Hier steht Multimedia auf dem Stundenplan

95 neue Thesen im Lutherjahr lautet das Thema. Die Freiherr-vom-Stein Schule Dauborn ist eine von zwölf hessischen Schulen, die an diesem Projekt von Hessischem Rundfunk und Kultusministerium teilnehmen darf. „Behinderung – da dauert doch eh alles länger!“ ist ihre These.
Eine lange Stange schwebt über dem Kopf des Richters, unten hängt das Mikrofon, das die Statements aufnehmen wird. Eine solche Situation ist Thomas Becker schon gewohnt. Oder doch nicht so ganz. Denn die lange Stange ist in diesem Fall ein Besen. Tobias (13) hält ihn fest und lässt das Mikro schweben. Der gleichaltrige Leon sitzt am iPad, kontrolliert die Aufnahme, stellt fest: „Ich habe keinen Ton.“ Das Licht ist auch noch nicht optimal. „Geh doch bitte dort hin“ – Joachim Meißner, Mediencoach des Hessischen Rundfunks, schiebt eine Schülerin vor das sehr sonnige Fenster. Jetzt stimmt die Beleuchtung bei Richter Becker. Das Filmteam der Klasse 8 R a startet das Interview.
Hilfe vom Mediencoach
Ab sofort darf niemand mehr den Klassenraum verlassen oder betreten. Auch Michael Stadnik darf nicht mehr hinein. Der zweite Mediencoach wartet vor dem Klassenzimmer. Gerade hat er noch mit einer anderen Gruppe daran gearbeitet, die Behinderten-Tauglichkeit der Freiherr-vom-Stein-Schule in Wort und Bild festzuhalten. Genauer gesagt: Das zweite Filmteam hat sich mit Christine von Witzleben auf den Weg gemacht. Die Lehrerin ist seit vier Jahren auf den Rollstuhl angewiesen, erklärt, welche Erleichterung sich selbst öffnende Türen sind – oder der Fahrstuhl. Und das nicht nur für sie. „Unser Hausmeister nutzt ihn ja auch. Das ist eine echte Hilfe, wenn wir etwas Schweres transportieren müssen.“
Seit einigen Wochen haben sich die 28 Schüler der 8 R A mit ihrem Politiklehrer Sascha Lange auf diesen Tag vorbereitet. Die Klasse ist eine von zwölf, die am Projekt „95 neue Thesen“ des Hessischen Rundfunks teilnimmt. Luther ist Geschichte, diese Thesen sind Gegenwart. „Wir sind natürlich froh, dass wir den Zuschlag bekommen haben“, sagt Lange. Zumal alle anderen teilnehmenden Schüler deutlich älter seien.
Im Unterricht hatten sich die 13- und 14-Jährigen Gedanken gemacht und ihre These gefunden: „Behinderung – da dauert doch eh alles länger!“ Einen ersten kurzen Film von anderthalb Minuten haben sie bereits auf der Website. Fabian spielt einen blinden Schüler. Eine zugespitzte Alltagssituation, die zeigt, wer wann im Vorteil ist – und was man voneinander lernen kann. Vor allem Rücksichtnahme.
Das ist es auch, was den Alltag der Schüler bestimmen sollte – stärker noch, als das manchmal der Fall ist. Übrigens nicht nur beim Thema Behinderung. „Hänseleien gibt es auch hier“, sagt Lea (13). Oder: Wenn Du mit der einen befreundet sein willst, kannst Du es nicht mit der anderen sein. Schüleralltag. Hier geht es darum, dazuzulernen. „Jeder Mensch ist gleich und hat das Recht, mit Respekt behandelt zu werden“, zitieren Lea und die gleichaltrige Jessica aus ihrem Fazit. Daran arbeiten sie noch. Doch eines hat Jessica, deren Eltern aus Russland stammen, schon festgestellt: Sie hat überhaupt keine Berührungsängste oder Probleme, weil sie nicht aus Deutschland stammt.
Die Jugendlichen haben sich Gedanken gemacht, Situationen durchgespielt, sich auf den Richter vorbereitet, der erklärt, wie es funktioniert, wenn vor Gericht alle gleich sind, aber manche Menschen auf Unterstützung angewiesen sind – damit eben wirklich alle die gleichen Rechte haben. In Deutschland war das nicht immer so. Die Jugendlichen werden Patricia Birkenfeld dazu befragen. Die Geschichts- und Englischlehrerin arbeitet regelmäßig in der Hadamarer Gedenkstätte. In der dortigen Euthanasieanstalt wurden während des Zweiten Weltkriegs 14 500 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ermordet.
„Alle verdienen Respekt.“ Dieser Satz steht heute über dem Fazit der Schüler. Und: Manchmal ist es besser, wenn etwas mehr Zeit braucht, haben sie gelernt. Dass es helfen kann, inne zu halten, nachzudenken. Und dass man von Schülern mit Behinderung viel lernen kann. Dazu wollen sie die Leiterin der Astrid-Lindgren-Schule befragen.
Alltagstaugliches Thema
Für Schulleiterin Judith Lehnert ist das Projekt aus verschiedenen Gründen wichtig: „Die Schüler lernen Medienkompetenz“, erklärt die Pädagogin. Aber auch Teamwork, technisches Wissen und nicht zuletzt Inhalte. Denn mit ihrer These haben sie ein Themenfeld gefunden, das in den Alltag reicht und sehr gut behandelt werden kann. Das werden sie unter anderem im Internet tun, denn die Beiträge, die die einzelnen Gruppen erstellen, werden veröffentlicht, kommentiert und diskutiert.