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Wertschätzung von Patienten war seine Motivation

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Dr. Ulrich Jürgens an seinem Einsatzfahrzeug in Bad Soden.
Dr. Ulrich Jürgens an seinem Einsatzfahrzeug in Bad Soden. © Stephanie Kreuzer

Dr. Ulrich Jürgens, der dienstälteste „Leitende Notarzt“ des Main-Taunus-Kreises, verabschiedet sich.

Bad Soden/Main-Taunus -Pro Jahr sind es rund 70 Einsatzalarmierungen, also im Schnitt ist es nur etwas mehr als ein Einsatz pro Woche, der den jeweils Leitenden Notarzt (LNA) des Main-Taunus-Kreises ereilt. Doch just am Montagnachmittag war es wieder so weit, denn gemeldet wurde ein größeres Schadensereignis. In einem mehrgeschossigen Haus in Flörsheim hatte es im Keller gebrannt, und das Treppenhaus war verraucht. Mehr als 50 Feuerwehrkräfte aus Flörsheim und Hochheim sorgten dafür, dass die Bewohner evakuiert wurden; für die medizinische Betreuung standen eine Notärztin und drei Rettungswagen zur Verfügung.

„Wir bekamen das Einsatzstichwort ,F2Y’, also ,Feuer in Wohngebäude mit Menschenleben in Gefahr’“, erläutert Steffen Gries, der als Organisatorischer Leiter Rettungsdienst (OLRD) an Ort und Stelle war. Gemeinsam mit dem LNA - an diesem Tag Dr. Ulrich Jürgens - bildete er die Einsatzleitung Rettungsdienst. Nach kurzer Zeit konnte allerdings Entwarnung gegeben werden. „Wir analysieren ja zuerst, wie viele Personen verletzt sind, und konnten hier fünf Betroffene sichten, die aber keinen krankhaften Befund in Bezug auf Rauchgas aufwiesen“, fasst Jürgens zusammen.

Für ihn dürfte es der letzte Einsatz als LNA gewesen sein, denn nach knapp 30 Jahren in dieser ehrenamtlichen Funktion wird er in wenigen Wochen von Landrat Michael Cyriax verabschiedet. Der 66-Jährige war schon in seiner Heimatstadt Aschaffenburg als Notarzt aktiv, bevor er 1984 in Bad Soden seine Praxis als Allgemeinmediziner eröffnete und später mit zwei Kollegen die Notarztgemeinschaft Bad Soden gründete. Parallel dazu ist er bis heute Sanitätsstabsoffizier für die Bundeswehr - zuletzt tätig als Leiter des Verbindungskommandos Sanität beim Landeskommando Hessen in Wiesbaden.

Dienstleister für den Landkreis

Im Mai 1994 wurde er zu einem von damals drei „Leitende Notärzte“ berufen und ist damit der dienstälteste LNA im Main-Taunus-Kreis und wohl sogar in ganz Hessen. Inzwischen gibt es sechs Planstellen, die sich aktuell zwei Ärztinnen und sieben Ärzte verschiedenster Disziplinen teilen, so dass der Dienstplan für die Zwölf-Stunden-Schichten flexibler gestaltet werden und man sich auch mal vertreten kann. So ist gewährleistet, dass rund um die Uhr ein LNA ad-hoc und in räumlicher Nähe zur Verfügung steht. „Diese nahtlose Abstimmung funktionierte bisher vorbildlich, und darauf müssen sich alle verlassen können, denn wir sind Dienstleister für den Landkreis“, so Jürgens.

„Wenn man sich dafür entscheidet, diese ehrenamtliche Aufgabe zu übernehmen, dann wird man durch den Landrat bestallt“, erklärt der Mediziner. „Voraussetzung ist, dass man das Handwerkszeug als Notarzt und die Expertise aus vielen selbst geleiteten Routineeinsätzen mitbringt.“ Eine gewisse „Hingabe“ für diese Tätigkeit sei erforderlich, betont er, „denn es ist schon eine Belastung, sich während seiner Schicht ständig verfügbar zu halten.“ Seine Patienten hätten sich allerdings schon daran gewöhnt, dass er manchmal seine Sprechstunde abbrechen musste.

Ein kleiner Wermutstropfen sei die seit Jahrzehnten unverändert bescheidene Aufwandsentschädigung; „wir bringen quasi noch Geld mit“. Jürgens sieht den Dienstherren gefordert, diesem Ehrenamt eine gewisse Strahlkraft und Attraktivität zu verschaffen, die sich nicht am Geldbeutel misst, „denn sonst verlieren wir die interessierten Nachwuchskräfte, die gleichermaßen das Anforderungsprofil erfüllen als auch die Freude am Beruf mitbringen“.

Er habe das gemacht, weil er eine Verpflichtung gegenüber dem Landkreis fühlte und diese gerne erfüllte. Motivation haben ihm Einsätze gegeben, bei denen er besondere Wertschätzung von Personen erfahren hat: „Als wir Ende Januar in Kelkheim den großen Brand hatten, berührte mich besonders, dass der Motorcycle-Club ,Golden Drakes’ uns sein Vereinsheim mit der gesamten Infrastruktur spontan zur Verfügung stellte. Aus den Büros ringsum kam hingegen niemand mit Wasser oder Kaffee angelaufen.“

Sehr in Erinnerung geblieben ist ihm auch der Brand im Awo-Wohnheim in Kelkheim am ersten Weihnachtsfeiertag 2013, als OLRD und LNA alarmiert wurden. An Ort und Stelle sei man dann auf Zusammenarbeit angewiesen - also „getrennt marschieren, vereint schlagen“.

„Mitgefühl ist wichtig“

Zu den Aufgaben gehörte es, sich über die Einsatzstelle Klarheit zu verschaffen und eine medizinisch-sanitätsdienstliche Ordnung des Raumes vorzunehmen. „Damit ergibt sich automatisch, wie und wo man welche Hilfe einbringt, wobei der LNA auf die schon vorhandenen Strukturen zurückgreift, also an die weiteren Notärzte delegiert“, beschreibt Jürgens. „Damals haben alle LNAs freiwillig mitgeholfen, denn das war aus unterschiedlichsten Gründen ein anspruchsvoller Einsatz.“ Eine professionelle Einstellung helfe, wenn man Einzelschicksale mitbekäme: „Mitgefühl ist wichtig, aber Mitleid darf nicht dazu führen, dass die Objektivität verloren geht.“ Bei seinem Abschied jetzt habe er ein lachendes und ein weinendes Auge, freue sich aber auch auf mehr Lebensqualität, denn zumindest das Gefühl, ständig verfügbar sein zu müssen, wird er nicht vermissen. Wünschen würde er sich, dass die Gruppe der Leitenden Notärzte weiter so gut zusammenarbeitet: „Es wäre toll, wenn mein Nachfolger auch so viel Freude am Dienst empfinden würde, so dass er es vielleicht so lange macht wie ich!“

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