Bad Camberg: Kurstadt barrierefrei - noch nicht

Franka Mertineit stößt mit ihrem Rollstuhl auf dem Weg zwischen Bad Camberg und Erbach auf viele Hindernisse
Bad Camberg -Franka Mertineit war geschafft. "Meine Frau kam weinend nach Hause", berichtet ihr Mann Ingo. Der Grund: Sie ist auf den Rollstuhl angewiesen, legt regelmäßig den Weg zwischen Bad Camberg und Erbach zurück. Das ist schwer, denn einige Bordsteine sind so hoch, dass es für sie kaum zu bewältigen ist.
Deshalb haben die beiden die Stadt Bad Camberg eingeschaltet, um Abhilfe zu schaffen. Das war schon im Jahr 2018. Seitdem versuchen sie, die Situation zu verbessern. Bisher ohne sichtbares Ergebnis. Die beiden waren so frustriert, dass sie selbst kleine Rampen angeschafft haben, versehen mit einem Rolli-Zeichen. Damit geht es. Aber richtig ist es nicht.
Es ist nicht richtig, denn Ingo und Franka Mertineit sind enttäuscht, dass sie nach so langer Zeit zur Selbsthilfe greifen mussten. Für die Stadt wiederum ist es ein Problem, denn nach geltendem Recht darf man nicht einfach irgendwo eine Rampe platzieren. Selbst wenn sie nützlich und offenkundig hilfreich ist. "Ich kann die Eheleute Mertineit gut verstehen", sagt Bürgermeister Jens-Peter Vogel (SPD). Und: "Es liegt definitiv nicht am Willen, tätig zu werden." Geschehen ist auch bereits einiges, nur nicht für alle sichtbar. Es geht um Verwaltungsregeln, Genehmigung finanzieller Mittel und den richtigen Weg, im doppelten Sinne.
Vorgesehene Mittel im Haushalt gekürzt
Im Fachjargon hört es sich fast an, als gehe es um die B-8-Umgehung. Da ist von Trassenvarianten für eine barrierefreie Streckenführung die Rede. Das ist in der Tat so: Nach einem Treffen mit dem Ehepaar Mertineit seien verschiedene Möglichkeiten geprüft worden - eben auch deshalb, weil das Ansinnen als sinnvoll und nützlich erachtet wurde - auch für andere.
Das Stadtbauamt hat sich offensichtlich Mühe gemacht: Für jede der möglichen barrierefreien Streckenführungen zwischen dem Horstweg in Erbach und dem Bereich Limburger Straße/Pommernstraße in Bad Camberg wurden die vorhandenen Unzulänglichkeiten dokumentiert und ausgewertet, erklärt Detlef Mück vom Stadtbauamt. Technisch ausgedrückt: "Aus der Anzahl der Konfliktpunkte und der einhergehenden Defizite für einen barrierefreien Ausbau wurde eine Machbarwahrscheinlichkeit der Trassenführungen festgelegt und die favorisierte Trassenvariante danach eingehender betrachtet. Aus der detaillierten Betrachtungen der Konfliktpunkte und der vorhandenen Defizite wurde im Anschluss die Art der Querungshilfe festgelegt."
Es gab also eine Voruntersuchung, Vorschläge, eine Kostenschätzung und Haushaltsmittel, die im Haushalt dieses Jahres (2021) eingestellt wurden. Nach den Haushaltsberatungen wurden die Mittel jedoch um 25 Prozent gekürzt. Das Stadtbauamt stand vor dem Dilemma: Ohne genehmigten Haushaltsplan gibt es nicht die nötigen Mittel, die sind gekürzt und man versucht, die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen, um so viel wie möglich zu erreichen. Es könnte also eine Zwischenlösung geben. Und: "Der endgültige barrierefreie Ausbau kann somit erst in 2022 hergestellt werden."
Detlef Mück erklärt: "Eine weitere barrierefreie Maßnahme im Bereich des Wohnortes von Frau Mertineit ist schon seit 2020 in der Planung und soll dieses Jahr begonnen werden. Hierbei handelt es sich um die barrierefreie Straßenquerung vor der Grundschule Bad Camberg-Erbach. Parallel dazu hat sich das Ordnungsamt mit der Familie Mertineit in Verbindung gesetzt und mitgeteilt, dass die verkehrsrechtliche Regelung an der Bundesstraße in der Verantwortung des Landkreises liegt, mit dem sich die Stadtverwaltung auch schon in Verbindung gesetzt hat."
Gespräch geplant
Bürgermeister Vogel erklärt das Ganze noch einmal so: Die pragmatische Lösung mit einfachen Rampen, wie von der Familie Mertineit angeregt, sei für die Stadt "leider nicht durchführbar, da wir Anforderungen an die Verkehrssicherheit beachten müssen und eigentlich auch keine Abflusshindernisse in die Floßrinne einbringen sollten. Klingt paradox, aber ein ordentlich gebauter (hoher) Bordstein ist verkehrssicherer als eine provisorische Rampe".
Demnächst werde es wieder ein Gespräch mit dem Ehepaar geben. Dessen Ergebnisse dürften auch andere interessieren. Denn eine barrierefreie Kurstadt ist ein Ziel, das sich die Bad Camberger auf die Fahnen geschrieben haben. Manchmal scheint das also nicht so einfach - aber aufgeben werden sie nicht. Übrigens: Am Sonntag ist eine der kleinen Rampen spurlos verschwunden. Schade.