Mahnmal für die Sinti mit bewegender Zeremonie In Okriftel eingeweiht

Von den 13 Mitgliedern der Sinti-Familie Adam in Okriftel überlebten nur 3 das Nazi-Regime. Daran erinnert ein Gedenkstein.
Vor einem Jahrhundert waren sie Teil der Okrifteler Dorfgemeinschaft: Die Sinti-Familie Adam lebte in einem Haus in der Nähe des Kirchplatzes. Seit dem Wochenende erinnert dort ein Gedenkstein an das Schicksal der Familienangehörigen und an das Ehepaar Kreuz. Die Angehörigen der Sinti-Volksgruppe wurden durch den menschenverachtenden Terror des Nationalsozialismus aus dem Gemeinwesen gerissen, geschunden und zu großen Teilen ermordet. Die Stadt weihte das Mahnmal für die Okrifteler Sinti am Samstag in einer bewegenden Zeremonie ein.
Für Adam Strauß, Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma in Hessen, war der Weg nach Okriftel mit persönlichen Gefühlen gepflastert. Er sei betroffen, weil seine Mutter und sein Onkel früher dort lebten, berichtete der Gast. Strauß zeigte sich erfreut, dass die Stadt ihrer Verantwortung gerecht werde. Hattersheim und Dreihausen seien die einzigen hessischen Kommunen, die das Opfergedenken auf eigene Faust angestoßen haben. In anderen Städten gehe der Erinnerung oft ein langwieriger Kampf voraus, erklärte der Vertreter des Landesverbandes.
Mahnung des Landeschefs
Adam Strauß mahnte, dass der Antiziganismus kulturell tief verwurzelt sei. Es sei deshalb wichtig, genau zu verstehen, wie es damals zu Hass und Völkermord kommen konnte. „Gerade in der heutigen Zeit, in der Rassismus und Hetze immer stärker zu werden drohen“, betonte der Vorsitzende. Die Geschichte der Okrifteler Sinti geht zurück bis zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Es ist bekannt, dass Alexander Adam seine Stiefschwester Anna Keck nach dem Tod ihrer Eltern im Jahr 1922 bei sich aufnahm. Die Angehörigen der Familie Keck-Adam flohen im Jahr 1941 aufgrund zunehmender Unterdrückung nach Darmstadt, von wo sie kurz darauf in das Konzentrationslager deportiert wurden. Von 13 Familienmitgliedern überlebten nur Maria, Alwine-Susanne und Anna Adam den Völkermord. Zu den Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns gehörte auch das Sinti-Ehepaar Kreuz: Karl Kreuz und seine Ehefrau Emilie wurden in Konzentrationslager deportiert, überlebten jedoch die Misshandlungen. Nach dem Krieg lebten sie in einer Hütte am Okrifteler See.
Schlimmer als befürchtet
Mit Marliese Gier trat am Wochenende eine weitere Nachfahrin ans Mikrofon. „Meine Herkunft ist das Niemandsland zwischen den Sinti und den Deutschen“, erklärte die Frau aus Düren, die erst vor kurzem detaillierte Einblicke in ihre traurige Familiengeschichte erhielt. Vieles habe seine Selbstverständlichkeit verloren, seit sie vor zwei Jahren bei Nachforschungen erfuhr, dass ihr Großvater Gustav Keck ein deutscher Zigeuner war. Ihre Urgroßeltern lebten an der Okrifteler Langgasse. Was sie über die Schicksale ihrer Vorfahren herausgefunden habe, sei viel schrecklicher als befürchtet. „Ich bin selbst nur am Leben, weil man Großvater im Versteck die Naziherrschaft überleben konnte“, erzählte Marliese Gier, die sich gegen das Schweigen aussprach. „Wir sehen doch heute schon wieder die hässliche Fratze der Fanatiker und Angstmacher“, warnte die Nachfahrin.
Auch Ulrike Milas-Quirin von der Arbeitsgemeinschaft Opfergedenken schlug einen Bogen zur Gegenwart: Aus dem Erinnern erwachse das Gebot zur Mahnung. Anders als bei der Gründung der Arbeitsgruppe vor neun Jahren, sei es heute allerdings mit dem Mahnen nicht mehr getan: „Wer hätte sich vorstellen können, dass Rechtspopulisten salonfähig werden?“ Es gehe mittlerweile nicht mehr alleine um Erinnerungsarbeit. „Es braucht auch in unserer Stadt ein breites gesellschaftliches Bündnis, das sich aktiv an dem Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung beteiligt“, so Ulrike Milas-Quirin.
Bürgermeister Klaus Schindling sah in der Enthüllung des Gedenksteins einen Anstoß für jeden Einzelnen, sich selbst zu hinterfragen. Jeder solle nachdenken, wie es im persönlichen Leben mit Toleranz und Nächstenliebe aussieht, mahnte der Rathauschef. Das Ziel sei eine friedliche und tolerante Gesellschaft. Damit äußerte sich Schindling ganz im Sinne der Inschrift auf dem Gedenkstein: „Wir gedenken der Opfer und mahnen die Lebenden, rechtzeitig gegen Intoleranz, Unmenschlichkeit und Gewalt einzutreten.“