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Strom und Gas in Limburg: "Da werden Leute bestraft"

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Von: Stefan Dickmann

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Einfluss auf seinen persönlichen Stromverbrauch hat jeder Verbraucher, aber Einfluss auf die derzeit hohen Preise, die für bestimmte Kunden verlangt werden, dagegen nicht.
Einfluss auf seinen persönlichen Stromverbrauch hat jeder Verbraucher, aber Einfluss auf die derzeit hohen Preise, die für bestimmte Kunden verlangt werden, dagegen nicht. © Stefan Dickmann

Der Energiemarkt spielt verrückt: Viele Verbraucher müssen plötzlich deutlich mehr zahlen, weil ihnen günstige Verträge gekündigt werden. Auch in Limburg.

Limburg – Nein, kein Verbraucher muss Angst haben, plötzlich ohne Strom oder Erdgas dazustehen, wenn der bisherige Energielieferant einfach den Vertrag kündigt. Aber jeder Betroffene muss Angst haben, von seinem Grundversorger kräftig zur Kasse gebeten zu werden und pro Kilowattstunde rund das Doppelte und noch mehr zu zahlen, was sonst in der bislang dafür vorgesehenen Grundversorgung verlangt wird. Die Botschaft ist deutlich: Wir müssen, aber wir wollen nicht.

Der Energiemarkt spielt derzeit verrückt: Kunden werden von günstigen Anbietern aus laufenden Verträgen geworfen, weil diese zu kurzfristig kalkuliert haben und der Einkauf von Strom und Erdgas so teuer geworden ist. Andere Anbieter weigern sich, neue Kunden aufzunehmen. Und die Grundversorger? Müssen die gekündigten Kunden, die im Versorgungsgebiet wohnen, mit Strom und Erdgas beliefern, und lassen sich das teuer bezahlen. "Rechtlich ist diese Praxis noch nicht eindeutig geklärt", teilt die Verbraucherzentrale Limburg mit.

Limburg: Schneller Anbieter-Wechsel kaum möglich

Die EVL verlangt zum Beispiel für diese Neukunden, die plötzlich unverschuldet vor der Tür stehen, in der sogenannten Ersatzversorgung beim Strom einen Arbeitspreis von 55,31 Cent pro Kilowattstunde; in der Grundversorgung sind es nur 31,03 Cent. Beim Erdgas zeigt sich das gleiche Muster: 18,4 Cent pro Kilowattstunde Erdgas in der Ersatzversorgung statt maximal 10,02 Cent in der Grundversorgung.

Nicht einmal ein Wechsel in einen günstigeren Tarif zu einem späteren Zeitpunkt ist derzeit möglich. Die EVL begründet dies mit den hohen Beschaffungskosten an den Terminmärkten, die "weit über dem Niveau der aktuellen Produktverträge mit einer festen Laufzeit der EVL" lägen. Zwar kommen die Kunden aus der teuren Ersatzversorgung täglich raus - wenn sie denn noch einen Anbieter finden, der sie haben will. Ein Teufelskreis.

Teure Stromtarife in Limburg: „Nicht im Sinne des Gesetzes“

Dass nun flächendeckend Grundversorger sehr teure Ersatztarife geschaffen haben, sieht Dr. Michael Dettelbacher von der Verbraucherzentrale Hessen kritisch. „Das ist nicht im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes und der von der Politik ausdrücklich gewünschten Deregulierung des Energiemarkts, um mehr Wettbewerb zu schaffen und günstigere Preise für Strom und Gas für die Verbraucher zu ermöglichen“, sagt der Leiter für Verbraucherrecht und Verbraucherpolitik bei der Verbraucherzentrale Hessen.

Es sei der ausdrückliche Wunsch auf Bundesebene gewesen, möglichst viele Verbraucher zu animieren, sich neue, günstigere Anbieter zu suchen. Dass nun von vielen dieser Anbieter einseitig, zum Teil rückwirkend oder trotz ursprünglich vereinbarter längerer Laufzeit, ihre Verträge gekündigt bekommen haben, sei nicht hinnehmbar. Und die Reaktion der Grundversorger, die diese Kunden aufnehmen müssten, wenn sie im Verbreitungsgebiet wohnen, erwecke den Eindruck: "Da werden Leute bestraft, die den bezweckten Marktmechanismus genutzt haben, nun aber an ein Unternehmen geraten sind, das unzureichend kalkuliert oder unlauter am Markt agiert hat."

Strompreise in Limburg: Gesetzgeber in der Pflicht

Der Verbraucherschutz-Experte sieht vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht, klare gesetzliche Regeln zu schaffen, zum Beispiel, wie hoch maximal Ersatztarife ausfallen dürften und eine zeitliche Begrenzung einzuführen, die es noch nicht gibt. Das, was jetzt geschehe, bewegt sich aus seiner Sicht in einer juristischen Grauzone. Die Mainova in Frankfurt zum Beispiel verlange seit Anfang des Jahres beim Strom den circa 2,5-fachen Preis im Vergleich zum bis dahin für Neukunden geltenden Grundtarif und beim Gas sogar den circa dreifachen Satz.

