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Der Mensch hinter dem Visier

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Hermann Zengeler und seine Kollegin Carina Ott: Seit 2018 kämpfen sie für eine Ausbildungsreform, um die mentale Gesundheit von Feuerwehrleuten zu wahren.
Hermann Zengeler und seine Kollegin Carina Ott: Seit 2018 kämpfen sie für eine Ausbildungsreform, um die mentale Gesundheit von Feuerwehrleuten zu wahren. © Blick Punkt

Ehemaliger Stadtbrandinspektor Hermann Zengeler fordert Ausbildungsreform bei der Feuerwehr.

Bad Soden -„Stellen Sie sich einen schweren Unfall auf der A 66 vor. Sie sind als Einsatzkraft unterwegs und erhalten die Nachricht, dass zwei Personen in einem Auto eingeklemmt sind und Sie unbedingt helfen müssen. Aber Sie kommen nicht durch, weil die Rettungsgasse blockiert ist. Sie wollen helfen, können es aber nicht“, sagt Hermann Zengeler. „So etwas macht was mit einem. Es belastet.“ Der ehemalige Bad Sodener Stadtbrandinspektor hat solche oder so ähnliche Situationen in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Feuerwehrmann zuhauf erlebt.

„Und das ist bei Weitem kein Einzelfall“, berichtet Zengeler. Als er Ende der 1970er Jahre in den freiwilligen Feuerwehrdienst eingetreten ist, seien die Einsatzkräfte viel respektvoller behandelt worden. „Heutzutage wird man, nachdem man das Wasser aus einem überfluteten Keller gepumpt hat, noch darauf hingewiesen, wo der Wischmopp steht“, sagt der Bad Sodener. Und das sei längst nicht das Ende der Fahnenstange: Respektloser Umgang sei das eine, das andere seien aber Angriffe auf Einsatzkräfte. „Nicht selten werden Feuerwehrleute während eines Einsatzes bedroht, beleidigt, bespuckt und teils auch körperlich angegriffen. Die Silvesternacht, bei der es vielerorts in Deutschland Ausschreitungen und hinterlistige Angriffe auf Einsatzkräfte gegeben hat, sei nur ein - erneuter - trauriger Höhepunkt in einer langen Chronik solcher Ereignisse.

„Es ist richtig und wichtig, dass die Politik nach solchen Ereignissen härtere Strafen fordert“, so der ehemalige Stadtbrandinspektor. „Aber das Echo darf nicht wieder einfach so verhallen. Über 93 Prozent der Feuerwehrleute machen ihren Job freiwillig und unentgeltlich. Wenn wir verhindern wollen, dass die Motivation und die mentale Gesundheit der Ehrenamtler völlig den Bach runter geht, müssen wir mehr tun als Ankündigungen.“

„Gesellschaft wird sich nicht ändern“

Deshalb fordert Zengeler eine Ausbildungsreform für Feuerwehrleute. „Die Gesellschaft wird sich nicht ändern“, ist er nämlich sicher. „Aber wir können die Einsatzkräfte auf ihre mental und psychisch stark fordernde Arbeit vorbereiten.“ Dazu hat er gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Carina Ott „Brand Punkt“ ins Leben gerufen, bietet Coachings, Workshops, E-Learning-Programme an. Außerdem halten die beiden Vorträge, etwa bei Hauptversammlungen von Feuerwehren oder Verbänden und betreiben einen Podcast, bei dem sie einmal pro Woche Gesprächspartner einladen und über den „Menschen hinter dem Visier“ zu sprechen.

Das alles mit dem Ziel, auf die Wichtigkeit der mentalen Stärkung von Einsatzkräften aufmerksam zu machen - und zwar nicht erst, nachdem ein Feuerwehrmann ein traumatisches Erlebnis hatte. „Wir wollen die Einsatzkräfte im Vorfeld so weit schulen, dass sie Strategien erlernen, mit solchen Situationen besser umzugehen“, sagt Ott. Nur so sei auch in Zukunft gewährleistet, dass es freiwillige Feuerwehrleute gibt, die motiviert zu den jeweiligen Einsätzen fahren.

Der steigende mentale Druck auf Feuerwehrleute macht sich auch in der Einsatzstatistik des Deutschen Feuerwehrverbands bemerkbar, wie Zengeler erklärt. So gebe es heute etwa 57 Prozent mehr Einsätze als noch vor 25 Jahren - dafür aber viel weniger Freiwillige Feuerwehrleute. „Die Anzahl der Aktiven in Freiwilligen Feuerwehren hat sich in den letzten 25 Jahren um knapp zehn Prozent verringert“, so der Experte.

Dabei handele es sich aber noch um wohlwollende Zahlen, denn die Realität werde aus vielen Gründen verschwiegen. „Die rückläufigen Mitgliederzahlen freiwilliger Feuerwehrkräfte sprechen Bände und zeigen klar, dass die bisherigen Bemühungen nicht greifen. Die Frage muss gestellt werden - wie soll es weitergehen?“, so Zengler.

Die Einführung erster Pflichtfeuerwehren ist aus seiner Sicht keine Lösung. Eine flächendeckende Berufsfeuerwehr ist staatlicherseits kaum finanzierbar, so der ehemalige Sodener Stadtbrandinspektor. „Die zusätzlichen Personalkosten für eine Stadt mit 20 000 Einwohnern würden bei circa 800 000 Euro, also in der gesamten Bundesrepublik jährlich bei etwa drei Milliarden Euro liegen“, rechnet er vor.

Umso wichtiger sei es, dass die rund eine Millionen Freiwilligen, also ehrenamtlichen Feuerwehrleute nicht die Motivation verlieren. Denn grundsätzlich, so Zengeler, würde vielen ihr Ehrenamt viel Spaß bereiten - wären da nicht die ständige Verrohung der Gesellschaft.

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