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13 Euro für 16 Stunden Arbeit? Flüchtlinge verteilen Prospekte für Mini-Lohn

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Ein Mann aus Obertshausen soll Flüchtlinge als Prospektausträger beschäftigt haben, ohne sie rechtmäßig zu bezahlen. Mutmaßlich bekamen einige von ihnen einen Lohn weiter unter der Mindestgrenze.
Ein Mann aus Obertshausen soll Flüchtlinge als Prospektausträger beschäftigt haben, ohne sie rechtmäßig zu bezahlen. Mutmaßlich bekamen einige von ihnen einen Lohn weiter unter der Mindestgrenze. © Fredrik von Erichsen / dpa

Ein Mann aus Obertshausen hat Flüchtlinge für sich Prospekte austragen lassen. Es besteht der Verdacht, dass er sie weit unter Mindestlohn bezahlte.

Obertshausen – Für 16 Stunden Arbeit 13 Euro Tageslohn? Am Donnerstag saß ein Oberhausener vor Gericht, der die Not von Asylbewerbern ausgenutzt haben soll. Die Anklage wirft ihm vor, die Verteiler von Prospekten weit unter dem Mindestlohn bezahlt zu haben.

Rechtsanwalt Dr. Burkhard Immel stellt anfangs den Antrag, das Verfahren einzustellen. Nach der Strafprozessordnung müsse die Anklageschrift gegenüber dem Beschuldigten klar die Tat, samt Zeit und Ort ihrer Begehung, sowie die „gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften“ benennen. Das sehe er nicht erfüllt. Staatsanwalt Dirk Schillhahn erklärt, er habe die Anklage zwar nicht geschrieben, sehe aber keine entscheidenden Mängel.

Ausbeutung? Mann aus Obertshausen soll Flüchtlinge miserabel bezahlt haben

Nach der Beratung mit den Schöffen gibt der Vorsitzende Richter Manfred Beck der Anklageschrift in Schulnoten quasi noch eine knappe Vier und lehnt Immels Antrag mit dem Hinweis ab, die Schrift sei „gerade noch ausreichend konkretisiert“. Schillhahn wirft dem Angeklagten vor, er habe zwischen dem 16. Dezember 2015 und dem 30. Mai 2016 Asylbewerber ohne Arbeitserlaubnis zum Verteilen von Prospekten angeheuert und ihre Notlage ausgenutzt. Im Jahr 2015 lag der Mindestlohn für Zusteller bei 6,38 Euro, 2016 bei 7,23 Euro. Der Staatsanwalt wirft dem Obertshausener vor, lediglich ein Gehalt von vier bis fünf Euro bezahlt zu haben.

In manchen Fällen sollen die Verteiler noch weniger bekommen haben. Die Ermittlungen kamen ins Rollen, als die Polizei am 6. Februar 2016 in Dreieich einen Verteiler kontrollierte, der eine Aufenthaltsgenehmigung für Italien vorlegte. Der Mann habe seinen Auftraggeber als Ausbeuter tituliert.

Das erste Mal habe man ihn am 16. Dezember 2015 morgens um 4.30 Uhr in Offenbach mit einem Transporter eingesammelt. In Königstein habe er 16 Stunden verteilt, für die er 13 Euro bekam. Verpflegung habe es keine gegeben. Beim zweiten Einsatz habe er für die gleiche Zeit 20 Euro bekommen.

Obertshausen: Polizei arbeitet mit Flüchtlingen zusammen

Der Flüchtling erklärte sich damals bereit, weiter als Verteiler zu arbeiten und der Polizei Erkenntnisse über den Obertshausener zu liefern. An dieser Stelle setzt Verteidiger Immel an. Für seine Aussage hätten die Ermittler dem Mann einen Aufenthalt in Deutschland samt Arbeitserlaubnis bis zum Ende des Verfahrens in Aussicht gestellt, was ein Beamter bestätigt. Die Polizei hörte das Mobiltelefon des Angeklagten ab. Der habe etwa Order gegeben, wie sich die Verteiler bei Polizeikontrollen verhalten sollten, „einfach behaupten, man sei nur zufällig dort und verteile gar nichts“. Er habe zweifellos gewusst, dass die Leute nicht angemeldet seien.

Bei einer Durchsuchung fanden die Ermittler beim 36-Jährigen 304 000 Euro in bar. Der Angeklagte erläutert, es handele sich um Darlehen von Bekannten für einen Wohnungskauf. So gibt er an, an einem bestimmten Tag in Kempten gewesen zu sein, um sich Geld zu leihen. Nur lässt sich anhand der Abhörprotokolle nach Ansicht der Polizei nachweisen, dass er sich an dem Tag im Kreis Offenbach befand und keineswegs im Allgäu.

Obertshausen: Angeklagter in dubiose Geldgeschäfte verwickelt

Der Bekannte aus Kempten gibt an, damals krank gewesen zu sein. Seine Frau habe dem Obertshausener 45 000 Euro übergeben. Richter Beck wundert sich, dass im Vertrag zwar ein Zinssatz von 3,8 Prozent steht, aber nichts über Rückzahlungsmodalitäten. Ausdrücklich sei jedoch erwähnt, dass es keine Sicherheiten gebe. „Ich vertraue ihm“, begründet der Mann, der noch ausführt, der Angeklagte habe ihm wegen einer falschen Adresse im Vertrag postalisch eine Korrektur mit aktuellem Datum geschickt. Das soll erklären, warum er sich zur besagten Zeit im Kreis Offenbach aufhielt, nicht in Kempten. Der vermeintliche Gläubiger legt zudem eine Überweisung vor, die belegt, dass der Angeklagte ihm mittlerweile knapp 48 500 Euro überwiesen hat.

Ein Neu-Isenburger gibt an, er habe dem Obertshausener 100 000 Euro geliehen, ebenfalls ohne Sicherheiten. Ein Mitarbeiter zeichnet ein altruistisches Bild des Angeklagten. Der habe die Verteiler knapp 57 Prozent über dem damaligen Mindestlohn bezahlt, „sie bekamen zehn Euro pro Stunde“. Mit der Aussage des Hauptbelastungszeugen soll der Prozess nun am 12. Dezember weitergehen.

VON STEFAN MANGOLD

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