Lappalie reicht: Rodgauer prügelt auf Autofahrer ein - und kommt glimpflich davon

Der Rodgauer Lutz G., der sich seit Mittwoch wegen zahlreicher Gewaltdelikte vor dem Landgericht Darmstadt verantworten musste, ist glimpflich davongekommen.
Update, 26. April, 14:18 Uhr: Am Donnerstag wurde er wegen mehrfacher Körperverletzung und Nötigung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Eine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie ordnete das Gericht nicht an. G. hat fünf Monate in einer geschlossenen Einrichtung in Gießen verbracht, nun kommt er frei.
Autofahrer in Offenbach und Rodgau verprügelt
Dem 44-Jährigen wurde vorgeworfen, in drei Fällen andere Autofahrer in Offenbach und Rodgau verprügelt zu haben, auch seine Verlobte soll er mehrfach geschlagen und gewürgt haben, ebenso einen Mann in einer Arztpraxis. Zum Teil soll G. mit großer Brutalität vorgegangen sein, obwohl die Auslöser Lappalien waren: Einer der Autofahrer fuhr ihm zu langsam, seine Freundin hatte seiner Ansicht nach die falschen Wäscheklammern verwendet.
Ein psychiatrischer Gutachter hatte bei G. eine Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften, impulsiven und depressiven Anteilen festgestellt und für eine „erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit“ plädiert. Das Gericht hält G. jedoch für voll schuldfähig. Weder Staatsanwaltschaft noch der Angeklagte legten Widerspruch ein, das Urteil ist somit rechtskräftig.
Schwere Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung und Sachbeschädigung
Erstmeldung, 25. April: Darmstadt – Lutz G. sagt, sein Herz sei am rechten Fleck. Er habe Fehler gemacht und bereute sie zutiefst. „Ich möchte vorwärts kommen, keinen Schritt mehr zurück.“ Zuerst muss aber die Vergangenheit aufgearbeitet werden, und die hat es in sich: Schwere Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung und Sachbeschädigung in sieben Fällen werden dem 44-jährigen Rodgauer vorgeworfen.
Und so sitzt G. am gestrigen Dienstag wie ein Häufchen Elend in einem Saal des Darmstädter Landgerichts und gibt sich geläutert: Erst in den vergangenen fünf Monaten, die er in einer geschlossenen Psychiatrie in Gießen verbrachte, sei ihm klar geworden, was er angerichtet habe. Bis auf einige unwesentliche Details bestreitet er keinen der Vorfälle, die sich zwischen 2015 und 2018 ereigneten. Wenn der Vorsitzende Richter Daniel Kästing die Taten schildert oder Zeugenaussagen zitiert, schlägt G. die Hände vors Gesicht und schüttelt den Kopf. Fast so, als höre er den Verbrechen eines anderen zu, die er nicht fassen könne.
Gleich dreimal soll der Deutsch-Italiener andere Autofahrer verprügelt haben. Einer hatte ihn angehupt, weil G. einen grünen Pfeil an einer Ampel übersehen hatte; ein anderer fuhr ihm zu langsam; ein dritter nahm ihm die Vorfahrt, ohne dass es zu einer Kollision kam. Die Folgen: Prellungen, Schürfwunden, tiefe Kratzer, zerrissene Kleidung, eine kaputte Brille.
Verlobte Nadja S. mehrfach geschlagen und gewürgt
Auch seine Verlobte Nadja S. soll er mehrfach geschlagen und gewürgt haben. Hier waren ebenfalls Lappalien die Auslöser: Spülmaschine falsch eingeräumt, nicht die richtigen Wäscheklammern benutzt, die falschen Kleider angezogen. Und auch in einer Arztpraxis soll G. ausgetickt sein, als er nicht schnell genug dran kam. Leidtragender war ein Patient, der wegen G.s Geschrei die Wartezimmertür öffnete. Risse an Ohr und Hals sowie diverse Prellungen trug er davon.
Lutz G., gelernter Werkzeugmacher, versucht zu erklären, wie er so wurde, wie er ist. Der Vater habe ihm gesagt, er habe zwei linke Hände, vom Schwager sei er gehänselt, von Arbeitskollegen gemobbt worden. Wenn ein Kumpel umziehe, dann werde er immer als Erster gefragt. Wenn er Hilfe benötige, komme keiner. Er bezeichnet sich selbst als „ordnungsliebend“ und „gerechtigkeitsfanatisch“, Richter Kästing nennt es „zwanghaft“.
Angeklagter aus Rodgau mit Persönlichkeitsstörung
Auch der psychiatrische Sachverständige Thomas Holzmann bescheinigt ihm eine Persönlichkeitsstörung „mit zwanghaften, impulsiven und depressiven Anteilen“. Eine „toxische Kombination“ sei das, ein Funke genüge, und der Angeklagte raste aus. G. müsse etwa immer die Fenster seiner Wohnung in der gleichen Reihenfolge öffnen, alle Marmeladengläser in einer festgelegten Richtung in den Kühlschrank stellen oder das Pfandetikett auf Flaschen in seine Richtung drehen. Auch das Verhalten seiner Mitmenschen beobachte und bewerte er sehr genau. Offenbar führt dieser Ordnungsfimmel immer wieder zur Eskalation. G.s Schwester Anja D., die als Zeugin auftritt, kann das bestätigen: „Es staut sich alles ein Viertel- bis halbes Jahr an, dann braucht er ein Ventil.“
Gutachter Holzmann sieht durch die Zwänge eine „erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit“, doch Richter Kästing hat so seine Zweifel, da G. beispielsweise zugibt, rechts rangefahren zu sein und kurz gewartet zu haben, bevor er den hupenden Autofahrer stellte und zusammenschlug. In der Psychiatrie hat sich G. bislang keine Ausfälle geleistet. Er sagt, er habe Angst, in ein geschlossenes Einzelzimmer zu kommen. „Er kann entscheiden und sich zusammenreißen“, so der Richter. Nach sechseinhalb Stunden wird die Verhandlung unterbrochen, heute, 10 Uhr, geht es weiter. Insgesamt sind drei Verhandlungstage angesetzt.
VON MANUEL SCHUBERT
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