Runkel: "Corona-Festival" soll die Kulturlücke füllen

Krisenzeiten zwingen zum Nachdenken: Einen etwas schrägen Gedanken hat Dieter Burdoch, vielen bekannt als Impulsgeber des Runkler Kultursommers
Runkel -Theater und Konzerthallen sind geschlossen, Vortragsveranstaltungen fallen aus, Ausstellungen finden nicht statt. Für Schauspieler, Musiker und viele andere freischaffende Künstler gibt es derzeit nichts zu verdienen. Für sie entwickelt sich das geltende Kontaktverbot zur Existenzkrise. Zumal viele von ihnen von staatlich zugesagten Hilfen nicht profitieren können. Einblick in die aktuellen Nöte der Kulturschaffenden hat der in Runkel lebende ehemalige Intendant des Frankfurter Künstlerhauses Mousonturm Dieter Buroch, der sich zuletzt ehrenamtlich als Ideengeber und Mitorganisator des Runkeler Kultursommers hervorgetan hat. Seinen engen Kontakten in die Kunst- und Kulturszene sind einige Highlights während der beiden bisherigen Kultursommer-Veranstaltungen zu verdanken.
Als Buroch vor einigen Tagen, wie er sagt, "bei lauter Musik und einer guten Flasche Rotwein", in seinem Garten saß, las er im Internet die "vielen verzweifelten Nachrichten von befreundeten Künstlern", die mit einem Schlag sämtliche Honorare für Auftritte oder Lehrtätigkeiten verloren hatten. Als er eine zweite Flasche Rotwein öffnete, kam ihm eine Idee. Warum nicht ein "Corona-Festival"?, fragte er sich. "Viele Künstler", berichtet er, "versuchen derzeit die entstandene Angebotslücke im Internet zu füllen." Das sei zwar liebenswert, könne aber das Live-Erlebnis nicht ersetzen. "Was aber hindert uns derzeit daran, Theater zu spielen? Es ist zwar alles verboten, aber erlaubt sind immerhin zwei Besucher und ein Abstand zur Bühne von zwei Metern. Aus meiner Zeit als Intendant im Mousonturm erinnerte ich mich an einige wunderbare Produktionen, bei denen aus künstlerischen Gründen auf nur einen oder zwei Besucher bestanden wurde."
Einfall als Scherz auf Facebook gepostet
Beseelt vom guten Wein, habe er die Idee dann eher als Aufheiterung in Facebook gepostet - und wurde überrascht. "Die Reaktion war unerwartet und umwerfend. In kürzester Zeit kamen über 50 begeisterte Vorschläge", berichtet der Runkeler Theatermann. Ein "Corona-Festival" hätte zwar den Nachteil, dass nur zwei Zuschauer auf einmal erlaubt wären, es hätte aber auch manche Vorzüge, ist Dieter Buroch überzeugt. Da ist zum Beispiel die Frage nach dem Veranstaltungsort, sonst Gegenstand langwieriger Planungen und eines großen logistischen Aufwands. "Für zwei Besucher braucht man kein Bürgerhaus mit 1000 Plätzen. Da reicht ein Zelt auf der grünen Wiese oder ein Wohnzimmer mit einer kleinen Bühne und ein paar Scheinwerfern", sagt er.
Auch einige Unannehmlichkeiten würden entfallen. "Notausgänge, Ordner oder feuerpolizeiliche Genehmigungen wären überflüssig, und auch die Parkplätze dürften kein Problem werden. Selbst die sonst so unbestechliche Verwertungsgesellschaft GEMA könnte man bei diesem Format wahrscheinlich umgehen." Natürlich müssten alle Corona-Sicherheitsvorschriften strikt eingehalten werden, stellt Buroch klar. "Notfalls kann man für die zwei Zuschauer und den Darsteller auch eine Schutzkleidung vorsehen. Das könnte allerdings leicht zu Verwechslungen führen weil man optisch den Schauspieler nicht mehr vom Besucher unterscheiden kann. Das kann aber ganz lustig werden."
