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Drohendes Diesel-Fahrverbot in Limburg: Stadt schaut dem Land beim Verlieren zu

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Von: Stefan Dickmann

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Der Passivsammler am Musikhaus Sandner (oben links) an der Schiede war 2010 die einzige Messstelle, die den Grenzwert für Stickstoffdioxid - allerdings deutlich - überschritten hat. Trotz der Pandemie und dadurch einem Rückgang des Verkehrs lag der Wert bei 44,5 Mikrogramm; erlaubt sind seit 2010 nur maximal 40 Mikrogramm.
Der Passivsammler am Musikhaus Sandner (oben links) an der Schiede war 2010 die einzige Messstelle, die den Grenzwert für Stickstoffdioxid - allerdings deutlich - überschritten hat. Trotz der Pandemie und dadurch einem Rückgang des Verkehrs lag der Wert bei 44,5 Mikrogramm; erlaubt sind seit 2010 nur maximal 40 Mikrogramm. © Stefan Dickmann

In Limburg sind Fahrverbote für ältere Diesel-Modelle offenbar nicht mehr abzuwenden. Und das bereits im Jahr 2022. Die Stadt schaut ohnmächtig zu. 

Limburg - Wer bei einem Fußballspiel in der ersten Reihe sitzt, kriegt zwar alles auf dem Spielfeld mit. Er kann anfeuern oder pfeifen. Aber er nimmt trotzdem kaum Einfluss.

So ergeht es derzeit der Stadt Limburg im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel, in dem über drohende Dieselfahrverbote entschieden wird. Und nicht nur dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Christopher Dietz drängt sich dieses Bild von der Stadt als (ohnmächtigem) Zuschauer auf, wenn es um das hartnäckige Luftproblem an der Schiede und die große Verkehrspolitik in der Innenstadt geht.

Drohendes Dieselfahrverbot in Limburg: Angst vor einem noch schärferen Verbot

Zwei Teams treten in dem Gerichtsverfahren in Kassel gegeneinander an: Die Deutsche Umwelthilfe glaubt sehr sicher zu wissen, dass sie gewinnen wird. Das Land Hessen glaubt inzwischen auch sehr sicher zu wissen, dass es verlieren wird. Und die Stadt, die unter der sich abzeichnenden Niederlage des Landes leiden wird - Dieselfahrverbote auf der Hauptverkehrsachse in der Innenstadt schon vom kommenden Frühjahr an für mindestens einige Jahre -, kann nicht mehr tun, als von der ersten Reihe aus ihren Unmut über den Spielverlauf in Kassel kundzutun. Die vage Hoffnung, doch noch irgendwie zu gewinnen, ist purem Frust gewichen und dem Gefühl, vom Land im Stich gelassen worden zu sein.

Seit elf Jahren muss auch die Stadt Limburg den bundesweit geltenden Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2 ) einhalten. Das für die Einhaltung sämtlicher Luftschadstoffgrenzwerte in den hessischen Kommunen zuständige Land hat deshalb 2011 einen ersten Luftreinhalteplan für Limburg aufgestellt, der allerdings erst sechs Jahre später das erste Mal verschärft wurde, unter anderem mit der Einführung einer Umweltzone, und derzeit zum zweiten Mal angepasst wird, unter anderem mit einer schon vor Kurzem umgesetzten Tempo-40-Zone auf der Schiede.

Limburg: Es drohen weiter Fahrverbote für Diesel-Modelle -

Was hat nun das Land in den vergangenen Jahren selbst konkret veranlasst, um Dieselfahrverbote noch abzuwenden? "Die beiden Maßnahmen Umweltzone und Tempo 40 in Limburg gehen auf den Landkreis Limburg-Weilburg als Straßenverkehrsbehörde zurück", teilt der Sprecher der Stadt, Johannes Laubach, mit. "Das Land sieht sich als Fördermittelgeber, wobei die Kommunen dann selbst tätig werden müssen. Dabei geht es um allgemeine Förderprogramme und nicht um Programme für Kommunen, die Grenzwerte bei der Schadstoffbelastung überschreiten", erklärt Laubach weiter. Zumindest vom Bund gebe es für "Luftreinhaltestädte" wie Limburg das Aktionsprogramm "Saubere Luft". Um aus diesem Programm Fördermittel abrufen zu können, habe die Stadt den "Green City Plan" aufgestellt.

