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Wie ein Charakter vertont wird

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?Lebenslinien? heißt das Kunstprojekt von Inge Besgen, in dem Menschen eine spannende Metamorphose erfahren.
?Lebenslinien? heißt das Kunstprojekt von Inge Besgen, in dem Menschen eine spannende Metamorphose erfahren. © Charlotte Martin

Inge Besgen ist federführende Kraft des Kunstprojekts „Lebenslinien“, in dem Menschen mittels Musik und Malerei eine spannende Metamorphose erfahren. „Lebenslinien 9“ interpretiert heute im Stadttheater erneut vier Charaktere musikalisch.

Von CHARLOTTE MARTIN

Es ist das Menschsein, das sie fasziniert. „Die Frage, wie einer geworden ist, was er ist oder die Frage, was einer hätte sein können. Das sind Gedanken, die mich antreiben, weil sie ans Eigentliche rühren“, sagt Inge Besgen.

Wir besuchen die Künstlerin in ihrem Haus, wo großformatige Bilder ihrer Gravuren, ihrer Hieroglyphen, ihrer rhythmisierten Lautmalerei von der Reduktion aufs Wesentliche künden. Inge Besgen sagt: „Ein Mensch drückt durch seinen Lebensweg seinen Charakter aus. Meine Bilder entstehen im Kopf, entstehen aus Eindrücken – wie einer geht, steht, gestikuliert.“ Wir sind keine fünf Minuten dort und schon mittendrin in der Kunst dieser Grande Dame, deren Gesicht davon kündet, dass sie weiß, wovon sie spricht.

Kein leichter Weg

Sie sagt resolut: „Ich wollte immer gerade gehen. Deshalb habe ich aufgehört, auf andere zu hören.“ Inge Besgen betont: „Wenn einer heute zu mir sagt, dass ich Schuld an diesem oder jenem hätte, nehme ich das zur Kenntnis. Aber es ficht mich nicht an.“ Zu werden, was sie ist, war kein leichter Weg. „Ich habe es mit eisernem Willen geschafft.“

Wenn Inge Besgen über ihre Kunst spricht, spricht sie auch von sich. Und vom Interesse für Lebenswege. „Aufrechte Menschen faszinieren mich.“ Zwischendrin schenkt sie Kaffee ein. „Es geht mir gut. Es war alles schon viel schlimmer.“

Es ist ihre künstlerische Arbeit, die sie befeuert, und so kommen wir auch aufs aktuelle Thema: „Lebenslinien 9“ wird derzeit produziert, eine Frage nach dem Eigentlichen eines jeden Menschen, der Inge Besgen seit 1994 nachspürt. „Daraus ist eine Metamorphose von Worten in Wortanalyse, in Musik und in bildnerischem Schaffen entstanden“, fasst sie zusammen.

Acht Mal wurde das Konzept, dessen federführende Kraft und Ideengeberin Inge Besgen ist, bereits umgesetzt und der Öffentlichkeit hör- und sichtbar gemacht. „Ich wähle vier Menschen aus, die mir in unterschiedlichen Zusammenhängen begegnet sind. Sie erzählen mir, wie sie wurden, was sie sind. Was sie denken, was sie bewegt und was erschüttert oder beglückt“, führt Besgen – übrigens eine famose Zuhörerin und Beobachterin – aus. Kein Lidschlag, der ihr entginge.

Kern herausstreichen

Teils waren bei ihren Lebenslinien-Projekten namhafte Personen involviert – der Altphilologe Ernst Erich Metzner oder Beate Kemfert, Kuratorin der Opelvillen, der Schauspieler Walter Renneisen oder der Rüsselsheimer Ex-Bürgermeister Jo Dreiseitel. Besgen: „Der Psychoanalytiker Rainer Paul, mit dem ich in mehreren Zusammenhängen kooperiere, entwirft anhand der Gesprächsprotokolle unter Beachtung des Inhalts, der Dynamik und sprachlichen Eigentümlichkeit eine Konversationsanalyse. Er reinigt die Worte vom Schleier, streicht den Kern heraus“, erläutert Inge Besgen das Verfahren. Erstes Ziel ist die Vertonung der Charaktere. „In Zusammenarbeit mit Musikern entstehen anhand der Analysen Kompositionen, deren Titel jeweils ein Zitat des Interviews ist“, sagt sie.

Ebenso begeisternd wie irritierend waren auf der Studiobühne 2014 die aus Geräuschen, Brüchen, Atemsequenzen und glasklaren Tönen kreierten Werke von Komponist Felix Leuschner und Sängerin Julia Mihaly. Was Besgen antreibt, ist jeweils die Freisetzung des Menschen in Kunst. „Es folgt eine Zeit, in der ich in den Kompositionen lebe, sie quasi aufsauge. Ich mache Skizzen der Rhythmisierung, bevor mein Bild des vertonten Menschen entsteht“, sagt Besgen.

Bei „Lebenslinien 9“ zeichnen diesmal Musikstudenten der Monash Universität Melbourne – Schüler des Komponisten Stefan Hakenberg – verantwortlich. „Ich kenne die Musiken niemals im Voraus“, sagt Inge Besgen. Schweigt jetzt, als horche sie sinnierend die Stille aus.

Die „Lebenslinien 9“ sind am morgigen Mittwoch, 2. Dezember, von 20 Uhr an auf der Studiobühne des Stadttheaters Rüsselsheim zu sehen.

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