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„Axtmörder“-Prozess in Limburg: Heimtückischer Mord - oder nicht?

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In Limburg hat der Prozess gegen den sogenannten „Axtmörder“ begonnen - mit einer Überraschung.
In Limburg hat der Prozess gegen den sogenannten „Axtmörder“ begonnen - mit einer Überraschung. © Joachim Heidersdorf

Überraschung zum Prozessauftakt gegen den sogenannten „Axtmörder“: Imad A. wollte nicht nur seine Frau töten, sondern auch sich selbst. Das sagte sein Verteidiger Wolfgang Stahl. Er begründete mit dem gescheiterten Versuch eines erweiterten Suizids die aus seiner Sicht verminderte Schuldfähigkeit des 34-Jährigen.

Limburg – Zehntausende haben Imad A. vor sechseinhalb Monaten auf einem Video als blutrünstiges Monster gesehen. Wie von Sinnen schlug er mit einer Axt mehrmals mit voller Wucht auf seine am Boden liegende Frau ein. 30 Verfahrensbeteiligte und Zuschauer erlebten ihn gestern als ruhigen Mann, der wirkt, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun.

Zum Prozessauftakt im Limburger Landgericht macht der 34-Jährige einen gefassten Eindruck. Er kommt aus dem angrenzenden Gefängnis ohne Handschellen in den Schwurgerichtssaal. Im Gegensatz zu fast allen Angeklagten, denen schwere Verbrechen zur Last gelegt werden, versteckt er nicht sein Gesicht. Die tunesischen Wurzeln sind nicht zu erkennen. Imad A. hat lockige braune Haare, trägt eine dunkle Hornbrille, ein oliv-grünes Fieldjacket mit Kapuze, ein graues Hemd und Blue-Jeans.

Prozessauftakt Limburg: Staatsanwaltschaft klagt den  „Axtmörder“ des heimtückischen Mordes an

Vor Verhandlungsbeginn spricht er aus gebotener Distanz mit seinem Verteidiger Wolfgang Stahl. Als er sich beim Einzug der Kammer von seinem Platz erhebt, ballt er kurz die linke Faust und starrt ins Leere.

Ihm gegenüber Rechtsanwältin Sandra Jung aus Koblenz, die im Auftrag des Jugendamtes als Nebenklägerin auftritt. Der inzwischen vierjährige Sohn und das im nächsten Monat drei Jahre alt werdende Mädchen leben bei einer Pflegefamilie an einem geheimen Ort. Dahinter der Leitende Oberstaatsanwalt Michael Sagebiel, der wenig später in Vertretung der kurzfristig ausgefallenen Dezernentin Sabine Hönnscheidt die Anklage verliest.

Sie lautet auf heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen und umfasst zwei weitere Punkte: Imad A. soll durch den absichtlich herbeigeführten Unfall einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr begangen und durch die Bedrohung mit einer Schreckschusswaffe Zeugen genötigt haben.

„Axtmörder“-Prozess: Er habe seine Ehefrau auf dem Gehweg in Limburg "abgeschossen"

Sagebiel fasst das brutale Geschehen in elf Minuten zusammen. Er erklärt, dass der Familienvater die Tat akribisch geplant hat. Imad weiß, dass seine Frau mit den beiden gemeinsamen Kindern im Limburger Frauenhaus lebt. Er kennt den Weg, den Sana mit den Kleinen morgens von dort zur Kita im Mütterzentrum geht. Imad bestellt sich einen Bart und eine Perücke. Kauft eine Axt und eine Schreckschusspistole. Mietet sich am Vortag als „Mordwaffe“ einen Audi A 6 Avant mit 150 KW.

Damit fährt der 34-Jährige am 25. Oktober 2019 von seinem Haus in Nickenich 70 Kilometer nach Limburg. Im Auto eine Axt, zwei Küchenbeile, drei Messer, Pfefferspray mit Patronen, eine geladene Schreckschusswaffe, Klebeband, Einweghandschuhe, Bart und Perücke. Der Mann ist gegen acht in Limburg - seine 31-jährige Frau um 8.22 Uhr tot. Bestialisch hingerichtet.

Prozessauftakt in Limburg: Die Anklage lautet „Heimtückischer Mord aus niederen Beweggründen“ 

„Durch sein Handeln wollte er seine Frau dafür bestrafen, dass sie ihn mit den Kindern verlassen und sich seinen Wünschen widersetzt hatte“, betont Sagebiel. Er berichtet:

Imad parkt um 8.06 Uhr auf dem Platz zwischen Bahnhof und Schiede. Beobachtet, dass Sana um 8.07 Uhr mit dem Doppelkinderwagen in die Hospitalstraße geht. Dreht eine halbe Runde im Kreisel, parkt wieder und sieht Sana zurückkommen. Um 8.22 Uhr umrundet Imad mehrfach langsam den Kreisel - biegt in die Weiersteinstraße ein und gibt Vollgas. Innerhalb von fünf Sekunden beschleunigt er den A 6 von ca. 44 auf 89 km/h und rast auf seine Frau auf dem Bürgersteig zu.