Es sei nun Aufgabe der Kartellbehörden, bei "Anhaltspunkten für Missbräuchlichkeit in der Kalkulation", zu überprüfen, ob diese Tarife angemessen seien. "Kein Verbraucher weiß, wie sein Energieversorger auf der Beschaffungsseite kalkuliert, seine Beschaffungskonditionen abgesichert hat und wie teuer durch die Neukunden zusätzlich einzukaufender Strom und Gas wirklich ist; auch wir kennen diese Interna als Verbraucherzentrale nicht", sagt Dettelbacher.

Hohe Strompreise: In Limburg wird mit weiteren Kündigungen gerechnet

Die EVL spricht von bislang weit mehr als 1000 Kunden in ihrem Grundversorgungsgebiet, die von der Kündigungswelle von zwei bis drei größeren Energielieferanten sowie einiger kleinerer Strom- und Gaslieferanten betroffen seien und nun von der EVL mit Strom und/oder Erdgas versorgt werden müssten. "Dadurch, dass derzeit noch keine grundlegende Entspannung der Marktsituation ersichtlich ist, rechnen wir mit weiteren Kündigungen durch Energiediscounter und Billiganbietern, die kurzfristig am Markt agieren", teilt Vanessa Wagner von der EVL mit. "Wir können Stand heute nicht abschätzen, wie groß die Welle von gekündigten Lieferverträgen oder Insolvenzen noch wird."

Praktisch alle Stadtwerke und kommunalen Energieversorger erlebten derzeit einen ungewöhnlich großen Kundenzuwachs in der Grund- und Ersatzversorgung. Seit vielen Jahren stelle sich auch die EVL dem Wettbewerbsprinzip zwischen Energieversorgern. "Es kann jedoch nicht sein, dass Billigdiscounter mit Tiefpreisen locken, wenn der Markt dies hergibt, aber von heute auf morgen einfach ihre Lieferung einstellen, sobald ihnen der Einkauf zu teuer wird", kritisiert Wagner. "Wenn wir als Grundversorger einspringen müssen, dürfen unsere treuen Stammkunden nicht bestraft werden, indem sie mit höheren Preisen dafür büßen sollen, dass sich viele Verbraucher zuvor lediglich an den tiefsten Preisen, nicht aber an der Versorgungssicherheit orientiert haben." Wer immer nur kurzfristig auf die höchste Einsparung setze, bezahle das mit einem höheren Risiko.

Strom in Limburg: EVL finanziert Stadtbusse mit

Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Hessen ist die große Mehrheit der Verbraucher in der Vergangenheit bequem gewesen und hat seinen Anbieter - trotz höherer Verbraucherpreise - nicht gewechselt, was nun kurioserweise ein Vorteil ist. "Aber der Anteil der Kunden, die auf den Verbraucherpreis genau achten und ihre Anbieter oft mehrfach wechseln, ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen", sagt Dettelbacher. Sonst gäbe es auch nicht "Wechselhelfer", Unternehmen, die sich darauf spezialisiert hätten, für Wechselwillige den für sie günstigsten Tarif zu finden und prozentual an der Ersparnis beteiligt sind.

Die EVL gehört zu 60 Prozent der Stadt Limburg. Aufsichtsratsvorsitzender ist Bürgermeister Dr. Marius Hahn (SPD). Auf Anfrage wollte er sich zu dem Thema nicht direkt äußern, sondern verwies auf die unternehmerische Entscheidung der EVL.

Wie aus dem Beteiligungsbericht der Stadt Limburg für das Jahr 2021 hervorgeht, ergab sich durch die Beteiligung der Stadt an der EVL im Geschäftsjahr 2020 ein Bilanzgewinn in Höhe von knapp 2,2 Millionen Euro, der zu einem Großteil dem Eigenbetrieb "Stadtlinienverkehr" zufloss. Wer von der EVL Strom und Gas bezieht, finanziert also die Stadtbusse mit.

Wenn Stromanbieter kündigt: Widerspruch einlegen

Was sollen Kunden tun, denen von ihrem Energielieferanten plötzlich gekündigt wird? Die Verbraucherberatung in Limburg rät zum schriftlichen Widerspruch gegen die Kündigung oder eine Preiserhöhung durch den vorherigen Anbieter und stellt dafür Musterbriefe zur Verfügung. Diese gibt es ebenfalls für eine Schadensersatzforderung wegen der gestiegenen Energiekosten. Die Beraterinnen der Verbraucherberatung in Limburg stehen für Fragen rund ums Thema Energie zur Verfügung unter (0 64 31) 2 29 01. Die Außenstelle Bad Camberg ist unter (0 64 34) 4 02 81 08 erreichbar. (Stefan Dickmann)

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