Hadamar: Die „goldene Waldregel“ der Wildlinge

Seit Mai ist die Waldkita in Betrieb - Die Kinder sind glücklich, Eltern und Erzieherinnen ebenfalls
Oberzeuzheim -Millionen Menschen in diesem Land sehen den bevorstehenden Herbst- und Wintertagen mit bangen Blicken entgegen. Die elf kleinen Wildlinge aus Oberzeuzheim nicht. Wenn's kalt wird, drehen sie die Waldheizung auf: Die Jungen und Mädchen stellen sich hintereinander im Kreis auf und rubbeln dem Vorderkind den Rücken. Das ist gemütlich, gesellig und erwärmend, und es ist ein Detail des waldpädagogischen Konzepts, das Michaela Reinz, die Leiterin des Waldkindergartens, ihren Wildlingen anbietet.
Vor mehr als vier Monaten hat der Waldkindergarten am Ortsrand des Hadamarer Stadtteils seinen Betrieb aufgenommen. Alles läuft prima, sagt die Leiterin. Elf Jungen und Mädchen zwischen drei und sechs Jahren besuchen derzeit die Einrichtung des Vereins Wildlinge. Betreut werden sie von Michaela Reinz, zwei weiteren Erzieherinnen und einer Berufspraktikantin.
Die Entstehungsgeschichte der Waldkita ist wechselvoll. Man kann sagen, die Pfade dorthin waren verschlungen, überwuchert und bisweilen blockiert, ehe im Frühjahr dieses Jahres die politischen Gremien für die Einrichtung votierten und ihre finanzielle Beteiligung zusagten. Die Unterstützung von den Familien sei dagegen von Anfang groß gewesen, sagt Lydia Schmidt-Köroglu vom Vorstand des Vereins.
Ein Bauwagen - nur für Wechselkleidung
Als die Betriebserlaubnis erteilt war, richteten die Eltern das Terrain beim Schützenhaus her. Der Pavillon wurde mit Holzbänken und -tischen in Kindergröße möbliert, ein Spielhäuschen gezimmert und eine Sandkiste angelegt. Auch einen Bauwagen zogen die Eltern auf den Platz, in dem Materialien verstaut werden - und die Wechselklamotten, berichtet Michaela Reinz. Schließlich sind die Wildlinge den ganzen Tag im Freien. Nur bei Sturm muss die gesamte Mannschaft den Wald verlassen und in ihren „Sturmraum“ im Pfarrheim bei der Kirche umziehen. Sonst nicht. Weder bei praller Sonne, noch bei Dauerregen.
Die Widrigkeiten des Wetters würden die Kinder gar nicht merken, sagt die Leiterin. Sie spielen in der Natur mit dem, womit die Natur aufwartet: Steine, Gräser, Hölzer, Matsch. Zu verwenden ist alles, entweder um beispielsweise in der Matschküche aus den Zutaten des Waldes ein Fantasiegericht zu produzieren, oder um etwa den Vorschulkindern erste Kenntnisse von Mengenlehre zu vermitteln. Zählen lernen kann man auch mit Steinen, Bucheckern oder Kastanien, sagt die Kita-Leiterin.
Wichteldorf und Pipi-Ecke
Auch die Lern- und Lebensumgebung verlangt keine geschlossenen Räume. Daher führt vom Pavillon am Schützenhaus, an dem sich Kinder und Erzieherinnen morgens ab 7.30 Uhr treffen, ein schmaler Waldpfad, ein „Geheimweg“, durchs Unterholz und über eine Brücke zum Waldplatz der Wildlinge. Mit großen Baumstämmen und Ästen sind hier verschiedene Bereiche angelegt. Einen Barfußpfad gibt es, ein Wichteldorf und selbstverständlich eine Pipi-Ecke. Auch die Matschküche ist hier eingerichtet, in einer Kiste sind einige Kinderwerkzeuge und Gerätschaften deponiert.
Mitten im Wald ist eine Zeltplane gespannt, unter die die Jungen und Mädchen schlüpfen können, wenn sie ausruhen wollen, wenn eine Erzieherin aus einem Buch vorliest oder wenn ein Wildling Geburtstag hat. Dann werde das Zelt geschmückt, sagt Michaela Reinz. Denn Waldkindergarten bedeutet keineswegs, dass auf Traditionen verzichtet wird. Es ist nur alles ein wenig anders, erklärt sie. Die Kinder haben mehr Bewegungsfreiheit, und das eröffnet eben auch mehr Raum für Kreativität.
Regeln gibt es allerdings auch für die Wildlinge. Zum Beispiel die „Goldene Waldregel“, die bestimmte Punkte im Wald festlegt, die die Kinder nicht überschreiten sollen. Ja, betont Erzieherin Reinz, „das funktioniert einwandfrei“. Dass sich das Miteinander dynamischer gestalten wird, wenn die Kita-Gruppe größer ist, sei klar. Bis März sollen insgesamt 20 Wildlinge im Wald herumspringen. Dann ist die Kapazität der Einrichtung erschöpft. Bis dahin wird es auch einige kalte und unwirtliche Tage geben, an denen die Waldheizung angeworfen und dem Vordermann der Rücken warm gerubbelt werden muss.