„Axtmörder“ von Limburg: 18 Hiebwunden und schwerste Verletzungen

Sie bekommt nichts mit. Sana wird von hinten erfasst und 22,5 Meter weit nach vorn geschleudert. Ihr Körper berührt und verdreht Verkehrsschilder an einer Straßenlaterne in 3,60 Meter Höhe. Der Pkw durchbricht den Metallzaun auf dem Parkplatz der Kreishandwerkerschaft und kracht mit hohem Tempo in das alte Bruchsteingebäude in der Weiersteinstraße 6. Die Frau fliegt gegen die Heckklappe und bleibt leblos hinter dem Auto liegen.

Zwei Zeugen ziehen den eingeklemmten Fahrer durch die Beifahrertür aus dem Wrack. Imad sammelt sich kurz und zielt mit einer Waffe auf die Helfer. Die Männer rennen davon. Der Täter holt von der Rückbank ein 30 Zentimeter langes Küchenbeil mit einer 18 Zentimeter langen Klinge und später aus dem Kofferraum eine 45 Zentimeter lange Axt mit einer acht Zentimeter langen Klinge. Imad packt das Werkzeug mit beiden Händen und schlägt mit voller Kraft insgesamt 18 mal auf Kopf und Hals. Sana wird beinahe enthauptet. Dabei beschimpft er seine Frau als „blöde Schlampe“. „Du hast es ja so gewollt“, schreit er.

„Axtmörder“-Prozess in Limburg: Kein Widerstand gegenüber der Polizei

Die Rechtsmediziner stellen 18 Hiebwunden, zahlreiche Frakturen und schwerste innere Verletzungen fest. Der Unfall hat zum Tod geführt, Sana ihr Abschlachten nicht erlebt.

Der Mann im schwarzen Trainingsanzug mit weißen Seitenstreifen versucht nicht zu fliehen. Er geht ruhig auf dem Parkplatz hin und her, legt sich beim Eintreffen der Polizisten mit ausgestreckten Armen auf den Bauch und lässt sich widerstandslos festnehmen.

„Axtmörder“-Prozess in Limburg: Verteidiger will Hintergründe beleuchten

Der Angeklagte will sich am zweiten Verhandlungstag zur Person und zur Sache äußern. Die für gestern vorgesehene Erklärung wird wegen des Ausfalls der Staatsanwältin verschoben. Sie soll die Einlassungen hören und Fragen stellen können.

Dafür lässt sein Anwalt Wolfgang Stahl aufhorchen. Der Koblenzer, der zu den bekanntesten Strafverteidigern Deutschlands zählt (er hat im NSU-Prozess die Hauptangeklagte Beate Zschäpe vertreten), „verrät“ in einer Eröffnungserklärung seine Strategie. Stahl will die Kammer von der verminderten Schuldfähigkeit seines Mandanten überzeugen und ihn so vor einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bewahren.

Limburg: Verteidiger spricht von „erweitertem Suizidversuch“

Die aus der Bewertung der Ermittlungsergebnisse gezogenen Schlüsse seien keineswegs zwingend, sagt er. Stahl spricht von einem „gescheiterten Versuch eines sogenannten erweiterten Suizids“, zu dem Imad sich erst kurz vor der Tat entschlossen habe. Diese nachvollziehbare Möglichkeit sei im vorläufigen psychiatrischen Gutachten überhaupt nicht in Betracht gezogen worden.

Weiter von Bedeutung für die rechtliche Bewertung der Geschehnisse sind laut Stahl die Umstände, die zur Trennung von Imad von seiner Ehefrau und vor allem von seinen Kindern geführt haben. Dabei geht es um die niedrigen Beweggründe. Für die Gesamtbetrachtung der "handlungsleitenden Motive" für die Tat werde es sich daher nicht vermeiden lassen, in der Beweisaufnahme auch die bisherige Beziehung Imads zu Sana, ihre Angaben gegenüber Dritten hierzu und insbesondere das Verhältnis zu seinen Kindern in den Blick zu nehmen.

Der Prozess wird am Mittwoch, 20. Mai, um 9 Uhr fortgesetzt. Wegen der Corona-Auflagen ist die Zahl der Zuhörer auf 13 begrenzt. Einlass wird ab 8.30 Uhr nach der Reihenfolge des Erscheinens gewährt. Gestern standen die Interessenten schon um acht Schlange. Außerdem können nur sechs Journalisten dabei sein. Zum bundesweit mit Spannung erwarteten Prozessauftakt mussten die meisten Medienvertreter außen bleiben; kurz fotografieren und filmen durfte lediglich jeweils einer.

Joachim Heidersdorf

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