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Neuer Glanz für Stolpersteine

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Emmanuel Kämpfner brachte die Stolpersteine mit einem Schwämmchen wieder auf Hochglanz.
Emmanuel Kämpfner brachte die Stolpersteine mit einem Schwämmchen wieder auf Hochglanz. © Carmen Erlenbach

Mit Schwamm und Scheuermilch reinigten Pfarrer Thomas Stelzer und vier Konfirmanden die Stolpersteine vor dem Reiß-Haus. Sara und Max Reiß wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Auch Stolpersteine aus Messing, die auf dem Gehweg verlegt sind, müssen mal gereinigt werden. Auf Einladung des Vereins jüdischer Geschichte hatte sich der evangelische Pfarrer Thomas Stelzer aus Walldorf mit den vier Konfirmanden Felix Mittasch, Emmanuel Kämpfner, Florian Best und Lukas Maurer vor dem Haus der jüdischen Geschwister Reiß eingefunden, um mit Scheuermilch und einem Schwamm die Gedenksteine wieder auf Hochglanz zu polieren. Als die jungen Männer in strömendem Regen und vor den Augen einiger Anwesender in die Knie gingen, um die Stolpersteine zu putzen, verneigten sie sich nicht nur zu diesem Zweck – sondern auch vor dem Schicksal, das die drei Geschwister jüdischer Herkunft, die in der Langstraße 37 wohnten, während des Naziregimes einst ereilte.

Das Haus, vor dem die drei goldfarbenen Stolpersteine am 19. April 2008 verlegt wurden, ist eines der ältesten in Walldorf. Obwohl es unter Denkmalschutz steht, wurde es 1976 für unbewohnbar erklärt. Seither steht es leer und verfällt.

Große Landwirtschaft

Die drei Stolpersteine erinnern an Max (geboren 1857), seine 1860 geborene Schwester Ferdinande und seine 1865 zur Welt gekommene Schwester Sara. Bei der Verlegung war noch davon ausgegangen worden, dass sie die einzigen Juden zurzeit des Nationalsozialismus in Walldorf gewesen seien. Dank eifriger Recherchen wurden dann jedoch noch mehr entdeckt.

Die Geschwister Reiß waren ortsbekannt und mit den Reiß-Familien in Mörfelden eng verwandt. Die Geschwister blieben ledig und lebten zusammen in ihrer Hofreite. Ihr landwirtschaftlicher Betrieb war für damalige Verhältnisse recht groß. Sie besaßen in Walldorf, Mörfelden und Umgebung viele Wiesen und Äcker. Sie hielten Federvieh, Ziegen und Pferde. Ferdinande starb 1935 in Walldorf. Ihre beiden betagten Geschwister führten den Hof weiter. Die Nichte Friederike Glückauf, geborene Reiß, aus Frankfurt pflegte sie. 1940 wurde der Besitz der Geschwister von der Finanzverwaltung „sichergestellt“. Seit September 1941 mussten sie, wie alle Juden in Deutschland, den Judenstern tragen.

Haus- und Hofrat verkauft

Am 24. September 1942 wurden Sara und Max Reiß als 77- und 85-Jährige ins Sammellager nach Darmstadt verschleppt. Wegen ihrer Gebrechen hatte die Gestapo einen benachbarten Bauern beauftragt, sie mit seinem Fuhrwerk dorthin zu bringen. Die Geschwister Reiß wurden mit fast 1300 anderen Menschen am 27. September ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort überlebten sie nur kurze Zeit. Sara starb am 6. Oktober, Max am 28. Oktober 1942. Vermutlich sind sie verhungert.

Ihr Besitz wurde größtenteils vom Finanzamt an andere Landwirte verpachtet oder verkauft. Die Wiesen und Äcker wurden an 17 Pächter vergeben. Der Ortsbauernführer erhielt das Vieh, die Ackerwagen und das Gemüse, andere Bauern ernteten das Korn und die Kartoffeln, die nationalsozialistische Volkswohlfahrt verkaufte den Haus- und Hofrat. Die Nähmaschine von Sara wurde nach Polen in das Ghetto Litzmannstadt verschickt. Das Haus der Geschwister Reiß wurde vom Finanzamt Groß-Gerau der Gemeinde Walldorf verpachtet, die es weiter vermietete.

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