Erster Blick auf die Renovierungsarbeiten am Glockenturm in der Innenstadt

Das Wetter spielte mit: Die Renovierung des Turms der Stadtkirche geht schneller voran als gedacht. Erste Ergebnisse kann man schon sehen.
Steht man unten vor dem Kirchturm, sind die Klopfgeräusche schon zu hören. Ein ständiges Hämmern. Es kommt von fast ganz oben. Dort in über 30 Meter Höhe fliegen die Spitzhämmer. Dachdecker sagen auch Deckhammer dazu. Vorne spitz, hinten ein Hammer. Erst werden die kleinen Schieferplatten zugehauen, dann festgenagelt. Mindestens drei Nägel pro Schiefer, so ist es vorgeschrieben. Tausende Male passiert das am Tag. Es ist Zentimeterarbeit in luftiger Höhe. Architekt Hermann Alt steht davor und sagt: „Das ist die Hochkunst des Schieferns.“
Die drei Mitarbeiter der Firma Punstein aus Oberwesel haben schon dem Mainzer Dom ein neues Kleid verpasst. Oder der Burg Pfalzgrafenstein auf einer Rheininsel. Doch der Turm der Rüsselsheimer Stadtkirche ist auch für sie eine handwerkliche Herausforderung. Weil es hier keine echten Kanten, sondern nur runde Formen gibt. Dafür braucht es Augenmaß, Erfahrung und Geschick. Doch die Arbeiten gehen schneller voran als gedacht. Dazu beigetragen hat auch das Wetter seit Beginn der Renovierung der Stadtkirche Mitte September. Fast kein Regen, nur wenige windige Tage und auch noch zweistellige Temperaturen im November – das kommt den Dachdeckern entgegen. „Laterne“ und „Zwiebel“, also die Turmspitze, sind schon fertig. Unter anderem wurden die maroden Schall-Lamellen ausgetauscht. Die Turm-Haube darunter soll bis Weihnachten abgeschlossen sein. Das Gerüst wird dann sofort abgebaut. Mit dem Effekt, dass das Ergebnis wochenlanger Hämmerarbeit gleich bewundert werden kann.
Der Zahn der Zeit nagte aber nicht nur am Schiefer des Sakralbaus, dessen Anfänge ins späte 18. Jahrhundert zurückreichen, sondern auch am Mauerwerk. Ein großer Teil des Geldes für die Renovierung der Stadtkirche, rund 120. 000 Euro, werden allein für die Dachdeckungsarbeiten ausgegeben. Der Zeitplan wird bislang mehr als eingehalten. Im August nächsten Jahres soll alles fertig sein und der Turm im neuen Glanz da stehen. Schritt für Schritt, Stockwerk für Stockwerk arbeitet man sich bis dahin an der Außenfassade nach unten. Das ist ein Fall für die Steinmetze. Diese stoßen auf unterschiedliche Epochen des Bauwerks und der Instandsetzung. Der untere Teil des Turmes stammt aus dem Spätbarock. Der obere Teil aus den 1920er Jahren. Das bedeutet unterschiedliche Materialien. Hat man im Barock gelben Kalkstein verwendet, waren es in den 20er Jahren einfache Ziegelsteine. Hinzu kommen die Ausbesserungsarbeiten, die man im 20. Jahrhundert immer wieder am Mauerwerk vorgenommen hatte, zuletzt Ende der 1970er Jahre. Damals Stand der Technik vermutlich auch aus Kostengründen, hatte man noch mit Kunststoff versetztem Steinersatzmaterial gearbeitet, um die Risse und Ausbrüche, die sich durch Feuchtigkeit und Frost im Stein gebildet hatten, zu beheben. Heute würde man das nicht mehr tun, hat aber mit den Folgen zu kämpfen: Das Material ist hohlliegend, blättert ab oder zeigt wieder Risse.
Architekt Hermann Alt aus Oestrich-Winkel hat an einigen Stellen den Putz mittlerweile großflächig abnehmen lassen, da dieser nicht mehr tragfähig ist. Er soll später wieder neu aufgebracht und mit einer noch zu entscheidenden Farbgebung gefasst werden. Was an den Architekturteilen aus Sandstein ersetzt werden muss, wird auch wieder mit Original-Stein und keinem Ersatzmaterial hergestellt. Das ist zwar viel aufwendiger, hält aber länger. Passgenau, nur mit einer Pressfuge getrennt, werden die defekten Steinteile ausgearbeitet und der neue Austauschstein eingesetzt, verklebt oder vermörtelt. An anderer Stelle, wie den ornamentalen Verzierungen um die Fenstergewände, muss das Original-Bauwerk erst sichtbar gemacht werden, so sehr hatte man früher mit Mörtel alles regelrecht „zugeputzt“.