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Ein Kleinod hinter dem Begriff „Scriabin Code“

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Mal Klassik, mal Jazz und dann doch wieder ganz anders: „Scriabin Code“ im Bad Camberger Kurhaus.
Mal Klassik, mal Jazz und dann doch wieder ganz anders: „Scriabin Code“ im Bad Camberger Kurhaus. © Petra Schramm

Ein ungewöhnliches Konzert mit ungeahnten Klangbildern

Bad Camberg -Das besondere Konzert, zu dem ins Bad Camberger Kurhaus eingeladen wurde, war mit „Scriabin Code“ überschrieben. Das klingt nach etwas Geheimnisvollem, das man erst entdeckt, wenn man den Code geknackt hat. Gespannt darauf, klatscht das Publikum ungeduldig die Künstler heran.

Das Ensemble, das in Kreislers Salon Robert Schumanns romantischen Jazz spielt, setzt sich zusammen aus Pianistin Asli Kiliç und Pianist Daniel Prandl, aus dem Initiator des „Scriabin Codes“, Martin Albrecht mit zwei Klarinetten und Electronics, Christopher Herrmann mit dem grünen Cello, Dirik Schilgen am Schlagzeug und Eva Pöpplein an einem unglaublich kompliziert wirkenden Aufbau an Electronics.

Ihr kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie bedient Keyboard, elektronische Geige und Computer, erzeugt digitale und analoge Töne, Geräusche und Klangeindrücke. Gleichzeitig ist sie mit allen Musikern verbunden, mischt, verändert ergänzt, verfremdet. Dadurch entstehen ungeahnte Klangbilder, ausdrucksstark, mitreißend, einfach fantastisch.

Christopher Herrmann bedankt sich im Namen des Ensembles bei der Amthof-Galerie, die das Konzert erst ermöglichte, aber auch bei der Stadt und dem Kurhaus, bevor er das Wort an den Initiator Martin Albrecht übergibt, der erste Hilfestellung beim Knacken des Codes geben soll. Benannt hat sich das Ensemble nach dem russischen Pianisten und Komponisten Scribian, der Grenzen aufbrach und dadurch das Denken öffnete. In seinem Sinn Schumann zu interpretieren und ins 21. Jahrhundert hineinzuführen, heißt also auch alle Stile zu erlauben, jedem Musiker musikalische Gedankenfreiheit zu geben. So präpariert bekommen die Zuhörer noch den Ablauf dieses Konzertes erklärt.

Asli Kiliç wird ganz klassisch Robert Schumanns Klavierzyklus zur Kreisleriana von Hoffmann spielen, dann folgen, ineinanderfließend, Interpretationen in verschiedenen Gruppierungen, immer wieder unterbrochen aus einzelnen klassischen Schnipseln. Am Ende wird es ganz im Stil der früheren Salons die Möglichkeiten geben, miteinander zu diskutieren und alle Fragen zu stellen. Nun heißt es: Augen auf, Ohren auf, Denken öffnen.

Ausgedehnte Trugschlüsse

Sehr engagiert, sehr gefühlvoll spielt Asli Kiliç den ganzen Zyklus. Sie hält mit ihrer lebendigen Phrasierung die Spannung und erhöht sie am Ende noch durch die ausgedehnten Trugschlüsse. Immer, wenn schon zartes Klatschen einsetzt, wird noch ein Anhängsel intoniert. Dann setzt ein Dialog zwischen der Kreisleriana und dem Ensemble ein. Arrangiert ist er von Martin Albrecht. Facettenreich und überraschend sind die Beiträge der einzelnen Musiker. Deutlich ist eine Stimme zu hören, aber kein Mund öffnet sich. Ach ja, das ist ja der elektronisch gesampelte Sprachfetzen. E.T.A. Hoffmann wird da zitiert oder sollte man besser sagen: Kater Murr analysiert die zeitypische Figur des Musikers? Nur die ersten Fetzen sind zu verstehen, dann legt sich der Diskurs der Instrumente über die gesprochenen Worte.

Warum hieß es: Augen auf? Nun, man sieht am Wechsel der Pianisten von Asli Kiliç auf Daniel Prandl, dass die Klassik in den Jazz gleitet. Man sieht, dass Christopher Herrmann sein Cello vor dem Steg oder hinter dem Steg streicht und zupft, dass er klopft und streichelt. Man sieht Eva Pöpplein Instrumente wechseln, Monitore im Auge haben, Knöpfe bedienen, ein freundlicher Irrwisch hinter dem Aufbau. Aber man darf natürlich auch nach innen sehen. Auch hier ist alles zugelassen. E.T.A. Hoffmann lässt seine Geschöpfe in Fantasieräumen leben. Und Fantasien wechseln fast unbemerkt und ohne Ansage, gerade wie die einzelnen Stücke, die zwar Namen haben, aber keine Grenzen.

Als das Spiel leise wird, das Cello seelenvoll und schwärmerisch, dazu die Klarinette mit herrlich schmeichelndem Ton, fühlt sich der Hörer aus dem Wirbel heraus ein wenig zur Ruhe gekommen, aber bald setzt ein Kribbeln ein. Piano, Schlagzeug und Electronics wecken das Cello auf, das gleich im Pizzicato mitgeht und auch die Klarinette mitreißt. Schneller, höher, weiter... „Vom Brüten zum Schaffen“ ist es überschrieben.

Von Christopher Herrmann arrangiert „Reminiszenz und Vorahnung. Wie der Titel sagt, findet man Zitate früherer Passagen. Einzelne Töne von verschiedenen Instrumenten verbinden sich zu Zitatfetzen der Kreisleriana.

Aufgelöst in Geistertöne, so klingt die Klarinette. Obertöne schweben im Raum. Es plätschert, rieselt, gluckert, schafft Gewölbe und liebliche Landschaften. Eva Pöpplein fügt eigene Muster zu den „normal klingenden“ Instrumenten. Die beiden Pianisten spielen vierhändig.

Aus dem Nichts heraus wieder ein klassischer Einwurf. Dann mehrere Duos mit unterschiedlichen Beteiligten, die ihre verschiedenen Stile und Ideen miteinander verknüpfen. Schließlich improvisieren alle miteinander. Genial, dass trotzdem ein Gesamtklang entsteht, der nicht abstößt, sondern anregt.

Gesprochen aus dem Hintergrund wieder ein Zitat von E.T.A. Hoffmann, in dem er den Zustand vor dem Einschlafen beschreibt, wenn im Delirium Farben und Töne in Harmonie sind. Entspannend breitet sich ein weicher Tonteppich aus. Aber wer glaubte so eingelullt in den Abend entlassen zu werden, der hatte sich geirrt. Plötzlich werden alle Geister geweckt und finden sich zu einem fulminanten Finale.

Begeisterter Applaus. So ein außergewöhnliches Konzert in Bad Camberg, das ist ein Geschenk. Schade für jeden, der so ein Kleinod unbeachtet liegen ließ.

Petra Schramm

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