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Wirklich jeder Mensch kann wählen

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Von: Sabine Rauch

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Politik macht Spaß und das Wählen ist gar nicht so schwer: Susanne Alpers (links) hat den Mitarbeitern der Lebenshilfe-Werkstatt in Diez politische Bildung in Leichter Sprache vermittelt.
Politik macht Spaß und das Wählen ist gar nicht so schwer: Susanne Alpers (links) hat den Mitarbeitern der Lebenshilfe-Werkstatt in Diez politische Bildung in Leichter Sprache vermittelt. © Sabine Rauch

Damit auch Menschen mit geistigen Behinderungen ihr nun erlangtes Wahlrecht wahrnehmen

Limburg-Weilburg -Was braucht eine menschenfreundliche Stadt? Ein Schwimmbad, Kino, Jugendzentrum, Schulen für Musik und Kunst, Straßen, die so breit sind, dass Autos, Fußgänger und Radfahrer genug Platz haben und es keine Unfälle gibt, einen Bahnhof, Polizei, Feuerwehr, natürlich genug Arbeitsplätze für alle und ein Einkaufszentrum, da sind sich auch alle einig. Franziska ist zufrieden, die wichtigsten Dinge tauchen auf der Liste auf, auch in Sachen Bücherei hat sie sich durchgesetzt. Eigentlich hat sie sich schon in der ersten Gemeinderatssitzung als Bürgermeisterkandidatin qualifiziert. "Ich bin gut im Diskutieren", sagt sie und lacht. Und dass sie am 26. September zur Wahl geht, steht sowieso fest. Schließlich will sie, dass der Klimawandel endlich gestoppt wird. "Das geht alles nicht schnell genug, das ist alles nicht durchdacht", sagt sie. Sie weiß, worauf es ankommt: Auch auf ihre Stimme. Und darauf, dass sie sich auskennt, wenn sie ihre Stimme abgibt. Damit sie ihre Wahl nicht hinterher bereut.

Deshalb hat Franziska an einem Seminar zur politischen Bildung teilgenommen - gemeinsam mit neun anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Lebenshilfe-Werkstatt in Diez. Die meisten von ihnen sind Erstwähler. Nicht weil sie noch so jung sind, sondern weil Menschen, die in allen Angelegenheiten eine Betreuung brauchen, in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt nach ihrer Stimme gefragt werden. "Ich will ihnen zeigen, dass ihre Stimme bedeutsam ist", sagt Susanne Alpers, die Seminarleiterin. Deshalb hat sie, finanziert vom Bundesprogramm "Demokratie leben", zur Gemeinderatssitzung eingeladen und die Teilnehmer gefragt, was eine menschenfreundliche Stadt braucht - in Leichter Sprache natürlich und mit ganzen vielen Bildern am Flipchart; Visualisieren ist das Stichwort.

Wahlomat in

Leichter Sprache

Dass das alles nicht so einfach ist, lernen die Seminarteilnehmer an den beiden Tagen auch. Aber sie lernen, worauf es ankommt: Dass man Bescheid weiß, dass man seine Meinung vertreten kann und dass man sich manchmal einigen muss, Kompromisse eingehen. Und dass für alle Wünsche gar nicht genug Geld da ist. Natürlich geht es auch darum, was der Bundestag eigentlich ist und welche Parteien welche Wünsche erfüllen wollen. Dafür hat Susanne Alpers einen Wahlomaten in Leichter Sprache gemacht. Inzwischen haben auch die Parteien ein Wahlprogramm in Leichter Sprache. Aber auch das ist zum Beispiel bei der SPD 48 Seiten lang. Zu lang.

"Es braucht ein niedrigschwelliges Angebot", sagt Susanne Alpers, damit alle Menschen herausfinden könnten, welche Politiker ihre Themen vertreten. "Das fällt nicht nur Menschen mit geistigen Behinderungen schwer." Schließlich gebe es mehr als sieben Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland. "Ihnen keine Angebote zu machen, die sie an der Demokratie teilhaben lassen, ist eine Katastrophe."

Dazu gehört es erst einmal, zu wissen, was die Voraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft sind: zuhören, ausreden lassen. Dafür hat Alpers die Teilnehmenden in drei Gruppen geteilt, die untereinander diskutieren sollen, was ihnen wichtig ist und dann ihre Meinung vertreten. Die Top 15 schaffen es auf die Liste. Am Ende sind es die Themen, um die es immer geht: Sicherheit, Verkehr, Klimaschutz, Arbeit, Gesundheit, Bildung und Soziales, nur dass es im Seminar Feuerwehr und Polizei, Straßen, Solaranlagen, Arbeitsplätze, Krankenhaus, Schulen und "Kulturzentrum, in dem sich alle Menschen treffen können" heißt.

"Ihr habt alle Dinge genannt, die in den Wahlprogrammen der Parteien stehen", erklärt Susanne Alpers. Jetzt müssten sie nur noch herausfinden, welche Partei für ihre Themen steht, wie man ein Parteiprogramm liest. Und natürlich lernen die Seminarteilnehmer die Kandidaten aus ihrem Wahlkreis kennen und erfahren, dass mit der Erststimme eine Person in den Bundestag gewählt wird und mit der Zweitstimme eine Partei. Damit es wirklich anschaulich ist, wird auch im Seminar gewählt, und wenn die Stimmen ausgezählt sind, heißt es: Koalitionen bilden. So wie im Bundestag auch. Nur dass es da nicht so kurzweilig zugeht wie in Susanne Alpers Seminar. Und das dort nicht so viel gelacht wird.

Workshops sind ausgebucht,

aber es gibt noch Broschüren

Für alle, die nicht an einem der zehn Politik-Workshops in Leichter Sprache teilnehmen konnten, die die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) im Bistum Limburg angeboten hat, gibt es Broschüren in Leichter Sprache, die Susanne Alpers und Anne Badmann, Referentin für Bildungsangebote in Leichter Sprache im Bistum, gemeinsam erstellt haben, zum Teil finanziert von der Stiftung Crummenauer im Bistum, zum Teil vom Familienministerium, durch das Bundesprogramm "Demokratie leben". Drei Hefte gibt es unter dem Motto "Wählen ist leicht". Das eine beschäftigt sich mit dem Bundestag und erklärt, wie Wahlkampf funktioniert. In den anderen beiden geht es ums Wählen, um die Briefwahl und die Wahl im Wahllokal.

"Die zehn Workshops waren ganz schnell ausgebucht", sagt Anne Badmann. Und sie weiß, dass die Wirkkraft dieser Workshops groß ist, dass die Teilnehmer auf einmal auch in ihren Einrichtungen und Wohnheimen über Politik sprechen wollen. "Und wenn die Menschen uns erzählen, dass sie nun keine Angst mehr vor der Wahl haben, ist das das Schönste, was passieren kann", sagt Anne Badmann. Alle Hefte und weitere Informationen in Leichter Sprache gibt es im Internet unter www.leichte-sprache.online.

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