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Zu viele bittere Pillen geschluckt

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Erst die Bahn, nun die Apotheken: Am 14. Juni bleiben vielerorts nur die Notdienstapotheken geöffnet.
Erst die Bahn, nun die Apotheken: Am 14. Juni bleiben vielerorts nur die Notdienstapotheken geöffnet. © dpa

Apotheken bleiben am Mittwoch zu - Pharmazeuten protestieren gegen „Sparzwang“

Hochtaunus -Apotheker sind, anders als Piloten oder Lokführer, nicht gerade als rebellischer Berufsstand bekannt. Doch nun wird die Zunft der leisen Töne laut. Denn Dr. Cora Menkens und ihren Kollegen reicht es. „Wir haben ein richtiges Problem, wenn die Bundesregierung die Apotheken weiter so kaputtspart“, sagt die Inhaberin der Hirsch-Apotheke in der Louisenstraße. Es brauche jetzt ein starkes Fanal, denn es fehle die Wertschätzung für diese wichtige Arbeit. Daran müsse sich endlich etwas ändern.

Es sind viele bittere Pillen, die der Zunft schwer im Magen liegen: eine als überzogen kritisierte Bürokratie, die trotz steigender Kosten stagnierenden Honorare und fehlende Medikamente - von drohendem Apothekensterben ist gar die Rede.

Darauf wollen die Pharmazeuten mit einem bundesweiten Protesttag aufmerksam machen, den die deutschen Apothekerverbände und Apothekerkammern im Schulterschluss unter dem Dach der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) initiieren. Am Mittwoch, 14. Juni, werden viele Apotheken in ganz Deutschland deshalb geschlossen bleiben. „Nahezu alle Apotheken in Hessen haben das bei einer Umfrage befürwortet“, sagt Alexander Schopbach, Sprecher des Hessischen Apothekerverbandes. Eine „überwältigende Mehrheit“ wolle sich auch beteiligen und an der zentralen Kundgebung teilnehmen, die in Wiesbaden zwischen 12 und 14 Uhr stattfinden wird.

Nur Notdienstapotheken bleiben offen

„Wir gehen auf jeden Fall auch nach Wiesbaden“, kündigt die Homburger Pharmazeutin Menkens an - und ihr werden wohl die meisten Apotheker im Hochtaunus folgen. Die Arzneimittelversorgung bleibt am 14. Juni zwar aufrechterhalten - schließlich haben die Apotheker einen staatlichen Versorgungsauftrag -, allerdings nur über die Notdienstapotheken (siehe Ende des Textes).

Im Usinger Land ist auch eine Kundgebung geplant. „Wir werden uns nach der Kundgebung in Wiesbaden gegen 16 Uhr vor der Apotheke treffen, die an dem Tag Notdienst leisten muss“, sagt Apothekerin Dr. Schamim Eckert. Die Inhaberin der Glocken-Apotheke in Neu-Anspach ist besorgt: „Die Lage der Apotheken wird immer prekärer; immer mehr schließen.“ Die Zahlen geben der Apothekerin recht. In Hessen gab es zum Stichtag 31. Dezember 2022 insgesamt 1378 öffentliche Apotheken (im Hochtaunuskreis: 57). 2021 waren es landesweit noch 1413. 2017 gab es in Hessen sogar noch 1484 Filialen. Mithin sind in nur fünf Jahren also mehr als 100 Geschäfte für die Versorgung der Bevölkerung weggefallen. Ein bundesweiter Trend: Im europäischen Vergleich rutscht Deutschland bei der Apothekendichte in den statistischen Tabellenkeller. Je weniger Apotheken, desto weiter könnte in Zukunft der Weg zu einer diensthabenden Nacht- und Notdienstapotheke werden.

„Jeden Tag müssen Apotheken schließen“

Woran liegt das? Ein wichtiger Faktor ist die Honorierung der Apotheken bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel - der Fixzuschlag, der zuletzt 2013 geringfügig erhöht wurde. Die Apotheken erhalten pro abgegebene Packung eine prozentuale Vergütung von drei Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis sowie einen Fixzuschlag von 8,51 Euro pro Packung. „Diese Honorierung berücksichtigt nicht die allgemeine Kostensteigerung in den letzten Jahren, die Inflation oder die höheren Tarifabschlüsse für das Apothekenpersonal“, moniert Eckert.

Die Apotheker kritisieren zudem, dass in dieser angespannten Situation der Gesetzgeber im Februar auch noch den Kassenabschlag von 1,77 auf 2 Euro erhöht hat, den die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel gewähren. „Das hat die wirtschaftliche Lage der Inhaber weiter verschärft und ist auch im Hinblick auf den Einsatz, den die Apotheken bei der Bewältigung der Corona-Pandemie erbracht haben, unverständlich“, so Pharmazeutin Eckert.

