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Villmar: Per Losentscheid zur Ersten Beigeordneten

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Von: Rolf Goeckel

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Der neu gewählte Gemeindevorstand Villmar mit Bürgermeister Matthias Rubröder (Mitte) und der Ersten Beigeordneten Cornelia Peter-Beeck (rechts daneben) sowie dem neuen Vorsitzenden der Gemeindevertretung Andreas Städtgen (Zweiter von rechts, vorne).
Der neu gewählte Gemeindevorstand Villmar mit Bürgermeister Matthias Rubröder (Mitte) und der Ersten Beigeordneten Cornelia Peter-Beeck (rechts daneben) sowie dem neuen Vorsitzenden der Gemeindevertretung Andreas Städtgen (Zweiter von rechts, vorne). © Rolf Goeckel

Cornelia Peter Beeck (SPD) wird künftig den Bürgermeister vertreten - Dieter Scheu (CDU) trägt Niederlage mit Fassung

Villmar -Paukenschlag in der konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung Villmar am Donnerstagabend in Aumenau: Bei der Wahl des Gemeindevorstands gab es ein unerwartetes Patt zwischen CDU und SPD, so dass das Los über den Posten des Ersten Beigeordneten entscheiden musste. Das Glück hatte Cornelia Peter-Beeck von der SPD auf ihrer Seite: Sie wird künftig Bürgermeister Matthias Rubröder (CDU) vertreten. Einen bitteren Abend erlebte die CDU-Fraktion: Sie ging bei der Vergabe der beiden wichtigsten Positionen komplett leer aus.

Denn gemäß zuvor getroffenen Absprachen mit der SPD hatte die CDU auf einen Kandidaten für den Parlamentsvorsitz verzichtet und die Wahl von Andreas Städtgen (SPD) in dieses Amt zumindest teilweise unterstützt. Städtgen löste Ludger Behr (CDU) ab. Ihren Verzicht hatte die CDU offenbar an die Erwartung geknüpft, dass Dieter Scheu (CDU) anschließend zum Ersten Beigeordneten gewählt würde. Darauf durfte die CDU deshalb hoffen, weil sie ein Mandat mehr in der Gemeindevertretung hat als die SPD. Zwar war die Unionsfraktion an diesem Abend nicht vollzählig - ein Gemeindevertreter fehlte - doch dies galt auch für die SPD, so dass es elf zu zehn Stimmen zugunsten der CDU stand. Eigentlich.

Denn weder CDU noch SPD hatten das Abstimmungsverhalten der Aktiven Alternative Villmar (AAV) auf ihrer Rechnung. Eines der beiden anwesenden AAV-Mitglieder (Gertrud Brendgen oder Jens Bröker) stimmte in geheimer Wahl mutmaßlich nicht für die eigene, sondern offensichtlich für die Beigeordneten-Liste der SPD, so dass diese mit der CDU gleichziehen konnte.

Da die Genossen im Vorfeld nicht ausdrücklich auf eine Losentscheidung verzichtet hatten, musste die Vergabe des Postens des oder der Ersten Beigeordneten in die Hände von Fortuna gelegt werden: Parlamentschef Städtgen zog denn auch den Namen seiner Fraktionskollegin Peter-Beeck aus dem Los-Eimer. Damit erhält der Marktflecken Villmar erstmals eine Frau als stellvertretende Bürgermeisterin.

Die weiteren Beigeordneten sind: Dieter Scheu, Sabine Günther, Günter Lehnert und Jochen Schmidt (alle CDU), Bernd Hörle, Thomas Zanger und Frank Stockmann (alle SPD) sowie Lothar Frost und Axel Dornhoff von der UFBL und Thomas Dasch (AAV).

Mit dem Stimmenpatt bei der Beigeordnetenwahl wiederholte sich die Situation von 2016 - mit dem Unterschied, dass vor fünf Jahren die CDU eine zusätzliche Stimme aus der UFBL-Fraktion erhalten hatte und damals zwischen Dieter Scheu und Rainer Philipp (SPD) hätte gelost werden müssen. Scheu hatte seinerzeit auf den Losentscheid verzichtet und damit den Weg für Rainer Philipp frei gemacht. Gegen dieses Vorgehen hatte UFBL-Gemeindevertreter Roland Friedrich geklagt, mit dem Ergebnis, dass gerichtlich festgestellt wurde, dass ein Losentscheid zwingend vorgeschrieben ist, es sei denn, dass eine Fraktion vor der Wahl ausdrücklich darauf verzichtet.

