Stadtbücherei Rüsselsheim besteht seit 140 Jahren

Vom Bücherschrank in der Gastwirtschaft bis zum modernen Bibliotheksbau von Kultur 123 am Treff: Die Stadtbücherei Rüsselsheim hat eine faszinierende Geschichte, die 1877 begann.
Lesen baut Brücken in die eigene Zukunft. „Deshalb ist die Arbeit öffentlicher Bibliotheken so wichtig“, sagt Eva Süßmilch, Leiterin der Kinder- und Jugendbibliothek der Stadtbücherei von Kultur 123: Den Nachholbedarf von Schülern in Deutschland in dieser unverzichtbaren Kulturtechnik hat erst im Dezember 2017 die aktuelle Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) gezeigt. Aber Lesen ist auch ein großes Stück Freiheit. Und so wird das aktuelle Fokusthema von Kultur 123 in der Arbeit der Stadtbücherei täglich greifbar, die Menschen barrierefreien Zugang zu Büchern und anderen Medien bietet.
Wie wichtig eine aktive Bibliotheksarbeit für kulturelle Bildung ist, das weiß man in Rüsselsheim schon seit 14 Jahrzehnten. Denn 1877 wurde in der damals noch überschaubaren Stadt mit rund 2500 Einwohnern die erste Bibliothek gegründet. Es waren bescheidene, aber stolze Anfänge: Am 22. Februar 1877 hatte der kurz zuvor gegründete Volksbildungsverein die ersten Bücher für den Aufbau des Bestandes ausgewählt. Als Bibliothekare amtierten die Rüsselsheimer Lehrer Johannes Geißler und Johann Jacob Welsch. 30 Jahre später gab es einen weiteren Impuls für die Bibliotheksarbeit. Denn Dr. Emil Fuchs, evangelischer Pfarrer und Wegbereiter der Erwachsenenbildung, richtete 1907 eine Lesehalle im Pfarrhaus ein.
Als 1877 die Bücherei des Volksbildungsvereins gegründet wurde, war an ein eigenes Gebäude nicht zu denken. Vielmehr fanden die Bücher einen nicht näher beschriebenen Platz in den Räumen des Gasthauses zum Löwen. Diese Wirtschaft nutzte der Verein für seine Treffen und Veranstaltungen. Den ersten Schritt hin zu einer eigenen Infrastruktur für die Bücherei machte der Verein im Winter 1877: Damals wurde für den bereits auf mehr als 100 Bände angewachsenen Bestand ein eigener Schrank angeschafft.
Was die Bücherei damals wohl anbot? Einen Hinweis geben die Vorschläge der „Gesellschaft für die Verbreitung von Volksbildung“. Die hatte schon 1872 den lokalen Volksbildungsvereinen empfohlen, ihre Büchereien wie folgt aufzuteilen: 30 Prozent Belletristik, 25 Prozent Naturwissenschaften, 25 Prozent Geschichte und Biografie, zehn Prozent Reisen und Geografie sowie schließlich zehn Prozent „Technologie und Volkswirtschaft“. Und das Angebot fand in Rüsselsheim enormen Zulauf. So hieß es in der Hauptversammlung des Vereins 1883, in der Bibliothek liege „bis zur Stunde der Schwerpunkt des Vereins, und müßten alle Interessen der Bibliothek gegenüber bescheiden zurücktreten“.
Jährliche Förderung
Sich neu zu erfinden gehörte von Anfang an zu den Anforderungen an die Rüsselsheimer Bücherei. Angetrieben wurde dieser Wandel zum Beispiel durch veränderte Trägerschaft, andere Nutzung, die Aufnahme neuer Medienformen oder schlicht durch den Ortswechsel. So zog die Bücherei in ihren ersten Jahrzehnten zuerst vom Gründungsort in das Wirtshaus „Rüsselsheimer Hof“ an den Bahnhof, dann in das seinerzeitige Heimatmuseum in der Marktstraße.
Zwischenzeitlich hatte der Verein erreicht, dass die Gemeinde die Bibliotheksarbeit finanziell unterstützte. Ab dem Jahr 1905 gab es dafür eine Förderung von 100 Mark jährlich. Zum Vergleich: In Wiesbaden betrug der gleiche Etat damals 8000 Mark, in Frankfurt immerhin 7000 Mark.
Seit den 1920er Jahren leitete der Berufsschullehrer Friedrich Wilhelm Held die Bücherei. Unter seiner Ägide erlebte sie ihre Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933, die Öffnung für Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront im Jahr 1934 und die Übernahme von der Stadt im Jahr 1937. Held behielt die Leitung auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als er sich ab 1945 gemeinsam mit dem späteren Landrat Alfred Schmidt für den Wiederaufbau der Bibliothek einsetzte. Im Oktober 1945 wurde die Bücherei unter demokratischen Vorzeichen wieder eröffnet.
Neues Domizil
Einen großen Schritt in die Zukunft machte die Stadtbücherei mit ihrem erneuten Umzug: Das Domizil befand sich nun in der Rheinstraße 7, im Neubau der Stadthalle. 1950 wurde die Stadthalle eingeweiht, neben der Bibliothek war dort auch das Gesundheitsamt untergebracht. 1955 übernahm Diplom-Bibliothekarin Elisabeth Wernet hauptamtlich die Leitung der Bücherei.
In den 1960er Jahren folgte wieder ein Umzug, diesmal in eine Freihandbibliothek auf dem Gelände der Max-Planck-Schule. Sie wurde am 28. November 1963 eingeweiht. Das Jahr des großen Jubiläums 1977 steht unter dem Motto „Bücher für Bürger. 100 Jahre Stadtbücherei Rüsselsheim“. Anfang der 1980er Jahre geht die Bibliothek das nächste Großprojekt an: Der Umzug in den Neubau am Treff. Geleitet wird die Bücherei von Diplom-Bibliothekarin Eva Homrighausen, die ihr Amt im Juli 1981 antritt.
Die frühen 1980er Jahre waren geprägt von den Planungs- und Bauarbeiten für den neuen Bibliotheksbau. Im Spätherbst 1984 wurde das für 17 Millionen D-Mark errichtete Gebäude eingeweiht. So war die Stadtbücherei vor 33 Jahren an ihrem heutigen Zuhause angekommen. Heute gehören Wlan-Zugang und ein Angebot elektronischer Bücher über den Service „Onleihe“ zum Angebot der Bücherei, die seit 2013 ein Betriebsteil von Kultur 123 ist.
(red)