Limburg: Vor knapp 25 Jahren wurde eine Chance vertan

ÖPNV, Fußgänger und Radfahrer sollten hofiert werden. Gutachtens für den "sozial-ökologischen Verkehr" abgelehnt
Limburg -Die Stadt Limburg versucht händeringend, den Straßenverkehr in den Griff zu bekommen. Vor dem Hintergrund des anhaltend hohen Schadstoffausstoßes droht ihr im nächsten Jahr ein gerichtlich verhängtes Dieselfahrverbot. Mit vielen kleinen Maßnahmen hoffen die Verantwortlichen im Rathaus, einer solchen Einschränkung zu entgehen. Darüber hinaus knüpft die Stadt große Erwartungen an ihren "Masterplan Mobilität 2030".
Was auch immer bisher umgesetzt wurde oder im Luftreinhalteplan beabsichtigt ist, darüber hatte sich der klagende Verein, die Deutsche Umwelthilfe, unlängst lächerlich gemacht. In der Verantwortung steht das Land Hessen, wobei Stadt und Kreis ihrerseits mit ihren Mitteln versuchen, sich aus der Zwangslage zu befreien.
Doch das Problem ist nicht neu. Mitunter lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. 2021 ist es 25 Jahre her, da in Limburg die Umsetzung eines Gutachtens für den "sozial-ökologischen Verkehr" (kurz "Söv" genannt) abgelehnt wurde. Es handelte sich um ein landesweites Modellvorhaben, wofür Limburg unter 30 interessierten hessischen Kommunen ausgewählt worden war und das ein Bündel von 300 Einzelmaßnahmen enthielt. Seine drei Eckpfeiler bestanden in der Bevorrechtigung und dem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), in Verbesserungen für Fußgänger und in deutlich mehr Fahrradwegen.
Preisgeld musste
zurückgezahlt werden
Das Land Hessen hatte für die Modellstadt Limburg ein Preisgeld in Höhe von 900 000 Mark bereitgestellt, von denen die Stadt im Vorfeld bereits zwei Drittel ausgegeben hatte. Die Umsetzung der Gesamtmaßnahmen hätte 30 Millionen Mark kosten sollen; sieben Millionen davon hätten Bund und Land tragen wollen. Die Stadtverordneten lehnten das Konzept wegen einiger ungewollter Knackpunkte mehrheitlich ab. Stattdessen sollte die Umsetzung von Einzelvorschlägen geprüft und gegebenenfalls verwirklicht werden. Das Preisgeld musste an das Land zurückgezahlt werden.
Das mit dem Gutachten beauftragte Düsseldorfer Ingenieurbüro Schlegel & Spiekermann verwies vorab auf den spürbaren Nutzen einer Umgehungsstraße. Da aber ein jeder auch Mitte der 90er Jahre wusste, dass diese nicht sobald verwirklicht werden könne, hatten die Gutachter die Aufgabe, sich auf innerstädtische Maßnahmen zu konzentrieren.
Als oberstes Gebot wurde ein Stadtbus-System im Ein-Stunden-Takt vorgeschlagen, das mit dem Regionalverkehr kooperiert. Dreh- und Angelpunkt sollte der umgestaltete Bahnhofsvorplatz sein, so auch für einen Nachtbus, Anrufsammeltaxi, ICE-Shuttle und Gepäckaufbewahrung. Ein Großteil davon wurde inzwischen umgesetzt.
Auf den Straßen sollten Busse bevorrechtigt fahren können, an 20 Ampeln nicht mehr warten müssen. Dies sollte unter anderem durch die Einrichtung von zwei Kilometern Busspur erreicht werden. Dafür sollten im Straßenraum 180 Parkplätze verschwinden, die durch den Neubau eines stadtnahen Parkhauses im Tal Josaphat ersetzt werden sollten.
Pförtnerampeln vor
den Toren der Stadt
Zentrale Maßnahme für den motorisierten Individualverkehr war der Vorschlag eines Pförtnersystems an fünf Ampelanlagen, die vor den Toren der Stadt nur so viele Fahrzeuge in die Innenstadt hereinlassen sollten, wie diese verkraften kann. Das Konzept sah die Einbahnregelung stadtauswärts (also nicht wie derzeit angedacht stadteinwärts) für die alte Lahnbrücke sowie eine Fußgängerzone zwischen der Bahnhof- und der Hospitalstraße vor.
Das damals angeregte Parkleitsystem mit 31 angeschlossenen Parkhäusern und -plätzen ist inzwischen weitgehend umgesetzt. Fürs Parken sollte es drei Gebührenzonen, Anwohner- sowie Kurzzeitparken geben, der Verkehr auf einer Achse in die Innenstadt, auf zwei Achsen hinausgeführt werden. Für 13 Straßen waren Geschwindigkeitsreduzierungen vorgesehen, drei sollten Einbahnstraßen, zwei Straßen gesperrt sowie Kreisverkehre berücksichtigt werden.
Für Fußgänger schlugen die Planer neben vier neuen Ampelanlagen mit fußgängerfreundlichen Steuerungen einige verbreiterte Gehwege und Überquerungshilfen vor. Schließlich müsse die Bedeutung des Fahrrads in der Stadt eine Stärkung erfahren durch viele neue Radwege und -streifen, Aufstellflächen an Kreuzungen sowie 17 "Bike & Ride"-Anlagen. Die umweltfreundlichen Verkehrsmittel kombiniert nutzen zu können, war ein weiteres Ziel neben der Einrichtung einer Mobilitätszentrale, die es nun seit längerem gibt.
Auch städtebaulich sah der sozial-ökologische Verkehr auf Vorschlag der Gutachter interessante Neuerungen vor. "Zum Beispiel könnten an 13 Straßen der Stadt zusätzlich 6000 Quadratmeter Straßenraum begrünt, an elf Straßen die Fahrbahnbreite reduziert und zwei Verkehrsknoten umgestaltet werden", hieß es damals.
Die Gutachter prognostizierten eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs von damals 70 auf unter 60 Prozent. Der ÖPNV einschließlich Fußgängerbewegungen und Fahrrädern könnte in der Stadt einen Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen von 42 Prozent einnehmen. Insgesamt ließe sich laut Gutachter der von den Einwohnern selbst verursachte motorisierte Binnenverkehr von damals 54 auf 40 Prozent verringern. Dieter Fluck