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223 Graffiti fallen dem Baggern zum Opfer

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Von: Nicole Jost

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Graffiti-Künstler haben nicht oft Gelegenheit, legal aktiv sein zu dürfen. Doch das Firmengelände in der Liebigstraße wurde für drei Monate zum Sprayer-Paradies.

Die grüne Seekuh auf dem tristen, grauen Hintergrund der alten Betonwand hat traurige Augen. Der kunterbunte Fisch belebt die Industrieszenerie in der Liebigstraße ebenso, wie der anscheinend grinsende Wal. Graffiti ist durchaus eine etwas umstrittene Kunst, aber der Langener Künstler Oliver Goeke ist weit entfernt von unschönen Schmierereien an öffentlichen und privaten Gebäuden, über die sich viele Passanten ärgern. Er bereichert die Kunstszene mit seinen leider vergänglichen Malereien.

So auch in Langen: Auf dem ehemaligen Gelände des Gleisschwellenwerkes Rail One sind in den vergangenen Wochen rund 200 Kunstwerke an den Wänden, Hallen und Gebäuden entstanden. Goeke, alias eat.one – so sind seine Kunstwerke unterzeichnet – und seine Freunde von der Sprayer Gruppe „ill zoo crew“, durften sich auf dem Gelände mit ihren Spraydosen austoben.

Gefühl für Farbe

„Diese Kooperation zur Gestaltung der Wände ist schon im Jahr 2007 zustande gekommen. Damals habe ich als Auftragsarbeit für das Unternehmen die Wand zur Liebigstraße hin gestaltet. Als ich erfahren habe, dass die Gebäude alle verschwinden, habe ich gefragt, ob wir sie bemalen dürfen, bevor alles den Baggern zum Opfer fällt“, so Goeke.

Der Graffiti-Künstler und seine Freunde mussten sich mehr als zehn Jahre gedulden – dafür hatten sie in den vergangenen drei Monaten ein Sprayer-Paradies. „Zwölf Wochen lang waren wir jeden Tag auf dem Gelände. Mal war ich alleine, mal waren wir bis zu 15 Leute, viele Langener, aber auch Freunde aus Karlsruhe, Mannheim, Mainz, Frankfurt, Berlin und Offenbach“, berichtet der 34-Jährige.

Skizzen oder Vorzeichnen brauchen die Künstler nicht – sie kommen mit der Dose und malen frei Hand. „Das braucht schon etwas Übung, und es dauert Jahre, das Gefühl zu bekommen, wie die Farbe auf welchem Untergrund reagiert.“ Dabei setzt Goeke auf legale Kunstwerke: „Es gibt schon die Gelegenheit, Wände zu bemalen. Denn Graffiti bietet Schutz vor unerwünschten Graffiti“, so Goeke der dem schlechten Ruf seiner Kunst aktiv entgegenwirken will.

Fotografien bleiben

„Ich spraye für die Ästhetik und mag keinen Vandalismus an Häuserwänden und dem Eigentum anderer Leute“, erklärt er. Besonders gefreut hat ihn deshalb, dass viele Nachbarn in der Liebigstraße während seines Arbeitens vorbeikamen, mit ihm über seine Werke sprachen, ihm Kaffee mitbrachten und seine Bilder fotografierten. „Die Farbigkeit in dieser tristen Umgebung hat die Leute fröhlich gestimmt, und sie haben jetzt ein ganz anderes Bild von Graffiti.“

Am vergangenen Sonntag sind die letzten Bilder entstanden, und am Dienstag kamen bereits die Bagger und haben begonnen, die ersten Gebäude einzureißen. „Es waren genau 223 Bilder – rund 120 sind noch da“, berichtet Goeke mit einem Schmunzeln. „Das ist für mich kein Problem. Ich fotografiere die Bilder, sammle sie und mache Jahresbände daraus.

Goeke ist ein bekanntes Gesicht in der Szene, bemalt im Schnitt rund fünf Wände in der Woche und ist in ganz Europa zu Veranstaltungen unterwegs. In der nächsten Woche reist er für seine Kunst nach Italien. Allerdings bleibt die Kunst sein Hobby. Der gebürtige Langener hat an der Hochschule für Gestaltung das Studium visuelle Kommunikation, Schwerpunkt Malerei, begonnen. Aber er hat sich letztlich für das Familienunternehmen entschieden, in dem er als Koch jeden Tag Kindergartenkinder und Schulkinder mit Mittagessen versorgt.

Wer die Bilder von Oliver Goeke sehen will, kann sie sich auf seinem Instagram-Kanal unter dem Namen @eat.one. anschauen. Wer Fragen an ihn hat, kann ihn per E-Mail an eat.one@gmx.de erreichen.

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