Das Apothekenhonorar solle trotz Inflation und steigender Kosten für Personal und Energie ab Januar 2023 um 120 Millionen Euro pro Jahr gekürzt werden, kritisiert der Verband.

Krankenkassen: Kritik ist überzogen

Seit Monaten wiesen die Pharmazeuten öffentlich auf die brisante Lage hin, so ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, auch auf die Lieferengpässe. Egal ob Fiebersäfte oder Zäpfchen aus Eigenproduktion - „die Apothekenteams retten jeden Tag Leben, indem sie alternative Präparate für nicht verfügbare Arzneimittel beschaffen“ oder eben selbst herstellen. Alternativen suchen und mit der Arztpraxis telefonieren wegen der Rezeptänderung: eine zeitraubende Tätigkeit, betont Apothekerin Eckert. Für diesen Mehraufwand, so ist es derzeit zumindest geplant, soll es dann lediglich pauschal 50 Cent mehr geben pro Vorgang.

Und bevor der Pharmazeut überhaupt selbst Tinkturen anrühren darf, müsse alles aufwendiger dokumentiert werden als früher. Zu allem Überfluss bleibt der Apotheker mitunter monatelang auf der Forderung sitzen, weil die Krankenkasse wegen eines kleinen Formfehlers bei der Rezeptabwicklung erst mal nicht zahlt, etwa, wenn die Ärztin die Dosis nicht notiert hat.

Aus all diesen Gründen könnten sich Hochschulabsolventen der Pharmazie immer seltener den Gang in die Selbstständigkeit vorstellen, vor allem, weil die wirtschaftliche Perspektive fehle. Sie nähmen lieber besser dotierte Jobs in der Industrie an. Jeden Tag müssten Apotheken schließen, prangert der ABDA an.

Die Krankenkassen halten die Reaktion der Apotheker indes für übertrieben. Für rezeptfreie Medikamente könnten die Pharmazeuten die Preise zum Beispiel selbst festlegen. Und zudem seien mancherorts zwar Apotheken geschlossen worden, dafür gebe es einen Trend zu größeren, umsatzstärkeren Einrichtungen.

Das Bundesgesundheitsministerium kann die Kritik der Apotheker ebenfalls nicht nachvollziehen. In den vergangenen Jahren sei das Einkommen überdurchschnittlich gestiegen - etwa wegen der Pandemie-Leistungen. „Da bei Zertifikaten, Impfstoff- und Therapeutika-Logistik kein Finanzeinsatz, sondern nur Arbeitsleistung erforderlich war, haben sich diese Mehrumsätze besonders stark auf das Betriebsergebnis ausgewirkt“, so das Ministerium. Der Fixzuschlag sei zwar tatsächlich seit längerer Zeit in der Arzneimittelpreisverordnung nicht angepasst worden, jedoch habe es zwischenzeitlich Maßnahmen gegeben, etwa die Einführung einer Nacht- und Notdienstpauschale, die das Apothekenhonorar angehoben hätten.

Diese Apotheken im Taunus bleiben geöffnet

Laut Apothekengesetz haben Pharmazeuten einen staatlichen Versorgungsauftrag und dürfen nicht einfach so schließen. Sie können sich aber von ihren Dienstbereitschaften befreien lassen. Dafür ist der jeweilige Landesverband zuständig, der wiederum unter der Rechts- und Fachaufsicht der jeweiligen Landesregierung steht. Der Hessische Landesverband hält den Streik für angemessen und unterstützt ihn ausdrücklich. Eine detaillierte Liste der Apotheken, die sich beteiligen, gibt es nicht. Kunden sollten aber davon ausgehen, dass alle Apotheken - auch im Taunus - geschlossen sein werden, und sich bei planbarem Medikamentenbedarf frühzeitig eindecken. Am 14. Juni haben folgende vier Notdienstapotheken aber weiterhin geöffnet, um die Versorgung aufrechtzuerhalten:

- Birken-Apotheke, Oberursel, Kurmainzer Straße 85, (0 61 71) 7 18 62,

- Lilien-Apotheke, Friedrichsdorf, Am Houiller Platz 2, (0 61 72) 77 84 06,

- Kur-Apotheke, Alleestraße. 1, Bad Soden, (0 61 96) 23 605,

- Kleeblatt-Apotheke, Neu-Anspach, Rudolf-Diesel-Straße 11, (0 60 81) 96 46 64 6.

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