Arzt kritisiert Corona-Warn-App: „Zahnloser Tiger“ im Kampf gegen das Virus

Bei einem Arzt aus Limburg-Weilburg zeigt die Corona-Warn-App seit Monaten nur ein geringes Infektionsrisiko an. Dafür soll es einen bestimmten Grund geben.
- Für zahlreiche Menschen ist die Corona-Warn-App ein ständiger Begleiter im Pandemie-Alltag.
- Ein Arzt aus dem Kreis Limburg-Weilburg kritisiert die App stark.
- Er bezeichnet die App als „zahnlosen Tiger“ im Kampf gegen das Coronavirus.
Limburg - "Niedriges Risiko. Bisher keine Risiko-Begegnung." Seit Monaten zeigt die Corona-Warn-App auf meinem Handy nur diese eine Meldung an und immer nur die eine Farbe: Grün. Grund für Entwarnung? Glück? Oder gar ein Zeichen dafür, dass die App gar nichts bringt? Die Corona-Zahlen im Nassauer Land steigen, die Warn-App stört das offenkundig nicht. Woran liegt es, dass ich bisher trotz zahlreicher vor allem beruflicher Kontakte keine einzige Warnmeldung auf seinem Handy erhalten habe?
Corona in Limburg: Offizielle Nutzerzahlen der Warn-App bleiben unveröffentlicht
Zum einen vermutlich an ihrer geringen Verbreitung: Laut Wikipedia wurde die Corona-App seit ihrem Erscheinen am 16. Juni zwar mehr als 22 Millionen Mal heruntergeladen. Wie häufig sie aber tatsächlich installiert und aktiv genutzt wird, lässt sich bestenfalls vermuten. Dabei war die deutsche Covid-19-App des Robert Koch-Instituts (RKI) mit lauter medialer Begleitmusik gestartet. Ein wirksamer Pandemie-Schutz im digitalen Zeitalter sollte sie sein, dazu noch den strengen Richtlinien des deutschen Datenschutzes entsprechend. Seitdem ist es ruhig um die mit großen Vorschusslorbeeren gestartete Corona-Warn-App geworden. Offizielle Nutzerzahlen hat das RKI bis heute nicht veröffentlicht. Doch wie sind die Erfahrungen von Gesundheitsamt, niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern mit der Warn-App?
Im Kreis Limburg-Weilburg bisher kein positiver Corona-Test nach App-Warnung
Kreissprecher Jan Kieserg erklärt dazu auf Anfrage: "Es melden sich immer wieder Personen beim Gesundheitsamt des Landkreises Limburg-Weilburg oder den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, um mitzuteilen, dass die App rot geworden ist. Es erfolgt dann eine Testung mittels PCR-Abstrich. Bisher ist unserem Gesundheitsamt kein Fall bekannt, bei dem ausschließlich wegen der roten App der Test erfolgte und die Person nach einer solchen Testung selbst positiv getestet wurde." Fazit: Zumindest scheint die App zu funktionieren.
Der Dehrner Allgemeinmediziner Dr. Johannes Löw, seine Ehefrau und eine weitere medizinische Fachangestellte nutzen die Corona-Warn-App auch privat: "Bei mir persönlich hat die Corona-App bisher noch nie auf einen Risikokontakt, weder leicht noch schwer, hingewiesen", berichtet Dr. Johannes Löw. Seitdem die Warn-App in Kreis Limburg-Weilburg verfügbar ist, habe seine Praxis in den vergangenen Monaten nur zwei Patienten zum Abstrich gehabt, bei denen die App sie dazu aufgefordert hatte.
Bis zu 100 Coronatests pro Woche in Arzt-Praxis im Kreis Limburg-Weilburg
Und getestet wird viel in der Arztpraxis im Kreis Limburg-Weilburg. Laut Dr. Löw wurden in den vergangenen Monaten etwa 80 bis 100 Coronatests pro Woche durchgeführt, sowohl als PCR als auch als Antigen-Schnelltests. Unter den Getesteten befinden sich nach Löws Angaben symptomatische Patienten ebenso wie Lehrer und Erzieher. Lediglich Reiserückkehrer spielten in den vergangenen Wochen fast keine Rolle mehr. "Wir weisen die Patienten auch darauf hin, dass man die Möglichkeit hat, über einen persönlichen QR-Code, den unser Labor bei Abstrichentnahme für den Patienten zur Verfügung stellt, das Testergebnis in die persönliche Corona-App übertragen zu bekommen", sagt er. Und weiter: "Obwohl wir auch positiv getestete Patienten haben, bei denen ein direkter naher Kontakt im Rahmen der Abstrichentnahme und körperlichen Untersuchung stattgefunden hat, ist zumindest bei uns nie ein Hochrisiko-Kontakt über die App gewarnt worden."