"Für mich geht die

Welt nicht unter"

Der unterlegene CDU-Kandidat Dieter Scheu trug seine Los-Niederlage am Donnerstagabend mit Fassung: "Ich hätte den Posten des Ersten Beigeordneten gerne gemacht, jetzt aber gratuliere ich der Gewinnerin. Für mich geht die Welt nicht unter, das ist Demokratie." Andere CDU-Gemeindevertreter äußerten sich weniger gelassen. Ludger Behr hielt das Verhalten der SPD "entweder schäbig oder unprofessionell". Schäbig, wenn sie möglicherweise mit einer zusätzlichen Stimme kalkuliert haben sollte, unprofessionell, weil sie nicht auf den Losentscheid verzichtet hatte. Auch aus den Reihen der Zuhörerschaft kam Kritik: "Jetzt steht die CDU mit völlig leeren Händen da", schimpfte Gerd Hundeborn aus Villmar, der in den 80er Jahren selbst in der Kommunalpolitik tätig war. "Das kann eigentlich nicht sein." Andere wiesen darauf hin, dass es in der Vergangenheit Brauch in Villmar gewesen sei, dass sich die beiden großen Fraktionen den Posten des Parlamentsvorsitzenden und des Bürgermeister-Stellvertreters teilen. Dies ist nun erstmals seit langem nicht mehr der Fall.

Dass es in der Gemeindevertretung des Marktfleckens offenbar nach wie vor ungelöste Spannungen gibt, hatte sich schon bei der Wahl des Parlamentsvorsitzenden und seiner Stellvertreter gezeigt. So erhielt Andreas Städtgen nur 17 Ja-Stimmen, kassierte aber elf Nein-Stimmen. Sein Stellvertreter Peter Fink erhielt anschließend ebenfalls nur 17 Ja-Stimmen, Roland Friedrich von der UFBL wurde mit nur sechs Ja-Stimmen sogar regelrecht abgestraft. Da es aber nur zwei Gegenstimmen gab, waren beide gewählt. Drei Stimmzettel waren ungültig.

Sachlich fair

diskutieren

Städtgen versicherte, dass er "diese besondere Aufgabe fair, umsichtig und tatkräftig angehen und die anstehenden Parlamentssitzungen sachlich leiten und moderieren" werde. "Wir sind Villmar. Wir haben ein Mandat unserer Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt es zu leben", sagte der Aumenauer. Dabei solle den "Belangen aller Ortsteile Rechnung getragen werden".

Geleitet wurde die Vorsitzendenwahl von Hans-Joachim Mill (SPD) als Altersvorsitzender der Gemeindevertretung. Mill hoffte, dass das "zarte Pflänzchen", dass sich auch jüngere Menschen wieder für die Gemeindepolitik interessieren, weiter gedeihe. "Denn die Herausforderungen, vor denen wir in der Kommunalpolitik stehen, erfordern vor allen Dingen die junge Generation, damit sich die Kommune zukunftsorientiert und nicht rückwärtsgewandt weiterentwickeln kann."

Als persönlichen Wunsch formulierte Hans-Joachim Mill, dass sich in den nächsten fünf Jahren alles, was in der Gemeindevertretung entschieden werden soll, von Anbeginn "vollständig und offen, also ohne irgendwelche Hintertürchen vorgestellt wird, damit es sachlich fair und möglicherweise auch hart bis zu einer Entscheidung jedweder Art diskutiert werden kann."

Planungen, so Hans-Joachim Mill weiter, die hohe Kosten verursachen und in die die Gemeindevertretung nicht von Beginn an eingebunden sind, sollten aufgrund der Finanzsituation des Marktfleckens unterbleiben oder vorher abgesegnet werden.

Weitere Wahlen

Während um die Positionen des Parlamentsvorsitzenden und seiner Stellvertreter sowie um das Amt des Ersten Beigeordneten in geheimer Wahl gerungen wurde, verlief die Wahl der Schriftführer und Verbandsvertreter offen, einstimmig und völlig reibungslos.

