Eine schicke Garderobe zum Fest
Weihnachten ist nicht nur ein Fest der Freude, viele Menschen verbringen die Tage ohne Familie und Freunde. Erika Menzel bleibt nicht allein, die Seniorin feiert im Mercure-Hotel.
Erika Menzel hat das Kleid, dass sie an Heiligabend tragen wird, schon von außen an ihren Kleiderschrank gehängt. Es ist festlich rot, wie es sich für einen Feiertag gehört und sie freut sich schon, es wieder einmal zu tragen: „Na klar mache ich mich für den Weihnachtstag schick. Ich habe das Kleid zur Hochzeit meines Enkels gekauft und verbinde damit schöne Erinnerungen. Jetzt gibt es einen schönen Anlass, es wieder einmal anzuziehen“, sagt die 87 Jahre alte Sprendlingerin. Rot gekleidet und mit frischer Frisur wird sie dann am frühen Mittag im Mercure-Hotel in der Buchschlager Allee ankommen.
Seit vielen Jahrzehnten organisiert die Stadt Dreieich an Heiligabend ein Fest für alleinstehende Senioren. Der große Frühstückssaal ist schon vorbereitet. Der Weihnachtsbaum steht und die Stühle sind mit lustigen, roten Nikolausmützen über den Stuhllehnen verziert – eine schöne Atmosphäre für Menschen, die sonst an Heiligabend alleine in ihrem Wohnzimmer sitzen würden.
Von zu Hause abgeholt
56 Frauen und Männer stehen bei Sabine Neuert, Fachbereichsleiterin der Seniorenarbeit im Sprendlinger Rathaus, auf der Gästeliste. Alles ist längst organisiert, damit es ein gemütlicher Nachmittag wird. Morgens um 10.30 Uhr holt der städtische Fahrdienst die Senioren von zu Hause ab, um sie ins Hotel zu bringen. Wenn um 12 Uhr alle da sind, startet das gemütliche Weihnachtstreiben mit einem gemeinsamen „Alle Jahre wieder“. „Das Lied ist Programm“, weiß Ursula Ruhl, städtische Mitarbeiterin, die den Weihnachtsnachmittag mitorganisiert. „Die meisten von den Damen und Herren kommen schon seit vielen Jahren zu dem Fest. Viele von ihnen kennen sich von den städtischen Seniorenclubs aus allen Stadtteilen“, so Ruhl. Hin und wieder sei auch mal ein neues Gesicht dabei, denn die Veranstaltung ist für alle Dreieicher Senioren offen.
Nach dem gemeinsamen Singen wird gegessen. Die Gäste haben die Wahl zwischen Gans, Fisch oder einem vegetarischen Gericht. Dabei werden sie unterhalten von den Bläsern der Sprendlinger Turngemeinde, Geschichten und Gedichte. Ein Engel bringt anschließend die Geschenke. „Die Päckchen packen wir am Samstag noch zusammen“, verrät Ruhl. Die Senioren dürfen sich über einen Piccolo freuen, Schokolade, Lebkuchen oder vielleicht auf eine deftige Mini-Salami. Die Stadt finanziert die kleinen Köstlichkeiten mit Spenden. „Wir verpacken eben, was kommt.“
Bei der Programmplanung müsse man ein bisschen aufpassen. Es darf in den vier Stunden nicht zu viel gesungen, musiziert oder gelesen werden. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute auch ein bisschen unterhalten möchten. Das wollen wir natürlich dann auch ermöglichen“, sagt der städtische Mitarbeiter Harald Böhm. Manchmal haben er und seine Helfer dann auch fast schon eine therapeutische Funktion. „Natürlich ist Weihnachten auch eine emotionale Zeit, und wir reden auch mit den Leuten, und sie erzählen uns dann auch schon mal von dem verstorbenen Ehepartner oder vielleicht auch von einer verstrittenen Familie. Da hilft dann ein offenes Ohr“, weiß der Sozialpädagoge.
Aber nicht jeder, der zum Fest kommt, ist alleinstehend oder hat keine Familie. „Ich bin ehrlich gesagt auch nicht so richtig alleine“, sagt Erika Menzel. „Meine Söhne holen mich an den anderen Weihnachtstagen ab. Aber Heiligabend – und das haben wir immer schon so gemacht – bleibt jede Familie für sich. Und da mein Mann leider schon gestorben ist, bin ich Heiligabend eben allein“, berichtet Menzel. Sie blickt auf eine lange Geschichte mit dem städtischen Weihnachtsfest zurück. „Hilde Scheidt, die Frau des Bürgermeisters, hat das Fest schon in den 70er Jahren aus der Taufe gehoben. Ich habe damals selbst als Ehrenamtliche mitgeholfen. Ich habe dann auch den Seniorenclub von Frau Scheidt übernommen und bin immer dabeigeblieben“, erzählt die Seniorin. Von der Ehrenamtlichen hat sie erst vor drei Jahren ihre Rolle zum Gast gewechselt. Jetzt genießt sie es, einfach so dabei zu sein. „Meine Söhne sind an diesem Mittag auch aktiv. Sie spielen im Orchester der Sprendlinger Turngemeinde“, so Menzel weiter. Auch ihr Mann sei früher beim Bläserkreis gewesen. „So ist unser Heiligabend früher schon fast ausgefallen, weil wir den Nachmittag mitgestaltet haben und dann oft erst um acht zu Hause waren“, erinnert sich die Sprendlingerin. Inzwischen hat sich das doch ein bisschen geändert.
Am Nachmittag ist Schluss
Um 16 Uhr ist der Weihnachtszauber im Mercure-Hotel zu Ende. „Wir brauchen ja die Ehrenamtlichen, und auch unsere Mitarbeiter sollen in ihren Familien noch Weihnachten feiern“, sagt Sabine Neuert. Ursula Ruhl weiß, dass die Senioren ohnehin nach einigen Stunden unruhig werden. „Wenn es erst mal Kaffee und Kuchen gab und die Geschenke verteilt sind, dann rutschen sie unruhig auf den Stühlen herum und wollen nach Hause“, erzählt die Mitarbeiterin. So geht es übrigens auch Erika Menzel. „Ich will ja um 18 Uhr in die Kirche. Dann habe ich einen perfekten Weihnachtstag: erst das schöne Seniorenfest im Hotel, dann der Gottesdienst in der Christuskirche und dann einen ruhigen Abend zu Hause vor dem Fernseher. An den anderen beiden Tagen habe ich noch genug Programm.“
Und wie ist es für die Mitarbeiter der Stadt, Heiligabend zu arbeiten und für das Serviceteam im Hotel? „Für mich ist es ehrlich gesagt gar kein Ding. Ich muss mich nach der Veranstaltung nur noch an den gedeckten Tisch setzen. Meine Mutter und meine Lebensgefährtin bereiten alles vor“, sagt Harald Böhm. Und wie das „auf dem Ort“ eben manchmal so ist, ist auch der Vater von Böhm am Seniorenfest beteiligt. „Er spielt beim Bläserkreis und freut sich immer schon auf die alkoholfreien Cocktails an der Hotelbar nach dem Auftritt“, verrät der Sozialarbeiter. Die beiden Auszubildenden im ersten Lehrjahr im Mercure-Hotel, Marc Kevin Billig und Natanael Gohay, sehen dem Diensteinsatz am Weihnachten ebenfalls entspannt entgegen. „Wir haben ja den Frühdienst. Alles gut. Und ich steige abends sogar in den Flieger, und es geht in den Urlaub nach New York“. Na wenn das nicht ein toller Weihnachtstag ist.