Schulen sind keine Infektionsherde

Eigentlich hätten die Siebt- bis Elftklässler seit Montag wieder im Präsenzunterricht sein sollen - wenigstens für einige Tage in der Woche
Limburg-Weilburg -Bisher haben die Schutzmaßnahmen der Schulen im Kreis Limburg-Weilburg gegriffen. Sie sind nicht als Infektionsherde bekannt geworden. Jan Kieserg, Sprecher des Landkreises, schildert die aktuelle Lage: "Derzeit ist eine Schule von einem Ausbruch mit zwei Fällen betroffen. Es gibt in der Schule zwei weitere Erkrankungsfälle, die jedoch nicht mit diesen beiden Fällen zusammenhängen, sondern unabhängig davon aufgetreten sind. Die Ansteckung ist hier im privaten Umfeld erfolgt."
Das sind die guten Nachrichten. Derweil kämpfen Schüler, Eltern, Lehrer, an vielen Fronten. "Die Kinder sind - bis auf die vier bis sechs Wochen, an denen sie an zwei Tagen im Hybridunterricht waren, seit einem Jahr zu Hause. So geht das nicht weiter", sagt Vater Jan Kasiske. Der Sohn seiner Lebensgefährtin ergänzt: "Man hat mir ein Jahr geklaut. Ich habe keine Lust mehr. Ich kann mich nicht mit Freunden treffen und nicht in die Schule." Der zwölfjährige Jascha spricht aus, was viele seiner Schulkameraden denken. Und Kasiske legt einen Finger in eine weitere Wunde: "Ich bin gar nicht sicher, ob jedes Kind über ein Endgerät für den digitalen Distanzunterricht verfügt, wenn ich höre, wie wenige zum Teil in den Chats sind." Er ist dafür, die Schulen nach den Ferien wieder stärker zu öffnen, mehr Hybridunterricht anzubieten - natürlich, nur wenn es die Infektionszahlen erlauben.
Allerdings: "Aus Sicht der Kinder könnte man sicher viel mehr machen", sagt der Runkeler. Er ist ehrenamtlicher Schiedsmann. Einer, der Probleme löst, wo er kann. Und in diesem Fall hänge sehr viel an der jeweiligen Schule oder der Lehrkraft. Sehr positiv: Jaschas Sportlehrer habe alle zum Wettbewerb aufgerufen. Die Siebtklässler sollen laufen, laufen, laufen. Wer in diesem distanzierten Wettbewerb die meisten Kilometer schafft, tut dies für die eigene Klassenkasse. Echte Motivation. "Sicher wäre es vielleicht auch bald möglich, zum Beispiel mit fünf Schülern Unterricht im Freien zu machen", meint Kasiske.
Clemens Ott, kommissarischer Kreisschulsprecher, kann nur bestätigen: "Die meisten hatten sich schon auf den Wechselunterricht ab der Jahrgangsstufe sieben gefreut, um wenigstens zeitweise wieder in die Schule zu kommen." Der Online-Unterricht laufe mittlerweile relativ gut, so sein Eindruck. "Doch das kann die Zeit in der Schule nicht ersetzen." Das Lernen, der soziale Kontakt mit Freunden und Lehrern - das fehle enorm. Mit Schutzmaßnahmen, FFP2-Masken, Abstand, Testen, Wechselunterricht - so hofft der 17-Jährige, werde es doch bald wieder die Möglichkeit geben, in die Schule zu kommen, wenigstens zeitweise. Der Minimum-Gedanke: "So ein Tag in der Woche würde schon viel verändern." Lieber mehr.
Distanz- und
Wechselunterricht
Carola Heuser weiß kaum noch, wo ihr der Kopf steht. Ihre Eltern wurden mit Corona infiziert. Der Vater liegt in Idstein auf der Intensivstation, die Mutter ist allein in Würges in Quarantäne, die 51-Jährige versorgt sie. "Ich putze jede Türklinke, habe das Desinfektionsmittel immer dabei. Rein gehe ich nur mit Schutzmaske, -brille und Handschuhen." Gleichzeitig macht sie Homeschooling mit zwei Kindern. Marvin (14) ist vollständig im Distanz-, Timo (12) im Wechselunterricht (der gilt für die Klassen eins bis sechs sowie die Abschlussklassen).
Im Moment hilft sie bei den Hausaufgaben und erzählt: Timo hat Mathe, das ist etwas leichter. Marvin Deutsch. Das Hin- und Herswitchen ist schwer, dann die Aufgabe: Die Kinder sollen recherchieren, brauchen das Internet, schreiben, verfassen einen kleinen Lexikonartikel - mehr oder weniger mit Hilfe der Eltern, so Carola Heuser. Die technische Ausstattung muss stimmen. Und beide, sie und ihr Mann, haben einen Job "nebenbei". Manchmal versucht sie nachts, Liegengebliebenes wieder aufzuholen. Alles gehe an die Substanz.
Dennoch: Solange die Zahlen steigen, möchte sie nicht mehr Nähe als sein muss, auch im Unterricht. Sie bringt Timo lieber zur Schule, als dass er den öffentlichen Personennahverkehr benutzt. Wie ist die Ansteckungsgefahr im Bus? Sie hat große Bedenken. Gleichzeitig sei es zum Wahnsinnigwerden, wenn der Unterricht daheim wieder still steht. "Das ist besonders montags in den ersten drei Stunden schlimm." Zwischen 8 und 11 Uhr nutzten so viele die LAN-Verbindung, da sei kaum etwas zu machen.
