haben.“
Auf dem Schießstand der Usinger Jagdvereinigung, wo Dirk Klopsch den potentiellen Jungjägern das Schießen beibringt, trainieren auch zwei junge Frauen. Was treibt sie auf die Jagd?
„Die Nähe zur Natur“, sagt Lilly Lauer. „Man entdeckt und erfährt so viel Neues“, strahlt die Mittzwanzigerin. Ihr Mitschüler Dominik Stähler, der schon mal geschlachtet hat, denkt dabei an die Verantwortung für das Lebensmittel Fleisch. „Wild ist viel naturbelassener als Zuchttiere.“ Tierarzt Sven Denzel sieht in der Jagdausbildung eine Ergänzung zu seinem Beruf. „Dann weiß ich, wie die Tiere in der Wildnis leben, und kann manche Zusammenhänge besser nachvollziehen.“ Und, räumt der Karbener ein, Rehbraten schmecke einfach naturbelassener.