Tunnelblick in die Zukunft

Zahlreiche Züge passieren ihn jeden Tag, für die Fahrgäste ist er ein schwarzes Loch - verbunden mit einminütiger Dunkelheit. Über den Hasselborner Tunnel zwischen Grävenwiesbach und dem Waldsolmser Ortsteil wird derzeit viel diskutiert.
Sanierungskosten in Millionenhöhe stehen im Raum, damit das 1912 eröffnete Verkehrsbauwerk fit für die Zukunft gemacht werden kann. Aber wie sieht es eigentlich im Tunnel aus - und welche Sanierungen müssen in den kommenden Jahren angegangen werden? Die TZ begab sich mit Fachleuten zum Ortstermin in die 1320 Meter lange Röhre mit großer Geschichte, vielen Überraschungen - und sehr schmalen Nischen. Der stetig stärker werdende Luftzug ist ein erstes Indiz für einen radikalen Wechsel der Perspektive: Die sonst scheinbar so gemächlich und harmlos tuckernde Taunusbahn wirkt im spärlich beleuchteten Hasselborner Tunnel plötzlich ganz anders. Bedrohlich. Während sich die Scheinwerfer nähern, zeigt sich, wie eng das so breit wirkende und 1320 Meter lange Gewölbe plötzlich sein kann. Selbst in den Fluchtnischen, die alle 25 Meter in die Wand eingelassen sind, fühlt man sich als Nicht-Bahner unwohl, während der Triebwagen auf seiner Fahrt von Grävenwiesbach nach Hasselborn wenige Zentimeter von den Fußspitzen entfernt vorbeirauscht. Ein Kurzzug. Mit reduzierter Geschwindigkeit wohlbemerkt – auch wenn es nicht so wirkt. Wie kraftvoll die kleinen gelben Kuschelzüge sind, zeigt sich einige Meter weiter. Ein sauber zerteiltes Wiesel liegt beidseits eines Gleises.
Es sind Eindrücke, die man bei der rund einminütigen Durchfahrt so nicht sammeln kann. Der Tunnel, zwischen 1910 und 1912 gebaut, sollte später dem „Führerzug“ als Unterschlupf dienen und wurde noch im Krieg zu einer Fabrik für Flugzeuge umgebaut. Heute wirkt er durch die Scheibe betrachtet monoton schwarz. Im Schein der eigens zum Ortstermin eingeschalteten funzligen Beleuchtung und dank der unterstützenden Taschenlampen, bietet sich zu Fuß ein anderes Bild. Ein Mosaik aus Ziegeln, Beton und Ablagerungen. Insgesamt besteht der Tunnel aus 160 Bauabschnitten – „Blöcken“ – jeder acht Meter breit. Im Laufe der Jahrzehnte sind viele Stellen geflickt worden – in anderen Bereichen dringt Wasser aus den Wänden, an manchen Tagen „regnet“ es sogar.
50 000 Liter Wasser pro Tag
Die Statik macht den Fachleuten keine Sorgen. „Das zeigen auch die regelmäßigen Untersuchungen“, weiß Jochen Fink, Leiter Infrastrukturmanagement der Hessischen Landesbahn (HLB) zu berichten. Alle drei Jahre werde das Bauwerk überprüft. Doch auch wenn das Gestein fest ist: Die Dichtung in einigen Blöcken ist beschädigt. Wasser dringt durch die alten Ziegel, durchweicht und zerstört nach und nach die Fugen. Um die Dimensionen zu veranschaulichen: Jeden Tag müssen von der hundert Jahre alten Drainage 50 Kubikmeter Wasser – 50 000 Liter – abgeleitet werden. Dafür gibt es sogar ein eigenes Kanalnetz unterm Gleisbett.
Nicht zu unterschätzen sei natürlich auch die Gefahr, die der kommende Winter wetterbedingt mit sich bringen könnte. Frank Denfeld, Geschäftsführer des Eigentümers der Strecke, des Verkehrsverbundes Hochtaunus (VHT), sagt dazu: „Bei Frost bildet das austretende Wasser teilweise Eiszapfen am Gewölbe sowie Eisplatten am Boden. Durch den Luftzug der vorbeifahrenden Züge können diese Zapfen abfallen, so dass eine Gefährdung nicht ausgeschlossen ist und wir Maßnahmen für erforderlich halten, die eine Sicherheit verbessern.“
Von den 160 Blöcken sind 15 geschädigt und müssen dringend mit einer neuen Abdichtung versehen werden, 34 weitere haben ebenfalls Mängel und sollen bald neu abgedichtet werden. „Wenn diese Maßnahmen gemacht werden, sollte der Tunnel aber fit für weitere 50 Jahre sein“, erklärt Fink. Geht es nach dem VHT, würden die Arbeiten zwischen 2016 und 2021 erledigt werden. Denfeld: „In diesem Jahr müssen wir glücklicherweise keine Notfallmaßnahmen durchführen, wir haben also die Zeit, die Arbeiten sorgfältig zu planen und die entsprechende Finanzierung zu klären.“
Die Krux: Die Sanierung ist aufwendig. Allein für zwei Elemente, deren Gewölbe zu Testzwecken instandgesetzt wurden, mussten rund 140 000 Liter Material eingebracht werden. Eine Spezialmischung. Denn so ärgerlich das Wasser auch ist: Es muss mit Bedacht behandelt werden – das Gebiet des unter der Kreisgrenze verlaufenden Tunnels liegt in einem Wasserschutzgebiet. Fink: „Da scheiden viele Materialien aus, die andernorts verwendet werden.“ Auch der Untergrund muss vorbereitet werden und eine Abdichtplane eingezogen werden. Während der Sanierung muss außerdem ein Gebläse bereitstehen und ein Materiallager außerhalb des Tunnels eingerichtet werden. Fink: „Allein die Kosten für die jeweilige Einrichtung der Baustelle bewegen sich im sechsstelligen Bereich.“