Zur Schriftführerin wurde Cornelia Lohr (Elternzeitvertretung bis zunächst Februar 2023 durch Rabia Karakoyun), zu ihrer Stellvertreterin Theresa Philipp gewählt.

Der Verbandsversammlung des Abwasserverbands Runkel-Villmar gehören an: Stefan Rosbach (CDU), Franz-Josef Wünschmann (CDU), Alicia Bokler (SPD), Hans-Joachim Mill (SPD) ujnd Tankfred Köhler (UFBL). Stellvertreter sind Thomas Werner (CDU), Peter Fink (CDU), Hartmut Meuser (SPD), Joachim Gerhardt (SPD) und Roland Friedrich (UFBL).

In die Verbandsversammlung des Abwasserverbands Goldener Grund wurden gewählt: Erik Raab-von der Heyde (CDU) und Peter Frickhöfer (SPD) sowie als Stellvertreter Alfred Georg (SPD) und Otto-Ulrich Heyl (CDU).

In der Verbandsversammlung des Wasserverbands Georg-Joseph sitzen künftig: Andreas Meuth (CDU), Hartmut Meuser (SPD) und Ulrich Aumüller (UFBL). Stellvertreter: Mathias Laux (CDU), Katja Seufert (AAV) und Axel Dornhoff (UFBL).

Im Feldwegeunterhaltungsverband, der Versammlung ekom21, dem Verbandsvorstand des Kläranlagenbetriebsverbands Ems- und Wörsbachtal sowie im Verbandsvorstand des Abwasserverbands Goldener Grund ist die Gemeinde Villmar vom Bürgermeister und seiner Ersten Beigeordneten vertreten.

Jürgen Schmidt (UFBL) legt Mandat nieder

Gemeindevertreter Jürgen Schmidt (UFBL) wird zehn Jahre nach dem Einzug ins Parlament Fraktionsvorsitz und Mandat niederlegen. Den Fraktionsvorsitz übernimmt Rita Frost. Schmidt begründete sein Ausscheiden mit beruflicher Belastung als künftiger Abteilungsleiter und Bundeswehrgeneral im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz. "In dieser Funktion werden politische Meinungsäußerungen schwierig", sagte er dieser Zeitung.

Als weiteren Grund nannte er das Verhalten der CDU-Fraktion, die es "noch nicht einmal fertiggebracht hat, einen Vorschlag für den Parlamentsvorsitz zu machen". Diese Haltung der CDU sei für ihn enttäuschend, sagte Schmidt. "Da geht bei mir der letzte Glaube an konservative Politik in Deutschland verloren." Für ihn sei das ein einziges "Herumgeeiere" gewesen. "Ich wähle die Freiheit und werde jetzt Recht und Freiheit der Bundesrepublik Deutschland verteidigen", so Schmidt, der im zurückliegenden Jahrzehnt als eloquente, kritische Stimme im Villmarer Gemeindeparlament galt.

Mit Blauäugigkeit den Spitzenposten verspielt

Warum sich die Villmarer CDU-Fraktion auf einen ungesicherten Deal "Parlamentsvorsitz gegen Ersten Beigeordneten" einließ, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Nach dem Stimmenpatt vor fünf Jahren hätte die Union diese Möglichkeit zumindest auf dem Schirm haben und daher Vorkehrungen treffen müssen.

Wie so etwas funktioniert, haben die Parteikollegen - wenn auch mit anderen Vorzeichen - im benachbarten Runkel am Abend vorher gezeigt. Dort bildeten CDU und SPD eine gemeinsame Liste für den Magistrat, um Michael Uhl (SPD) zum Ersten Stadtrat zu wählen, nachdem zuvor die SPD die Wahl von Jörg-Peter Heil (CDU) zum Stadtverordnetenvorsteher unterstützt hatte.

Die CDU Villmar hätte entweder auf eine Listenverbindung mit der SPD und Dieter Scheu als gemeinsamem Spitzenkandidaten bestehen oder auf einen vorherigen Verzicht der SPD auf einen Losentscheid im Falle eines Stimmenpatts dringen müssen. Nun steht die stärkste Villmarer Parlamentsfraktion völlig nackt da. Sie hat auf den Parlamentsvorsitz freiwillig verzichtet und mit ihrer Blauäugigkeit auch noch den sicher geglaubten Spitzenposten im Gemeindevorstand verspielt. Rolf Goeckel

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Rolf Goeckel © roe

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