Im Entwurf zur zweiten Fortschreibung dieses Plans, der spätestens im November verbindlich gelten soll, stehen nun vom Land selbst vorgeschlagene Dieselfahrverbote auf der Schiede (ab Karstadt) bis zur Pallottinerkirche an der Frankfurter Straße (B 8); betroffen wären ältere Diesel der Euronormen 4 und 5. Das Land argumentiert, ohne Fahrverbote sei der NO2-Grenzwert in Limburg im nächsten Jahr nicht einzuhalten. Doch dieser müsse mit Blick auf das seit 2018 schwebende Verfahren sofort eingehalten werden, sonst drohe ein schärferes Urteil in Kassel mit Fahrverboten auch für Diesel der Euronorm 6.

Debatte um Dieselfahrverbote: Limburg mit Sonderstellung - "Da kann doch was nicht stimmen"

In der Diskussion darüber fiel in der Sondersitzung zweier städtischer Ausschüsse in der vergangenen Woche immer wieder der Begriff "Verhältnismäßigkeit". Denn unter allen deutschen Städten mit einem NO2-Problem, nimmt Limburg eine Sonderstellung ein: Es ist keine Großstadt wie Frankfurt oder Stuttgart mit dem gleichen Luftproblem, sondern eine Kleinstadt mit nur einer wirklich großen Verkehrsachse, die deshalb auf keine anderen größeren Verkehrachsen innerhalb der Stadt als Ausweichstrecke verweisen kann. In Limburg fahren auch keine S-Bahnen, keine U-Bahnen, keine Straßenbahnen, keine Busse im Zehn-Minuten-Takt. Fahrverbote zeichnen sich vom 1. April 2022 an trotzdem ab.

Hartnäckig hält sich in den Reihen der Stadtverordneten die Überzeugung, dass da etwas am neuralgischen Punkt - dem Straßenabschnitt auf der Schiede in Höhe von Karstadt - nicht stimmen kann: Dass die hohen Messwerte dort falsch sein müssen. Dass es komisch sei, dass die NO2-Werte auch abends so hoch sind, wenn deutlich weniger Autos fahren. Dass da doch gar kein Mensch wohnt. Dass die schlechte Luft von der Autobahn oder von irgendwelchen Industrieanlagen stammen. Und überhaupt, dass wenn auf der A3 mal wieder Stau ist, sich der komplette Autobahnverkehr durch die Innenstadt walzt, und die Limburger dafür wirklich nichts können.

Limburg droht Dieselfahrverbot: 90 Prozent der NO2-Werte auf der Schiede durch Autos

Ein Vertreter des Umweltministeriums hörte sich diese Vorbehalte in der Sondersitzung zwar geduldig an, machte aber deutlich, dass diese alle nicht zutreffend seien. Knapp 90 Prozent der zu hohen NO2-Werte an der Schiede würden nun einmal durch den Autoverkehr verursacht. Die Autobahn sei viel zu weit entfernt, um für schlechte Luftwerte an der Schiede verantwortlich zu sein. Staus auf der A 3 bei Limburg mit der (vom Land verteidigten) Umleitung des Verkehrs durch die Innenstadt seien nicht für die zu hohen NO2-Werte ursächlich; das sei intensiv untersucht worden.

Die Messstellen seien mehrfach technisch überprüft worden und lieferten korrekte Ergebnisse. Der Standort der Messstellen sei mehrfach juristisch geprüft und für korrekt befunden worden. Und an der Schiede und Frankfurter Straße wohnten tatsächlich Menschen: Von den Überschreitungen des NO2-Grenzwerts seien insgesamt rund 270 Menschen direkt betroffen. Das Land Hessen habe sich diese Zahl nicht ausgedacht, sondern von der Stadt Limburg übermittelt bekommen.

Doch das Problem an der Schiede zwischen Karstadt, wo eine Messstation steht, die stündliche Werte liefert, und dem Musikhaus Sandner mit einem an der Fassade angebrachten Passivsammler, der noch immer frustrierende Monatswerte liefert, ist neben der trotz Corona immer noch erheblichen Verkehrsmenge noch etwas anderes - der mangelnde Luftaustausch an dieser Stelle. Man kann streiten, ob die hohen Hausfassaden falsch stehen oder der Wind falsch weht. Aber schon daran erkennt man, wie schwierig es ist, gerade hier für einen guten Luftaustausch zu sorgen. Das Wetter hat dennoch einen relativ großen Einfluss auf die Messwerte in Limburg. Lufthygienisch ist Hochdruckwetter immer sehr schlecht, Tiefdruckwetter dagegen immer recht gut.

