"Wochensplitter" aus Usingen: Herr der eigenen Zeit sein
Am Samstag, 8. September 2001, liebe Leserinnen und Leser, habe ich mich Ihnen in meinen ersten "Wochensplittern" vorgestellt. Heute schreibe ich sie zum letzten Mal und verabschiede mich nach 17 Jahren und neun Monaten.*Resturlaub, freie Tage und zum Ende des Jahres ein runder Geburtstag sollen zum vorgezogenen Ruhestand hinführen. In Haus, Hof und Garten ist einiges liegen geblieben.
Die Familie, der Sport (und das Motorradfahren) werden mehr Platz erhalten. Bald kommt der neue Pössl, der uns samt Fellnase auf Touren bringen wird. Auf jeden Fall (vorerst): keine Verpflichtung, keine Verantwortung, keine Termine, (keine schlaflosen Nächte mehr). Herr der eigenen Zeit sein.*213 Monate sind seit dem 8. September 2001 vergangen, in denen nach Abzug des Jahresurlaubs und von (zum Glück) nur sechs Wochen Kranksein etwa 812 "Wochensplitter" geschrieben werden wollten. Unterm Strich stehen 4872 UA-Zeitungsausgaben. Ein erfüllender Job, mit viel Spaß gemacht, mit immer wieder Erfolg und Anerkennung fürs Produkt.*Nur drei Tage nach der "Wochensplitter"-Premiere erlebten wird den 11. September mit den Terroranschlägen in den USA. Das hat die Welt verändert, wie überhaupt Veränderung, Entwicklung (und Rückschläge) zu bilanzieren sind.*Das gilt auch fürs Tagesgeschäft in der Redaktion. Intern war und bleibt es ein (man kann es durchaus so sagen) stetiger "Kampf" um bessere Arbeitsbedingungen und Personal in einer kriselnden Medienbranche, in der die Suche nach dem Zukunftskonzept ein Dauerauftrag ist - begleitet von technischen und Struktur-Veränderungen im Produktionsablauf. Gut 140 Jahre lang stand beim UA am Ende des Tages ein gedrucktes (Zeitungs-) Produkt, das verteilt werden muss. Das Internet hat alles verändert. Es braucht kein Papier, keine Druckerschwärze, keine Austräger. Web, App und Social Media sind unendlich, zeit- und ruhelos, der Inhalt kurzlebig. Im Mittelpunkt der 17 Jahre und neun Monate stand der Mensch. Drinnen und draußen. Zunächst die Kollegen im Haus und die freien Mitarbeiter als "rasende Reporter"bei Ihnen vor Ort. Es muss gesprochen, diskutiert, entschieden und dann gearbeitet werden. Am Ende ist in der Bilanz zu formulieren: "Eine gute Zusammenarbeit. Danke dafür."*Der Mensch ist Hauptgegenstand der journalistischen Arbeit, der wir uns verschrieben haben. Als einzelner, im Verein, in der Bürgerinitiative, in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in Schule und Kirche, in der Politik (und der Fassenacht. Ulau!). Sie alle kommen mit ihren Interessen uns zu. Not, Missstand, Unrecht, Behördenwillkür, Ungerechtigkeit und drohende Fehlentwicklung sind ein weiteres Themenfeld. Es ist Aufgabe des Journalismus, die Sache zu registrieren, zu bewerten und den Lesern (und Usern) handwerklich gut, richtig und nachvollziehbar zu präsentieren. Menschenkenntnis, Bodenhaftung, Selbstkritik sowie die Abwägung der Wirkung sind unverzichtbar - und dass man selbst bei der "besten Sache" nicht die Distanz verliert. *Das unterscheidet die wertvolle journalistische Arbeit von all dem anderen, was "im Netz" zu finden ist: falsche Fakten, Lügen, Meinungsmache, Hass, Vorurteile, Satire, Unsinn.*Der traditionsreiche Usinger Anzeiger ist vom Familienbetrieb Wagner zum Teil des Medienkonzerns VRM geworden. Groß genug, um mit Investition und Innovation gut in die Zukunft gehen zu können. Eine Aufgabe, für die das UA-Team gut gerüstet ist und guten Journalismus in Print und Online bieten wird. Der gute Journalismus ist wichtig und kostet Geld, ist aber auch sein Geld wert. Das sollte der Gesellschaft wieder bewusst werden. Also: Kauft bitte!*Doch zum letzten Mal die Samstags-Konstante: Morgen ist Sonntag, und der ist der Tag ohne diese Zeitung. Aber am Montag informiert und unterhält Sie ja wieder der Usinger Anzeiger.