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"Man muss ständig an sich arbeiten - bis zuletzt"

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Von: Sabine Rauch

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Christiane Nolte an ihrem Arbeitsplatz. Jeden Morgen steht sie um 7 Uhr auf, nach Sport und Frühstück geht es an den Schreibtisch.
Christiane Nolte an ihrem Arbeitsplatz. Jeden Morgen steht sie um 7 Uhr auf, nach Sport und Frühstück geht es an den Schreibtisch. © privat

Christiane Nolte weiß, wie wichtig Engagement ist

Limburg -Natürlich wäre sie gerne noch mal 50. Dann würde sie Psychologie studieren, sagt Christiane Nolte. Ansonsten bereue sie nichts. Nur, dass sie wegen ihrer schlechten Vorbildung nicht studieren konnte. Aber Christiane Nolte hat ihr Leben lang gelernt. Und das bedeutet: 86 Jahre Neugier, Offenheit, Engagement. Und ein "Schlüsselerlebnis" mit 48, man könnte es auch Erweckungserlebnis nennen. Damals hat sie im Marketing bei der Höchst AG gearbeitet; weil ihr Chef nicht konnte, ging sie statt seiner für eine Woche in ein Kloster - zusammen mit einer Handvoll Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur, allesamt Männer. Damals habe sie viel über Egoismus gelernt, sagt Christiane Nolte und darüber, wie viel Kraft ihr Leben bis dahin gekostet hatte. Das Leben einer Frau, die 1935 als große Schwester von drei Brüdern auf die Welt gekommen und zwar in gutbürgerlichem Hause, aber in großer Armut aufgewachsen war - und immer im Ohr hatte, dass sie eigentlich gar nichts lernen müsse, weil sie ja sowieso heiratet.

Dabei habe sie immer lernen wollen, sagt Christiane Nolte. Und die Kraft und Stärke, die sie immer in sich spürte, anderen Menschen geben. Egal, ob in der Aus- und Weiterbildung von Frauen, in der Arbeit für die Eppsteiner CDU oder bei der Seniorenunion Limburg-Weilburg. "Ich bin ein alterozentrierter Mensch", sagt sie. Denn nur wer sich die Perspektive des Anderen zu eigen macht, kann ihm Gutes tun - oder ihn überzeugen. "Ich habe Freude daran, anderen zu helfen." Aber das ist nicht ihr einziges Motiv: "Unsere Gesellschaft lebt vom Ehrenamt." Deshalb sei eigentlich jeder Mensch verpflichtet, seine Stärken zu erkennen, auszubauen und den anderen zur Verfügung zu stellen.

Christiane Nolte ist es nicht leicht gemacht worden, ihre Stärken zu entdecken. Aber sie hat früh gelernt, sich zu behaupten - gegen ihre Brüder und die Gesellschaft. Ständig musste sie die Schule wechseln, mit 16 hat sie diese dann ganz verlassen, zwar mit Mittlerer Reife, aber schlechtem Zeugnis, auch wenn es immer wieder Lehrer gab, die versucht haben, das Mädchen zu fördern. Ihre Brüder studierten, Christiane Nolte machte eine kaufmännische Ausbildung bei einer Versicherung. Und träumte von einer Karriere als Schauspielerin. Ein paar Stunden Schauspielunterricht konnte sie sich zusammensparen, aber die Zugeständnisse, die dann von ihr erwartet wurden, wollte sie nicht machen. "Ich wollte mich nie prostituieren."

Hinaus in die

große weite Welt

Sie war 21, als sie sich in die große weite Welt aufmachte. Als Au-pair-Mädchen ging sie nach England, für anderthalb Jahre. Sie kam zurück, arbeitete im Export, lernte ihren ersten Mann kennen und gründete mit ihm eine Firma - in der Garage. "Als wir uns trennten, hatten wir eine Schilderfabrik." Und Christiane Nolte brauchte einen neuen Job. Sie fand ihn als Sekretärin in einer amerikanischen Firma; als sie mit 36 nach Chicago auswanderte, musste ihr Ehemann noch sein Einverständnis geben.

