Ein Gericht im eigenen Haus

Werner Steidl ist seit 37 Jahren Vorsteher des Ortsgerichtes Raunheim. Er erledigt Amtshandlungen zu Hause. Mit Anna Kollmann erhält er nun eine neue Schöffin an seine Seite.
Werner Steidl ist Ortsgerichtsvorsteher und seit sechs Jahren Pensionär. Zuvor verdiente er im Rathaus beim Hauptamt und beim Standesamt seine Brötchen. Die Arbeit des Ortsgerichtsvorstehers erledigt er inzwischen am heimischen Schreibtisch. „Man braucht nicht dringend ein Büro“, betont er. Seinen Stempel mit dem Schriftzug Ortsgericht Raunheim am Main und dem Landeswappen, das Stempelkissen und das Tagebuch, in das alle Fälle eingetragen werden, bewahrt er zu Hause auf.
Vierte Amtszeit
Steidl bekleidet das Ehrenamt bereits seit 1980. Im Jahr 2020 läuft seine vierte Amtszeit aus. Ob er weitere zehn Jahre dranhängt, überlegt er sich noch. Die Aufgabe bereitet ihm nach wie vor Spaß, weil er mit vielen Menschen in Kontakt komme und er als Pensionär eine nützliche Tätigkeit ausübe.Steidl beglaubigt Unterschriften auf Dokumenten und Kopien, für die der Besitzer eine öffentliche Beglaubigung benötigt. Unterschriften muss er beispielsweise beglaubigen, wenn Eintragungen aus dem Grundbuch gelöscht werden. Die Unterschriften müssen die Betroffenen in seinem Beisein leisten. Andernfalls müssen sie beweisen, dass es sich um ihre Unterschrift handelt.
Er erteilt Sterbefallsanzeigen an das Amtsgericht und schätzt den Wert von Immobilien und Grundstücken. Das Ortsgericht schätzt den Wert auf Wunsch der Eigentümer. Bei Ehescheidungen erhalten die Schätzungen vor Gericht im Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich der Partner Bedeutung. Die Schätzungen müssen übrigens der Ortsgerichtsvorsteher und zwei seiner vier Ortsgerichtsschöffen vornehmen.
Seit Steidl im Amt ist, hatte er noch nie kniffelige Fälle lösen müssen und noch nie ein Problem mit Personen gehabt. Obgleich sich ein Ortsgerichtsvorsteher über Arbeit nicht beklagen könne.
Bis Weihnachten hatte Steidl für das Jahr 2017 insgesamt 280 Eintragungen in seinem Tagebuch festgehalten. „Da kommt schon einiges zusammen, aber das sind alles keine langwierigen Geschichten“, schränkt er ein. Unter den Eintragungen befinden sich 16 Schätzungen der Schöffen, die ausschließlich für diese Aufgabe zuständig sind.
Einzige Bewerberin
Jetzt erhält das Ortsgericht mit Steidl als Vorsteher eine neue Schöffin. Anna Kollmann tritt die Nachfolge von Manfred Kern an, dessen Amtszeit abgelaufen war und der sich nicht mehr zur Wiederwahl stellte. Kollmann wurde zunächst von der Stadtverordnetenversammlung als Schöffin gewählt. Das Amtsgericht Rüsselsheim muss die Wahl indessen noch bestätigen und sie vereidigen. Der Termin ist noch offen.
Die anderen Mitglieder des Ortsgerichts sind Helmut Draisbach, jetzt von der Stadtverordnetenversammlung wieder gewählt, Ernst Flettner und Mirjam Hänel.
Kollmann war die einzige Bewerberin für das Ehrenamt. „Vielleicht hat sich die Aufgabe sonst niemand zugetraut“, vermutet die 62-Jährige. Sie jedenfalls findet den ehrenamtlichen Job bei der Hilfsbehörde der Justiz interessant. Sie hatte sich zuvor über die Aufgabe informiert. Die Bauingenieurin verdient im Rathaus beim Gebäudemanagement ihren Lebensunterhalt. Das Schätzen des Wertes von Grundstücken und Immobilien sei ihr bei ihrem beruflichen Hintergrund nicht ganz fremd.
Sie rechnet mit einer spannenden Aufgabe und kann gar nicht abschätzen, wie oft sie für das Ortsgericht im Einsatz sein wird.
Anna Kollmann ist seit neun Jahren auch Schiedsfrau, Streitschlichterin für den Schiedsamtsbezirk Raunheim. In dieser Funktion ist sie durchschnittlich fünfmal im Jahr gefordert. 75 Prozent ihrer Fälle beendete sie bisher mit einem Vergleich, bei 25 Prozent wurde eine Sühnebescheinigung ausgestellt, mit der die Betroffenen eine Klage einreichen können.