Weilmünster: Zum Tanzen und Diesel-Trinken ins "Bonanza"

Treffpunkt Dorfdisco - NNP-Mitarbeiter Rolf-Peter Kahl erinnert sich
Weilmünster -"Licht aus! Whoom! Spot an! Jaaa". Bei der Ü60-Generation dauert es keine Sekunde, bis der Name von Ilja Richter fällt. 50 Jahre ist es her, dass der smarte Ilja in der TV-Show "Disco" Newcomer und Größen aus der Schlager-Pop-Rockszene in seiner unverwechselbaren Art anmoderierte. Schon fünf Jahre zuvor hatte der Gastwirt Ernst Kappes im "Gasthof Schmidt" in Weilmünster die Discothek "Bonanza" eröffnet - eine der ersten Discos im damaligen Oberlahnkreis. Eine Dorf-Disco, in der Ilja Richter zwar nie gewesen ist, dafür aber Bands wie "Casey Jones & the Governors" ("Don't Ha Ha"), "The Petards" ("Shoot Me Up To The Moon") und mit den "Equals" die wohl bekannteste Band - jedoch noch vor der Zeit ihres späteren Welterfolgs "Baby Come Back" - zu Live-Auftritten zu Gast waren. Alles Bands die damals durch die regionale Disko-Szene tingelten.
Einrichtung im Western-Look
Aber der Reihe nach: Der Gasthof Schmidt, in dessen Kneipe Ernst Kappes das Vereinslokal des heimischen Fußballvereins TuS 03 betrieb, verfügte über einen riesigen Tanzsaal, der im Grunde nie genutzt wurde. Höchstens zur Kirmes, ansonsten stellte der Saal für Kappes totes Kapital dar. Das wollte er ändern. Der Saal, zu dem man vom Hof aus über eine Treppe mit fast 20 Stufen gelangte, wurde komplett neu gestaltet. Mit äußerst rustikalem Inventar. Abgeflämmte Bretter, Kunststoffbezüge für die Sitzbänke, ganze zwei Dual-Plattenteller, Verstärker und einem Mischpult mit vier Kanälen und einem Mikrofon, die obligatorische Discokugel, ein paar bunte Scheinwerfer und eine Schwingtür im Saloon-Stil. Passend zum gewählten Namen der neuen Disco: "Bonanza". Bedingung bei der Einrichtung - Ernst Kappes wollte nicht viel Geld in die Hand nehmen. Eine Investition als Pionier in diesem neuen Trend erschien ihm seinerzeit doch mit einem gewissen Risiko behaftet. Deshalb durfte auch der DJ keine großen Kosten verursachen. Kurzerhand engagierte Kappes den damals 17-jährigen Rolf-Peter Kahl, der als Fußballer in der Vereinskneipe Stammgast war.
Ja sie lesen richtig. Der heutige Freie Mitarbeiter der NNP legte anfangs (1967) bis 1 Uhr und später, als die Sperrfrist erweitert wurde, bis 3 Uhr in der Früh auf. Die Disco war mittwochs, freitags, samstags und sonntags geöffnet. Kappes musste damals lange offenhalten, schon wegen der Konkurrenz" - dem "U-Boot" in Laubuseschbach, der "Mappesmühle" im oberen Weiltal oder der "Heidi-Bar" in Neunkirchen im Westerwald. Die "Bonanza" wurde der Treffpunkt für Jung und Alt in Weilmünster und der Region bis etwa Schmitten, alles Discobesucher mit den damals aktuellen Modetrends - mit Dauerwelle, "Vokuhila" und Schulterpolstern. In Boxen zu sechst oder zu acht saß man mit Freunden zusammen, um "Diesel", also Bier mit Cola zu trinken. Ein Bier (Flasche) kostete eine Mark, alkoholfreie Getränke ebenfalls. Auch für einen Wodka oder einen Apfelkorn musste man damals nicht mehr aus der Geldbörse holen.
Und bestellen konnte man Getränke unter anderem bei "Eitel", einem älteren, männlichen Unikum, der fast zum lebenden Inventar der "Bonanza" zu zählen war. DJ Rolf, im Grunde ja ein Frischling in der Disco-Szene, entpuppte sich sehr schnell zu einem Moderator, wie sie seinerzeit Mode waren. Die sorgten nicht nur für die Musik, sondern als moderierende Plattenaufleger auch für Unterhaltung und gute Laune. "Das wichtigste für mich war, dass die Leute gezappelt haben - denn dafür habe ich aufgelegt", so DJ-Rolf-Peter, der ergänzt: "Ich wollte die Menge zum Tanzen bringen. Weil nichts für einen Discjockey schlimmer ist als gelangweilte Gäste, die dir klar machen: Zu Deiner Musik wackelt nicht mal ein Kuhschwanz."
Mitte der 70er Jahre war Schluss
Hin und wieder gab es - wie eingangs schon erwähnt - auch Live-Auftritte. Ernst Kappes hatte einige Kontakte zur Schlager-Szene. Priorität lag jedoch auf den reinen Discoabenden mit Platten von Sweet, Slade, Small Faces, CCR oder den Kinks. Bei den jüngeren Gästen, die insbesondere am Sonntagsnachmittag ab 15 Uhr reinschauten, war vor allem der Bubble-Gum-Sound mit Hits wie "Yummy Yummy, Chewy Chewy, Sugar Sugar" oder "1,2,3 Red Light" angesagt. Natürlich durften die Stones, die wichtigsten Soul-Interpreten wie Aretha Franklin, Sam & Dave oder Otis Redding und auf besondere Plattenwünsche hin auch Rock-Klassiker von Deep Purple, Led Zeppelin oder Frank Zappa nicht fehlen. Für die Live-Auftritte zahlten die Gäste seinerzeit zwischen fünf und zehn D-Mark Eintritt. Die Disco-Besuche ansonsten fanden bei freiem Eintritt statt. "Mit anderen Drogen außer Alkohol, hatte man in der Bonanza eigentlich nie etwas zu tun", so Kahl. Auch Polizeieinsätze habe es kaum gegeben. Wenn sich die einen oder anderen Disco-Besucher mal in die Haare gerieten, hat das Ernst Kappes alles selbst geregelt. Er ging dann meist ganz allein dazwischen, schickte die Kontrahenten freundlich, aber bestimmt vor die Tür. Einen Türsteher, wie das heutzutage meist gang und gäbe ist, gab es damals nicht. Disco-Stammgäste beäugten Neulinge in der "Bonanza", und sollten diese alkoholisiert sein oder sogar randalieren wollen, bekam Ernst Kappes in der Vereinsgaststätte eins tiefer in Windeseile eine Meldung zugespielt, und dann erledigte er die Geschichte wie zuvor schon beschrieben. Außerdem bekamen solche Gäste Hausverbot.
Mitte der 1970er Jahre endete die Ära "Bonanza". Aus ihr erwuchs nach einem "intensiven" Umbau die Nachfolge-Discothek "Las Vegas". Doch auch die gibt es nach 55 Jahren Discobetrieb im ehrwürdigen Gebäudekomplex des "Gasthofs Schmidt" schon längst nicht mehr. Und so dümpelt der frühere Tanzsaal heute wieder vor sich hin.