In den USA war sie dann nicht mehr nur Sekretärin, sie war für alle ausländischen Kunden des Druckmaschinen-Herstellers zuständig. "Als ich zurück nach Deutschland kam, war ich gut situiert", sagt Christiane Nolte. Und sie fing wieder von vorne an. Die Hoechst AG suchte damals einen Marketing-Experten für den außereuropäischen Kundenkreis. Christiane Nolte wäre die Richtige gewesen für den Job. Aber sie ist eine Frau. Deshalb wurde sie Assistentin der Geschäftsleitung, Sekretärin hieß das damals. Aber der Job sei gut gewesen, anspruchsvoll, mit viel Verantwortung. "Und gut fürs Selbstbewusstsein", sagt sie. Aber das reichte nicht. Christiane Nolte trat dem Deutschen Sekretrinnenverband bei, kämpfte für eine bessere Ausbildung von Sekretärinnen und bildete bald selbst aus. "Das war eigentlich mein erstes politisches Engagement", sagt sie und lacht.

Ruhestand war

keine Option

Eigentlich sei sie ein unpolitischer Mensch, aber sie habe immer versucht, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. "Und ich war diejenige, die Weiterbildungen für Sekretärinnen in der Chemie-Industrie durchgesetzt hat." Christiane Nolte lernte weiter, wurde freigestellt, bot erst Seminare für Sekretärinnen an, dann für Marketing-Experten. Sie war 58, als die Abteilung aufgelöst wurde, aber Ruhestand war keine Option.

Christiane Nolte hat als freie Mitarbeiterin Uni-Absolventen Personalführungskompetenz vermittelt. Und wieder waren es die Frauen, die ihr aufgefallen sind. Die Frauen mit Doktortitel, manchmal auch zweien, die immer Angst hatten, aufzufallen und anzuecken. Mit denen hat sie dann erst einmal das richtige Auftreten geübt, versucht, ihnen Stärke zu vermitteln und Selbstbewusstsein.

Oberstes Gebot:

immer gut vorbereitet

Wie das funktioniert, sei bei jeder Frau anders, sagt Christiane Nolte. Sie war immer perfekt präpariert. "Immer gut vorbereitet sein - das war oberstes Gebot." Und das ist es immer noch, auch mit 86. "Ich kann was, ich will was, und das gehe ich auch an." Zum Beispiel in der Seniorenunion Limburg-Weilburg. Seit 20 Jahren lebt Christiane Nolte in Limburg, seitdem ist sie in der Seniorenunion. "Ich lebe hier, deshalb will ich mich auch an den gesellschaftlichen Strukturen beteiligen." Weil sie so ist, wie sie ist, wurden sie gleich in den Vorstand der Seniorenunion gewählt - als Schriftführerin. Das sei nicht gerade ein begehrter Job, und: "Warum soll ich denn das, was ich zu bieten habe, ungenutzt lassen?" Außerdem seien die Protokolle das Grundlagenpapier für die politische Arbeit, sagt sie.

Und alleine könne man nicht viel bewirken. Aber das möchte Christiane Nolte: "Es ist wichtig, dass in unserer Gesellschaft ein breites Angebot, ein weiter Horizont an Möglichkeiten zur Verfügung steht." Auch für die Alten, auch wenn da Kinder und Enkelkinder sind. "Es ist wichtig, dass jeder Mensch Freunde an den eigenen Erfahrungen und Leistungen behält - bis er nicht mehr kann." Und das könne er am besten, wenn er sich für andere engagiert. Das Leben sei eine Aufgabe, sagt Christiane Nolte. Der Mensch müsse ständig an sich arbeiten - bis zum Lebensende. "Damit der Wert, dass man am Leben ist, nicht verloren geht." Sabine Rauch

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