Theaterstücke und Ideen für ein Corona-Festival gäbe es ebenfalls genug, nennt Dieter Buroch ein paar Beispiele: Die "Audio Tour" von Stefan Kaegie, "What are you afraid of" von Stefan Pucher, "As far as my Fingertips take me" von Basel Zaraa, bei dem Künstler und Besucher durch eine Wand getrennt sind und sich nur an Händen und Armen berühren. "Nachher natürlich Hände waschen!", so Burochs Kommentar. Geeignet wären außerdem "Das Vorlesezimmer" von Claudia Schnürer vom Teatro des los Sentidos, bei dem der Zuschauer durch ein Labyrinth geführt wird, oder "Hautnah" von Felix Ruckert mit einem Tänzer und einem Besucher.
Schließlich gibt es auch noch das "Rimini Protokoll". Dabei erhält der Besucher einen Kopfhörer und wird mit einer abenteuerlichen Geschichte durch die Stadt geführt. "Natürlich", so Buroch, "könnte man auch zahlreiche Kabarettisten und Musiker ansprechen, wenn sie bereit sind, sich auf dieses Experiment einzulassen."
Sogar über große Events könne man nachdenken - "indem man sie einfach kleiner macht", so Buroch. So ziehe die Veranstaltung "Burg in Flammen" der Freiwilligen Feuerwehr Runkel in normalen Zeiten Tausende Besucher nach Runkel. Das geht in Corona-Zeiten natürlich nicht mehr. Die Alternative: "Man könnte ein Feuerwerk für eine Person erfinden. Beispiel: Man nimmt einen Schuhkarton und stellt den auf ein Stativ. An einer Seite ist ein Guckloch für den Zuschauer. Auf der Rückwand ist eine Postkarte von der schönen Burg Runkel. Von unten wird ein kleines Tischfeuerwerk eingeführt und abgebrannt. Ein sehr schönes und exklusives Erlebnis - ohne Ansteckungsgefahr."
Zum Abschluss des Festivals würde sich ein großes Konzert nach dem organisatorischen Vorbild des "Autokinos" anbieten. Keiner verlässt das Auto, und Körperkontakt wird ausgeschlossen. Geklärt werden müsste noch die Situation auf der Bühne. Dürfen nur zwei Musiker da stehen oder gehen auch mehr, wenn sie zwei Meter Abstand halten? "Notfalls müsste man die "Familien-Regelung" prüfen und dann halt die Kelly Family einladen", so Buroch mit einem Augenzwinkern.
Ideen für die Finanzierung
Auch über die Finanzierung hat der Kulturmanager im Ruhestand sich Gedanken gemacht. Zum einen setzt er auf Sponsoren, zum andern auf öffentliche Mittel.. "Immerhin bieten wir das derzeit einzige Theaterfestival auf der Welt an." Und bei den Kosten könnte erheblich gespart werden, denn die hohen Ausgaben für Plakate, Flyer, Programmhefte und Anzeigen könnten stark reduziert werden. Für die erforderlichen zwei Interessenten würden ein paar Anrufe ausreichen. Problematischer würde allerdings mit den Künstlerhonoraren, weiß Buroch. "Bei meinen ersten Gesprächen mit den Künstlern habe ich großzügig 100 Prozent der Einnahmen angeboten. Bei zwei verkauften Tickets wären das 40 Euro. Die Begeisterung war verhalten und gab mir zu denken, ob die Preise für Kunst nicht grundsätzlich viel zu niedrig sind." Deshalb stellt er sich die Frage, ob es nicht Menschen gibt, die bereit sind, für ein Erlebnis für nur zwei Personen auch mal 250 Euro Eintritt zu bezahlen? Die Künstler könnten mehrmals am Tag auftreten, und schon wäre das Gastspiel lohnender.
Buroch ist sich bewusst, dass sein "Corona-Festival" eine etwas "schräge Idee" ist, deren Chance auf Verwirklichung wohl eher gering ist. "Die Krise", sagt er, "zwingt uns aber dazu, auch mal quer zu denken. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, möglichst bald wieder gesund zu den normalen Verhältnissen zurück zu finden. Das ist wichtig für die Besucher - vor allem aber für die freischaffenden Künstler, denen die Existenzgrundlage genommen wurde".
Von Rolf Goeckel
Nicht nur in Limburg leiden besonders Schaustellern unter der Corona-Krise. Viele haben in diesem Jahr noch keinen Cent verdient.