Aufwendige Arbeiten
Und was wird die Sanierung der 49 Blöcke insgesamt kosten? Darauf wollen sich Fink und Denfeld nicht genau festlegen, das Volumen wird aber schätzungsweise bei rund 10 Millionen Euro liegen. Eines ist klar: Für die Arbeiten muss schweres Gerät geordert werden, etwa spezielle Baumaschinen, die auf Gleisen fahren können. Denfeld: „Diese müssen teilweise von weit her beschafft werden.“
Die Arbeiten werden nach Möglichkeit in die Sommerferien gelegt. Denn ein paralleler Zugbetrieb ist nicht möglich. Dafür soll in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet werden. Eine echte Alternative für die aufwendige Sanierung gibt es laut Denfeld und Fink nicht, wenn der Tunnel langfristig erhalten werden soll. „Natürlich könnten wir übergangsweise auch nur konservatorische Maßnahmen durchführen – aber auch die sind teuer und sichern nicht den dauerhaften Erhalt des Bauwerks “, sagt Fink und ergänzt: „Wenn wir zu lange warten, müsste der Tunnel länger gesperrt werden, weil mehr getan werden muss.“ Im schlimmsten Fall könnte irgendwann sogar die komplette Schließung drohen. Daher ist es in den Augen der beiden notwendig, dass die 15 Problemblöcke schon 2016 saniert werden.
500 Fahrgäste
500 Fahrgäste nutzen die 40 Verbindungen werktäglich, Tendenz steigend, heißt es beim Hochtaunuskreis. Dass die Strecke eine Zukunft hat, davon sind alle Beteiligten überzeugt. Die Rahmenbedingungen und die Finanzierung will Denfeld am liebsten noch in diesem Jahr geklärt wissen. Und dafür müssen sich VHT, RMV, das Land sowie Hochtaunus- und Lahn-Dill-Kreis einig werden. „Sowohl der VHT als auch der Lahn-Dill-Kreis erwarten, dass RMV und das Land Fakten schaffen“, sprich finanzielle Zusagen abgeben. Denfeld: „Eine Voraussetzung für die Umsetzung der Maßnahme ist eine langfristige Bestellgarantie für den betreffenden Streckenabschnitt durch den RMV.“ Dort stößt man auf offene Ohren. „Für die Anbindung der Region und auch für den gesamten Verbund ist die Taunusbahn in ihrer Gesamtheit ein wichtiger Baustein. Selbstverständlich gehört dazu auch die Bestellung von Zugfahrten nach Brandoberndorf.“ Auch nach der Elektrifizierung der Strecke bis Usingen werde es direkte Fahrten zwischen Brandoberndorf und Frankfurt Hauptbahnhof im Berufs- und Schülerverkehr geben und tagsüber mit Anschluss zur S-Bahn in Usingen“, sagt RMV-Sprecher Sven Hirschler. Eine Umstellung von Bahn auf Busbetrieb wäre laut RMV „möglich, aber nicht sinnvoll“. Dies zeigten auch vergleichbare Projekte bundesweit. „Sicherlich ist der Bus eines der attraktivsten Verkehrsmittel, doch erfüllt der Schienenverkehr auf diesem Abschnitt eine sehr wichtige Funktion in der Infrastruktur der Region.“ Auch Hochtaunus-Landrat Ulrich Krebs (CDU) bezieht klar Stellung: „Um die Strecke der Taunusbahn im gesamten noch ein ganzes Stück weiter nach vorne zu bringen, muss auch die Tunnelsanierung in den Blick genommen werden. Hierzu haben wir nun die notwendigen Untersuchungsergebnisse vorliegen und können gemeinsam mit allen Beteiligten fundierte Gespräche führen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass der ländliche Raum sichtbar bleibt. Hierzu braucht es Mobilität und Erreichbarkeit“, betont Landrat Krebs. Der, zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, bekommt auch von seinem RMV Lob, Geschäftsführer Professor Ringat betont: „„Unsere Region lebt von den Menschen, die sich in ihr engagieren und diese gestalten. Landrat Krebs ist einer dieser herausragenden Personen. Ein Projekt wie die Taunusbahn wäre ohne ihn fast nicht vorstellbar.“
Kein Wahlkampfthema
Der Lahn-Dill-Kreis ist ebenfalls sehr am Erhalt des Tunnels und der Taunusbahn interessiert, betonte gestern noch einmal der Erste Kreisbeigeordnete Heinz Schreiber (Grüne). „Wir würden ungern darauf verzichten.“ Immerhin gehe es um die schnelle und umweltfreundliche Anbindung des südlichen Kreises an das Rhein-Main-Gebiet. Das „aber“ schwingt mit. „Als Schutzschirm-Kreis gibt es für uns finanzielle Grenzen.“ Man befinde sich jedoch derzeit „in positiven Gesprächen“ mit den anderen Beteiligten, auch mit der Gemeinde Waldsolms. Eine Einigung, noch in diesem Jahr, will Schreiber ausdrücklich nicht ausschließen. Und eines stellt er mit Blick auf das kommende Jahr klar: „Wir müssen das Thema dringend aus dem Wahlkampf heraushalten – und da sind sich wohl alle Beteiligten einig.“