Limburg: Bei einem Urteil könnte noch strengeres Dieselfahrverbot drohen

Das Phänomen an der Schiede - miese Schadstoffwerte, obwohl doch schon seit Stunden kaum noch Verkehr fließt - lässt sich bei ungünstigen Wetterlagen vergleichbar erklären wie bei einem leeren, schlecht durchlüfteten Raum, in dem man sich mit Corona infiziert, obwohl doch schon seit Stunden keiner mehr in dem Raum war. Doch die Aerosole eines Infizierten, der sich dort vor Stunden aufgehalten hat, schweben weiter durch den Raum.

Wie geht es nun weiter? Die Stadtverordneten wollen noch vor Beginn der nächsten Sitzungsrunde nach den Sommerferien zu einer weiteren Sondersitzung der beiden zuständigen Ausschüsse am Montag, 30. August, zusammen kommen - nachdem sie bei der ersten Sondersitzung erfahren mussten, dass das Land Hessen ein Urteil in Kassel unbedingt vermeiden will, weil es davon ausgeht, dass die Richter das Land zu schärferen Dieselfahrverboten verdonnern.

Verkehrspolitik in Limburg: Magistrat kündigt Stellungnahme zum Dieselfahrverbot an

Spätestens am 30. August soll eine (politische) Stellungnahme des Magistrats vorliegen. Die einzelnen Fraktionen werden sich politisch äußern. Und schon jetzt und in den kommenden Wochen werden die beiden heimischen CDU-Landtagsabgeordneten von ihren Limburger Parteifreunden ein deutliches "So auf gar keinen Fall" zu hören bekommen, damit die CDU in der Landesregierung ihren Einfluss geltend macht.

Vielleicht wird es auch eine Resolution der Stadtverordneten gegen die drohenden Dieselfahrverbote geben. Oder der hessische Ministerpräsident bekommt Post aus Limburg mit nicht ganz so freundlichen Grüßen wie sonst üblich.

Die Grünen in Limburg wiederum sehen sich in der Debatte zu Unrecht an den Pranger gestellt. Hinter den Dieselfahrverboten stehen zwar zwei von den Grünen gestellte Minister des Verkehrs- und des Umweltministeriums. Aber die Grünen in Limburg nehmen für sich in Anspruch, schon lange vor dem Jahr 2010 auf eine andere Verkehrspolitik in Limburg gedrängt zu haben - ohne auch nur ansatzweise auf offene Ohren gestoßen zu sein. Niemand bei den Grünen habe sich Fahrverbote gewünscht, aber vor dieser Konsequenz Jahr für Jahr gewarnt - ohne Erfolg.

Es droht ein noch strengerer NO2-Grenzwert: Luftproblem in Limburg wird sich nicht auflösen

Wer nun gegen das Bild der Stadt als ohnmächtiger Zuschauer Einwände hat, der muss sich nur einmal anschauen, welch messbaren Effekt die von der Stadt im neuen Luftreinhalteplan umgesetzten Maßnahmen haben: Die neue Stadtlinie 6 zum Stadthaus auf der Dietkircher Höhe, damit es eine Alternative zum Auto gibt, der Ausbau des bislang nur in den Abendstunden eingesetzten Anrufsammeltaxis, das künftig "Lahn Star" heißt und vom 1. Oktober an auch tagsüber im Einsatz ist, um die Stadtteile mit kleinen E-Bussen direkt zu verbinden, und schließlich die deutlich höheren Parktarife vom 1. August an - das alles kommt zusammen nur auf einen Rückgang der NO2-Grenzwerte von 0,2 Mikrogramm im Jahresmittel. Dieselfahrverbote sorgen für eine Entlastung von 9,4 Mikrogramm.

Und für alle, die meinen, mit der Einhaltung des Grenzwerts von 40 Mikrogramm sei die Stadt aus dem Gröbsten raus: Die für diesen Grenzwert verantwortliche Weltgesundheitsorganisation hat im März angekündigt, diesen verschärfen zu wollen. Erwartet wird ein neuer Grenzwert von 25 bis 30 Mikrogramm für NO2, der vermutlich in wenigen Jahren auch in Deutschland gelten wird. Das Luftproblem wird sich nicht in Luft auflösen. (Stefan Dickmann)

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