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Ganz normale Süchtige aus ganz normalen Familien

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Von: Sabine Rauch

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Ganz vertraulich und professionell: Panja Schweder und Judith Hautzel (von links) vom Verein für Integration und Suchthilfe wissen, wie wichtig die Arbeit mit suchtkranken Menschen ist.
Ganz vertraulich und professionell: Panja Schweder und Judith Hautzel (von links) vom Verein für Integration und Suchthilfe wissen, wie wichtig die Arbeit mit suchtkranken Menschen ist. © Sabine Rauch

Kontaktbeschränkungen, Abstands- und Hygieneregeln machen die Arbeit der Mitarbeiter in der Jugend- und Drogenberatung nicht gerade leichter - aber umso wichtiger

Limburg-Weilburg -Manchmal sind es die Eltern, die sich melden, weil sie es nicht mehr ertragen, dass ihr erwachsener Sohn noch immer nicht für sich selbst sorgen kann, weil er so mit seiner Sucht beschäftigt ist oder weil die Tochter in der Schule schlechter wird, ständig schwänzt, nicht mal mehr Lust auf ihre Reitstunden hat und sich immer mehr zurückzieht. Manchmal sind es die Süchtigen selbst, die merken, dass sie so nicht mehr leben wollen, dass es so nicht mehr weitergeht, dass sie ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, ihren Job verlieren oder erst gar keinen finden. Der Leidensdruck ist meistens groß wenn die Sucht zum Thema wird.

Sucht ist noch immer ein Tabu. Dabei sei sie eine Krankheit für die dasselbe gelte wie für alle anderen Erkrankungen auch, sagt Judith Hautzel. "Mit ein bisschen Disziplin und gutem Willen ist da nicht viel zu machen." Aber einen wesentlichen Unterschied gebe es doch: "Bei allen anderen Erkrankungen suchen sich die Betroffenen viel früher fachliche Hilfe." Judith Hautzel und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Jugend- und Drogenberatung des Vereins für Integration und Suchthilfe (VIS) sind fachliche Helfer in Sachen Sucht.

Seit fast 25 Jahren unterstützt die Jugend- und Drogenberatung im Landkreis Limburg-Weilburg Süchtige und ihre Angehörigen, und trotzdem haben viele noch nie etwas von diesem Angebot gehört. Das liege auch daran, dass Süchtige stigmatisiert werden, sagt Panja Schweder, Vorsitzende des Vereins für Integration und Suchthilfe. Dabei kann es jeden treffen.

Kostenlos und

mit Schweigepflicht

Judith Hautzel, die Leiterin der Jugend- und Drogenberatung und der Fachstelle für Suchtprävention, formuliert es so: "Aus ganz normalen Familien kommen ganz normale Süchtige." Und zwar aus allen Dörfern, aus allen Schichten. "Wir wollen alle Menschen dabei unterstützen, ohne Sucht durchs Leben zu gehen." Kostenlos und mit Schweigepflicht.

Natürlich hat die Pandemie auch der Jugend- und Drogenberatung die Arbeit nicht gerade leichter gemacht. Weil viele Menschen unter den sozialen Folgen leiden und die Gefahr süchtigen Verhaltens in der Vereinsamung und Hoffnungslosigkeit wächst. Und weil die Beraterinnen und Berater kreativ sein müssen, wenn der persönliche Kontakt mit den Klienten durch Kontaktbeschränkungen erschwert wird, aber existenziell wichtig ist. Deshalb bietet die Jugend- und Drogenberatung Gespräche am Telefon, per Video und auch "Frischluftberatungen" an.

Wichtig sei, dass niemand länger als eine Woche auf ein Erstgespräch warten muss. Und zwar auf ein Erstgespräch mit einer Fachkraft. "Wenn die Menschen sich entschieden haben, endlich anzurufen, müssen sie auch eine ordentliche Auskunft bekommen", sagt Judith Hautzel. "Im Erstgespräch werden die Pflöcke eingeschlagen. Da wird geklärt, welche Themen brennen." Und wie es weitergehen kann, welche Hilfsangebote nötig sind, wer einbezogen werden sollte.

"Wir arbeiten systemisch", sagt Judith Hautzel. Denn jeder Süchtige lebt in einem sozialen System und versucht - so wie jeder Mensch - sich an seine Umwelt anzupassen und sie in ein Gleichgewicht zu bringen, auch wenn er selbst dabei Schaden nimmt. "Und wenn sich einer in dem System verändert, verändert sich das ganze System." Deshalb sei die Angehörigen-Beratung auch so wichtig und effektiv. Aber oft reicht das nicht aus: Manche Klienten werden in Entgiftungs- oder Therapieeinrichtungen vermittelt, manche in eine Psychotherapie.

Männlich und Probleme

mit illegalen Drogen

Das erste Ziel sei es aber, die Krankheitseinsicht zu fördern - und die Zuversicht, dass man etwas ändern kann. Egal, welche Ausprägung die Sucht hat - ob es um einen Jugendlichen geht, der mit Drogen experimentiert oder um einen Erwachsenen, der schon viele Jahre abhängig ist, mit allen sozialen und gesundheitlichen Folgeschäden. "Das Highlight ist es, wenn es jemand dauerhaft in die Abstinenz schafft", sagt Judith Hautzel. Aber für einen Suchtberater sei es schon ein Erfolg, wenn ein Klient sich eingesteht, dass er krank ist und versteht, dass es nicht um Schuld geht, sondern um Verantwortung. Und dafür müssen Judith Hautzel und ihre fünf Kolleginnen und Kollegen erst einmal einen Einblick in das Leben des Klienten bekommen, in die Risikofaktoren, in die Gründe für das süchtige Verhalten. "Die Erkrankung muss bewältigt werden", damit nicht einfach der Suchtstoff getauscht wird. Und auch da gilt: "Je früher umso besser."

Wer zur Jugend- und Drogenberatung kommt - oder von der Schule oder dem Gericht geschickt wird - ist in der Regel männlich und hat vor allem Probleme mit den illegalen Drogen und manchmal auch noch zusätzlich mit dem Alkohol. THC, also Cannabis, und Amphetamine und ihre Folgen machen bislang die größten Probleme. Den Suchtberatern machen vor allem die synthetischen Cannabinoide Sorgen - wegen der fatalen Folgen für den Körper und die Psyche und des großen Suchtpotentials. Aber auch die "Legal Highs" seien eine große Gefahr, jene legalen Drogen, die als Badesalze, Stärkungspillen oder Kräuterdüfte daherkommen, aber eine Wirkung haben können wie LSD, Ecstasy, Kokain und Cannabis.

Viele der Klienten seien polytox, also von verschiedenen Drogen abhängig, sagt Panja Schweder. Insgesamt 365 Ratsuchende sind im Jahresbericht 2020 - dem Jahr mit den beiden Lockdowns - für die Jugend- und Drogenberatung Limburg verzeichnet (15 mehr als 2019 und fast 100 mehr als 2018); die Zahlen für 2021 liegen noch nicht vor. Immerhin 43 der Klienten waren jünger als 17 (sechs weniger als 2019 und 23 weniger als 2018). Ob das im Umkehrschluss bedeutet, dass immer weniger Jugendliche einen problematischen Drogenkonsum haben, ist eine ganz andere Frage. Judith Hautzel formuliert es so: "Je früher die Sucht zum Thema gemacht wird, desto früher hat der Süchtige die Chance, etwas zu ändern." sabine rauch

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