1. Startseite
  2. Region
  3. Limburg-Weilburg
  4. Waldbrunn

Waldbrunner Initiative holt Familien aus dem Krisengebiet

Kommentare

Mia aus der Ukraine ist jetzt in Waldbrunn. Jens Schäfer (rechts) hat die Hilfsaktion organisiert. Sebastian Wüst gehört zu seinem Team.
Mia aus der Ukraine ist jetzt in Waldbrunn. Jens Schäfer (rechts) hat die Hilfsaktion organisiert. Sebastian Wüst gehört zu seinem Team. © privat

Fünf Tonnen Medikamente und Lebensmittel hat Jens Schäfer an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht

Hausen -Weniger als 48 Stunden liegen zwischen der Abfahrt von Unternehmer Jens Schäfer und seinem Helfer-Team ins ostpolnische Lezajsk nahe der ukrainischen Grenze und der Rückkehr in den Waldbrunner Ortsteil Hausen. Doch was die Männer und Frauen aus dem Westerwald in dieser kurzen Zeit erlebt haben, lässt sich kaum in zwei Tage pressen. Was die Helfer gesehen und gehört haben, hat sie zutiefst erschüttert. So viel Chaos, Verzweiflung und Wut, so viel Schutzlosigkeit und ja, so tiefe menschliche Abgründe, habe er zuvor nicht für möglich gehalten, sagt Schäfer.

Dabei ist der 44-Jährige ein stabiler Mann, und er kennt sich aus in der Flüchtlingsarbeit. Seit mehr als sechs Jahren engagiert er sich für Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Er bietet ihnen Wohnraum an und hilft ihnen in ein neues Leben. Nur, sagt Schäfer, "bislang hatte ich mit Flüchtlinge zu tun, die schon angekommen sind, die schon eine Struktur haben". An der ukrainischen Grenzen aber stehen Männer, Frauen und Kinder, Alte, Junge und Kranke, die bereits am Ende sind, ehe sie die Möglichkeit auf einen Neuanfang haben.

Hilfsgüter im Wert von rund 30 000 Euro

Gerade deshalb will Schäfer helfen und knüpfte über einen aus der Ukraine stammenden Mitarbeiter seines Unternehmens Kontakte in dessen Heimatland. Am Mittwoch vergangener Woche startete er morgens einen Hilfsaufruf an die Waldbrunner Bürger. Abends sprach er in der Gemeindevertretung und appellierte an die Kollegen. Drei Tage später hatte Schäfer Hilfsgüter im Wert von rund 30 000 Euro gesammelt, einen Bus und vier Kleintransporter organisiert, eine Mannschaft zusammengestellt und fuhr los. Das ursprüngliche Ziel, ein kleiner Grenzort in Rumänien, musste verworfen werden. Zu groß sei die Gefahr, dass der Konvoi vor der Grenze abgefangen und ausgeraubt würde, teilte ihm ein Kontaktmann mit. Die Fahrt sollte nun ins 1300 Kilometer entfernte Lezajsk gehen, etwa 50 Kilometer vor der ukrainischen Grenze.

Ein Verbindungsmann hatte die Hilfstruppe in Lezajsk angekündigt, berichtet Schäfer. Der Bürgermeister erwartete sie bereits, als sie am Sonntagmorgen gegen 5 Uhr in dem kleinen Ort ankamen. "Dort war alles bestens organisiert. Wir haben unsere Hilfsgüter in einer riesigen Turnhalle abgegeben, vor der Kleinbusse warteten und die Lebensmittel und Medikamente an ganz gezielte Bestimmungsorte gebracht haben." Dass er und sein Team selbst über die Grenze ins Krisengebiet fahren würden, stand nie zur Debatte, sagt Schäfer. Nach seinen Informationen seien die Straßen zum Teil vermint. Da auf eigene Faust rein zu fahren, sei brandgefährlich, zumal die Versorgungsgüter auch "in falsche Hände geraten könnten", sagt der Waldbrunner.

Bis zu diesem Punkt "war alles super gelaufen". Aber dann überschlugen sich die Ereignisse, und die Erlebnisse verdichteten sich zu einem Horrorszenario. "Plötzlich hörten wir von 30 unbegleiteten Minderjährigen, die zu Fuß über die Grenze gelaufen seien", erzählt Schäfer. Blitzschnell habe er zu Hause angerufen, beim Landkreis und bei einer Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gefragt, wie man helfen könne. Trotz des Wochenendes reagierten die Behörden rasch und sagten die Aufnahme der Kinder zu. Nur kamen die nicht in Lezajsk an. Schäfer und seine Helfer kletterten in die Fahrzeuge und fuhren alle Stationen ab, die ihnen genannt wurden. Sie fanden die Kinder nicht. Also machten sie sich zur Grenze auf. Dort sei ein "direktes Verteilzentrum", erfuhren sie. Die Situation dort, "war das schlimmste, was ich je erlebt habe", sagt Jens Schäfer. In dem Verteilzentrum, einer für etwa 1000 Menschen ausgelegten Halle, hätten sich rund 4000 Hilfesuchende gedrängt. Feldbetten oder sanitäre Einrichtungen habe es kaum gegeben, das Handy-Netz sei komplett überlastet gewesen - "und dann immer wieder weinende Frauen, schreiende Kinder, Husten, Klagen, Brüllen", sagt Schäfer. Kein Überblick, keine Möglichkeit zu helfen. Die Helfer aus Waldbrunn waren fassungslos. In ihrer Verzweiflung bastelten sie Pappschilder mit der Aufschrift "Germany - 40 People". Damit taumelten sie durch die Halle. Frauen klammerten sich an ihnen fest. 61 Männer, Frauen und Kinder gelangten schließlich zu den Bussen aus dem Westerwald. Was Jens Schäfer aber auch sah: Andere Männer mit Pappschildern, mit denen zwei oder drei jüngere Frauen gesucht wurden. Dass es bei diesen Angeboten um Prostitution gegangen sei, steht für ihn außer Frage. Auch das macht ihn fassungslos, dass die größte Not der Menschen ausgenutzt wurde. Dass neben den Rettungsversuchen hier auch Menschenhandel floriert. Damit komme er nicht wirklich klar, sagt Jens Schäfer nach seiner Rückkehr nach Waldbrunn. Das lässt ihn nicht los.

An seinem Engagement ändert das nichts. Er hat inzwischen ein stabiles Helfernetz mit der Verwaltung geknüpft und plant weiter. Am Freitag wird er erneut mit einem Hilfskonvoi in Richtung Ukraine aufbrechen. Die Firma Dornburg Reisen stellt diesmal sogar zwei Busse und Fahrer zur Verfügung. Noch einmal sollen Versorgungsgüter ins Krisengebiet gebracht werden. Und noch einmal wollen die Helfer aus Waldbrunn wenigstens ein paar Dutzend heimatlos gewordenen Menschen Sicherheit und Schutz bieten.

Wer helfen möchte

Wer die Ukrainehilfe Waldbrunn unterstützen will, kann dies mit Lebensmitteln, Medikamenten, Powerpacks und Taschenlampen tun, die bis Freitagabend in der Lagerhalle der Unternehmensgruppe Schäfer in Waldbrunn-Hausen, Laurentiusstr. 1, abgegeben werden müssen. Darüber hinaus hat die Gemeinde Waldbrunn bei der Volksbank Langendernbach ein Spendenkonto eingerichtet, Verwendungszweck "Spende Ukrainehilfe Waldbrunn", IBAN: DE 79 5116 1606 0000 4163 63.

Auch interessant

Kommentare