Das Rätsel der Rinden-Gesichter im Walldorfer Forst

Bäume dürfen nicht mutwillig beschädigt werden. Doch wenn es sich dabei um kunstvolle und zudem sehr gekonnte Schnitzereien auf der Oberfläche der Rinde handelt, drückt sogar das Forstamt ein Auge zu.
Geheimnisvolle Gesichter wie aus einer anderen Welt. Hat da jemand Langeweile gehabt? Oder wollte er im Forst in Walldorf vielleicht für seine Kinder ein Stückchen Märchenwald schaffen? Die Antwort bleibt offen. Ein Unbekannter hat sich nahe der Kuckuckschneise an der Borke einer Kiefer zu schaffen gemacht und viele zauberhafte Gesichter und Figuren hinein geschnitzt. Er muss Tage, ja Wochen oder Monate damit zugebracht haben und hat ein wahres Kunstwerk hinterlassen. Der Stamm des Nadelbaums von etwa 50 Zentimetern Durchmesser erzählt eine kleine Geschichte – vielleicht ein Märchen von Gnomen, Zwergen, Waldgeistern und der Natur.
Dem Unbekannten kann der Umgang mit Schnitzwerkzeugen nicht fremd gewesen sein – und er muss eine gewisse Ausbildung, zumindest Begabung und Talent mitgebracht haben. Denn selbst Details und kleinste Feinheiten wurden diffizil herausgearbeitet. Er hat in den natürlichen Formen der verschiedenen Borkenschuppen Formen und Figuren gesehen, denen er mit ein paar Handgriffen zur deutlichen Erkennbarkeit auf die Sprünge verholfen hat. So wohnt diesem besonderen Baum nun ein mystischer Zauber inne.
Gezielt Ausschau halten
Diese einzigartige und kunstvolle Kiefer im Wald hinter der Kleingartenanlage (verlängerter Irisweg) ist nicht einfach auszumachen. Sie fällt zwischen den vielen Bäumen nicht auf, was einen gewissen Schutz vor Zerstörung für den kunstvoll verzierten Nadelbaum bedeutet. Nur wer mit offenen Augen durch den Wald läuft und gezielt Ausschau hält, entdeckt das Kunstwerk mit Schnitzereien, die sich rund um den Stamm ziehen. Der Unbekannte hat sogar eine Signatur hinterlassen, die seine Identität jedoch nicht offenbart.
Eigentlich sind Schnitzereien an einem Baum eine Ordnungswidrigkeit, die laut Klaus Velbecker, stellvertretender Leiter des Forstamts Groß-Gerau, mit einer Geldstrafe zwischen 5 und 500 Euro geahndet wird. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. Velbecker meint sogar, in diesem Fall wolle er Gnade vor Recht ergehen lassen. Denn der Schnitzer muss sich nicht nur mit seinem Handwerk, sondern auch mit der Natur und der Beschaffenheit der Kiefer gut ausgekannt haben. Er hat bei seinen handwerklichen Arbeiten nicht etwa das Kambium des Baumes verletzt, das weiße Holz unter der Borke also, sondern äußerst vorsichtig nur die Schuppen des Baumstamms angeritzt. Die Kiefer blieb unverletzt.
Natürliche Beschaffenheit
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Künstler nutzte die natürliche Beschaffenheit der ovalen Schuppen auf der Rinde und verwandelte sie in niedliche Gesichter – mal schauen sie von links oben nach rechts unten, mal umgekehrt. Mal tragen sie spitze Mützchen wie Zwerge, mal keine. Aber auch andere Figuren sind auf der Schutzschicht der eigentlichen Rinde zu erkennen: Eulen, Spechte, ein Pelikan, ein Dinosaurier, eine Echse, ein Steinzeitmensch, ein Vater mit Kind, bizarre Waldgeister und offenbar ein Bischof mit Kreuz.
Prinzipiell erachtet auch Velbecker die besondere Verschönerung des Baums als eine prima Idee. Jedoch sei bei derartigen Arbeiten äußerste Vorsicht geboten, „damit es der Rinde nicht an den Kragen geht“. Und erwischen lassen dürfe sich auch niemand. Früher sei es Brauch gewesen, dass Verliebte ein Herz mit den Anfangsbuchstaben der Vornamen in die Rinde speziell von Buchen geschnitzt hätten. „Da haben wir nie etwas gesagt“, so Velbecker. Es habe sich lediglich um Einzelfälle gehandelt. „Da machen wir mal einen Haken dran“, so der stellvertretende Forstamtsleiter. Mit einer kleinen Gravur habe er keine Probleme.