Kreis Limburg-Weilburg: Corona-App für Johannes Löw ein „Zahnloser Tiger“
Löws persönliches Urteil über die Corona-App ist daher deutlich: Für ihn ist die Corona-Warn-App ein "zahnloser Tiger" im Kampf gegen das Coronavirus. Dafür seien aus seiner Sicht in erster Linie die hohen Datenschutzauflagen in Deutschland verantwortlich. "Stattdessen werden Methoden genutzt, die bereits im Mittelalter gegen die Pest eingesetzt wurden. Damals wurde auch Abstand gehalten, wurden die Menschen isoliert und Pestmasken getragen. Die App hat sicherlich großes Potenzial, um dem Virus Einhalt zu gebieten, scheitert aber an den ganzen Auflagen."
Das St.-Vincenz-Krankenhaus in Limburg lässt mitteilen, dass es gar nicht zuständig ist für Menschen, denen die Corona-App eine Risikobegegnung meldet. Sprecherin Nicola von Spee erklärte auf Anfrage: "Da wären wir ja auch definitiv der falsche Ansprechpartner. Wenn jemand eine Risikobegegnung hatte, muss sich derjenige an das zuständige Gesundheitsamt wenden."
Corona in Limburg: Kassenärztlicher Vereinigung liegen keine Daten der Corona-App vor
Nicht zuständig, keine Warnungen, kaum Fälle - so richtig gezündet hat die Corona-App bislang offenbar nicht. Eine Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen nach Erfahrungen mit der Warn-App ist ebenfalls ernüchternd: "Die angefragten Daten liegen uns leider nicht vor. Das gilt ebenso für Rückmeldungen von den niedergelassenen Ärzten. Vom Gesundheitsamt angeordnete Testungen aufgrund einer Warnung durch die App werden selbstverständlich durchgeführt", heißt es auf NNP-Anfrage.
Völlig wirkungslos ist die Corona-Warn-App des RKI gleichwohl ganz offensichtlich nicht. Die Nachfrage bei Kollegen ergab: Zwei von ihnen haben zumindest schon einmal Begegnungen mit einem "geringen Risiko" gehabt. So scheint denn folgendes Fazit nahe liegend: Von der Corona-Warn-App sollte sich niemand Sicherheit erhoffen. Anderseits: Sie schadet auch nicht und kann vielleicht ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor neben Abstand halten, Hygieneregeln einhalten, Maske aufziehen und Kontakte vermeiden sein.
Wie funktioniert die Corona-App?
Die Corona-Warn-App misst laut Robert-Koch-Institut (RKI) mittels Bluetooth-Technik den Abstand zwischen Personen, die die App installiert und aktiviert haben und ermöglicht, dass sich das Smartphone diese Begegnungen merkt. Dafür tauschen die Geräte untereinander temporäre verschlüsselte Zufallscodes (Bluetooth-ID) aus. Diese temporären Zufallscodes werden mehrfach pro Stunde kryptografisch aus dem zufälligen Geräteschlüssel des Smartphones abgeleitet. Die zufälligen Geräteschlüssel (oder Tagesschlüssel) werden täglich neu erzeugt.
Wird eine Nutzerin oder ein Nutzer der App positiv auf das Coronavirus getestet, können sich diese dafür entscheiden, ihre eigenen Geräteschlüssel zum Abgleich weiterzugeben. Die Corona-Warn-App informiert die Nutzerinnen und Nutzer per Mitteilung, wenn sie sich in der Vergangenheit für eine bestimmte Zeit in der Nähe einer Corona-positiven Person aufgehalten haben. Je nach Art der Begegnung mit einer Corona-positiven Person wird der Nutzerin oder dem Nutzer ein Infektionsrisiko angezeigt. Die App unterscheidet zwischen geringem und erhöhtem Risiko und gibt gleichzeitig Handlungsempfehlungen.
Die Corona-Warn-App ist kostenlos zum Download im Apple App-Store und Google Play-Store in Deutschland und verschiedenen anderen Ländern verfügbar. (Rolf Goeckel)