Übergeordnetes
Konzept fehlt
Carola Heuser lobt: Das Gesundheitsamt, das ihr geholfen hat, die Schule, die Lehrer. Da könne man nichts sagen. Nur insgesamt funktioniere so viel nicht, und das nach einem Jahr Pandemie. Das Gleiche hört Björn Jung immer wieder. Der Vorsitzende des Kreiselternbeirats bekommt aus der Elternschaft viel Lob für Engagement übermittelt, aber auch Kritik und Angst. Was allen fehle, sei ein übergeordnetes Konzept, das gleichermaßen greift. Mehr Planbarkeit für alle. Er beneidet diejenigen nicht, die Verantwortung tragen. "Man kann nur eine falsche Entscheidung treffen", sagt er, wenn Gesundheitsschutz auf der einen und soziale Teilhabe/Bildung auf der anderen Seite gegeneinander abgewogen werden.
Die kurze Aussicht, vor den Ferien für zwei Wochen Wechselunterricht ab der siebten Klasse hinzuzunehmen, die Absage und das Festhalten am Status quo: Die Reaktion der Eltern auf die Entscheidung, bei steigenden Infektionszahlen nicht weiter zu öffnen, sei durchweg positiv gewesen, sagt Björn Jung. Dirk Fredl, Sprecher des Staatlichen Schulamts für die Kreise Limburg-Weilburg und Lahn-Dill bestätigt dies. Die Sorge der Eltern ist also groß. Nach wie vor gibt es viele Schwierigkeiten zu bewältigen, draußen und drinnen. Wie geht es weiter mit dem Lehrstoff? Die Angst vor der Ansteckung oder davor, andere zu infizieren, beherrscht alles. Sich schützen, Hygienemaßnahmen ergreifen, Masken, Schnelltests, Impfen - das sind die Mittel, die greifen in der Pandemie.
Björn Jung bedauert, dass es keine Statistik gibt, die zeigt, wie viele Kinder nun tatsächlich abgehängt werden. Dirk Fredl nennt ein gutes Beispiel, wie Schulen versuchen, das zu verhindern: "Das Gymnasium Philippinum in Weilburg erhebt kontinuierlich Lernstände und bietet individuell Förderpläne und digitale Förderkurse an." Das sei kein Einzelfall. Es gebe zurzeit etliche Modelle, die praktiziert werden.
Und der Unterricht? Bis zu den Osterferien läuft alles erst einmal wie bisher. Ob es nach den zwei Wochen schulfrei im gleichen Modell weitergeht oder doch Wechselunterricht für die Klassen ab Jahrgangsstufe sieben eingeführt wird, werden die Infektionszahlen zeigen.
Zweite Blockimpfung
Alles um eine Woche verschoben: So läuft, grob gesagt, das Impfen der Lehrkräfte im Kreis Limburg-Weilburg weiter. Vergangenes Wochenende wäre das zweite geplante Praxiswochenende gewesen, an dem das Schulpersonal im Landkreis mit Astrazeneca hätte geimpft werden sollen. Der vorübergehende Stopp verschiebt alles um eine Woche.
Die Schulen im Landkreis hätten sehr rege von dem Angebot Gebrauch gemacht, Impfwillige anzumelden, sagt Kreissprecher Jan Kieserg. Wie es nun nach der neuerlichen Debatte um Astrazeneca weitergeht, wird sich zeigen. "Alle, die einen Termin bekommen haben, werden auch jetzt einen haben. Bisher wurden sie zu 99 Prozent wahrgenommen", sagt Kieserg.
Sorge wegen
Astrazeneca
Für die Besorgnis gibt es Gründe: 13 registrierte Fälle mit Hirnvenenthrombose in Deutschland seit Beginn der Impfung mit Astrazeneca, davon drei Todesfälle, alles bei 1,6 Millionen Geimpften - diese Zahlen sorgten vergangene Woche für den Stopp, die weitere Analyse dafür, dass nach der Freigabe durch das Hessische Innenministerium seit dem vergangenen Freitag wieder mit Astrazeneca geimpft wird. Die European Medicines Agency (EMA) hatte zuvor festgestellt, dass nach einer Impfung mit dem in der Europäischen Union zugelassenen Vakzin kein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel (sogenannte thromboembolische Ereignisse) bestehe. Auch das Bundesgesundheitsministerium, das Paul-Ehrlich-Institut sowie die Ständige Impfkommission hatten den Impfstoff von Astrazeneca als unbedenklich eingestuft.
Nichts desto trotz: Die Auffälligkeit, das auch jüngere Menschen von der Thrombosegefahr betroffen sind - besonders Frauen - lässt jeden einzelnen nicht kalt, der jetzt entscheiden muss: das Vakzin und seine Nebenwirkungen oder eventuell eine potenziell tödliche Infektion in Kauf zu nehmen. Die Wahrscheinlichkeit, eine Hirnvenenthrombose zu erleiden, ist nach Einschätzung der Institute weitaus geringer als die Gefahren, die von einer möglichen Viruserkrankung ausgehen. Also eine klare Risiko-Entscheidung für die Impfung. Der Virologen Dr. Ralf Hilfrich aus Heringen sieht es anders: "Ich hätte anders entschieden und die Frauen zwischen 30 und 55 Jahren nicht mehr mit Astrazeneca geimpft, sondern dieser Risikogruppe Biontech angeboten. Jede Person, die aufgrund der Impfung stirbt, ist eine zu viel." Er verweist auf das Beispiel Frankreich, wo seit kurzem nur noch über 55-Jährige Astrazeneca erhalten. pp