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Kriminalpsychologe spricht über die Trauer

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Kriminologe Rudolf Egg
Kriminologe Rudolf Egg © Kriminologische Zentralstelle (Kriminologische Zentralstelle)

Es war einer der tragischsten Todesfälle des vergangenen Jahres in der Region: Eine 25-jährige Polizistin wird kurz vor Weihnachten bei einem abendlichen Routineeinsatz wegen eines Wildunfalls

Es war einer der tragischsten Todesfälle des vergangenen Jahres in der Region: Eine 25-jährige Polizistin wird kurz vor Weihnachten bei einem abendlichen Routineeinsatz wegen eines Wildunfalls auf der B 44 zwischen Mörfelden und Groß-Gerau von einem Auto angefahren und stirbt noch am selben Abend im Krankenhaus. Zwei Wochen danach herrscht immer noch Fassungslosigkeit über das Geschehen. Wie Kollegen und Angehörige mit dem Verlust umgehen können, beschreibt der renommierte Kriminalpsychologe Professor Rudolf Egg im Interview mit Reporter Michael Forst.

Wie verarbeiten Polizisten einen so sinnlos scheinenden Tod wie den ihrer jungen Kollegin?

RUDOLF EGG: Nicht anders als andere Menschen auch. Da ist zunächst der Schock, dann die Trauer über den Verlust. Verbunden mit dem Wissen: Es hätte genausogut auch mich treffen können. Denn so ein Einsatz ist für einen Polizisten ja etwas ganz Alltägliches.

Es gibt also eine besonders starke Identifikation – und deshalb ein besonders starkes Mit-Leiden?

EGG: Richtig. Was uns am meisten erschreckt, sind die Dinge, die wir nicht einfach wegschieben können. Wenn wir hören, dass da jemand beim Bergsteigen irgendwo in 4000 Meter Höhe abgestürzt ist, sagen wir uns: Na gut, so was würde mir nicht passieren. Ich bin ja kein Bergsteiger.

Was kann der Verlust eines Kollegen und vertrauten Menschen noch in uns auslösen?

EGG: Es ist eine Grenzerfahrung, die gleichzeitig auch eine Lebenserfahrung ist. Du merkst, wie schnell es vorbei sein kann von einem Moment auf den anderen. Wir planen immer, was wir die nächsten fünf Jahre, die nächsten zehn Jahre machen. Wir benehmen uns so, als wäre das Leben unendlich lange. Doch dann ist das Leben auf einmal zu Ende für jemanden, der gerade noch neben uns stand – und das erschüttert uns naturgemäß.

Wie schwer fällt es dann erst, den unmittelbaren Angehörigen des Opfers Trost zu spenden?

EGG: Sehr schwer. Denn was sagt man ihnen: Tut mir leid? Wird schon wieder gut? Das sind alles Sätze, die einem im Mund stecken bleiben, denn da wird nichts mehr gut. Denn die Eltern haben ihr Kind verloren, von dem sie dachten, dass sein Leben gerade erst angefangen hat. Da stehen die meisten ziemlich ratlos davor.

Wie können denn die Psychologen helfen, die die Eltern der gestorbenen Polizistin betreuen?

EGG: Die haben natürlich auch keine Zaubertricks. Das Wesentliche ist, den betroffenen Menschen zuzuhören, ihnen Raum zu geben für ihre Gedanken und Empfindungen. Denn Menschen reagieren doch relativ unterschiedlich auf so einen Schicksalsschlag. Manche wollen sich komplett zurückziehen oder haben ein oder zwei Personen, mit denen sie das ausmachen wollen. Andere wiederum haben einen Rededrang und wollen erzählen. Da gibt es keine eindeutigen Muster. Menschen sind verschieden – auch darin, wie sie mit so einer traurigen Situation umgehen.

Über die sozialen Medien wie Facebook und Twitter gab es nach dem tragischen Todesfall eine große Welle des Mitgefühls. Inwiefern kann so etwas tröstend wirken?

EGG: Man muss immer unterscheiden, was in den ersten ein, zwei Tagen nach dem Unglück ist und dem, was man mittelfristig macht. Diese Solidaritätsbekundungen erreichen die Angehörigen viel besser, wenn sich der erste unmittelbare Schmerz ein wenig gesetzt hat und vielleicht einer ersten Akzeptanz gewichen ist. Oder besser: Einem rationalen Umgang mit dem Verlust, der damit zu tun hat, dass das Leben ja weitergehen muss, dass Dinge wie die Trauerzeremonie und Beisetzung vorbereitet werden müssen.

Wie werden Polizisten geschult, die den Angehörigen eine Todesnachricht wie diese überbringen müssen?

Im ersten Moment haben Menschen, denen so etwas widerfährt, das Geschehene noch gar nicht verinnerlicht. Sie sprechen dann so von dem Toten, als wäre er immer noch da. Es ist ein psychischer Prozess, bis man den Verlust an sich heranlassen und von dem geliebten Menschen in der Vergangenheitsform sprechen kann. Das beachten auch Polizisten, die im Überbringen einer Todesnachricht geschult werden. Sie sprechen niemals von dem Leichnam oder dem Toten, sondern von ihrem Bruder, ihrem Mann oder ihrer Tochter, weil es anders für die Angehörigen gar nicht zu begreifen ist.

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