Der Wahlkampf der leisen Töne

Am Sonntag ist Landratswahl im Main-Taunus-Kreis. Wir haben Amtsinhaber Michael Cyriax (CDU) und die Herausforderer Özlem Bumin (SPD) und Thomas Völker (Linke) im Wahlkampf begleitet. Die drei gehören Parteien an, die im Kreistag vertreten sind. Vierter Bewerber ist Dr. André Kruschke (Basis).
Die letzte Woche vor der Landratswahl läuft. Dienstagabend, Wäldchestag in Hofheim. Im Online-Kalender auf der Internet-Seite des Amtsinhabers steht das Traditionsfest für 18 Uhr als Termin vermerkt unter dem Motto: „Hier können wir ins persönliche Gespräch miteinander kommen“. Michael Cyriax ist pünktlich und wird gleich von einer ganzen Reihe von CDU-Parteifreunden begrüßt. Zu denen gehört seit einiger Zeit ja auch Wäldchesfest-Organisator und Vereinsringchef Wulf Baltruschat, der wie Bürgermeister Christian Vogt im Hawai-Hemd da ist. Cyriax, in dunkelblauem Sakko mit blau-weiß gestreiftem Hemd ohne Krawatte und Sneakers an den Füßen unterwegs, irritiert das Outfit der beiden. Ob er da einen Dresscode verpasst habe? Baltruschat grinst breit und meint jovial: „Selbst, wenn - so was hast Du doch gar nicht im Schrank“.
Dann ist es 18 Uhr und Zeit für die offiziellen Worte zum Start. Dass es kein Fass anzustechen gilt, sondern diesmal Gläser voller Apfelwein kostenfrei zu verteilen sind, ist für Cyriax ebenfalls eine Überraschung. Aber der Landrat zeigt sich flexibel, nimmt das ihm gereichte Tablett und geht mit einem Lächeln auf die Menschen zu. „So, das ist das letzte Glas“, kann der Kandidat nach kurzer Zeit schon sagen - Dienst beendet. Jetzt ist Zeit fürs Gespräch.
Ein Mann mit Kind auf dem Arm spricht ihn auch gleich mit „Hallo Herr Landrat“ an. Seit heute Mittag habe er seine Kinder daheim, sagt der Familienvater, die städtische Kita habe ja wegen des Wäldchestags früher geschlossen. Dabei gebe es dort gar kein Kinderprogramm. . . „Da kann ich gar nichts dafür. Ich bin ja nicht der Veranstalter“, erklärt Cyriax und vermittelt an Bürgermeister Vogt weiter. Andere, die den Landrat begrüßen, wollen nur Guten Abend sagen und versichern, dass sie dem Amtsinhaber die Daumen drücken. Ein entspannter Termin - den er auch ganz ohne Wahlkampf wahrgenommen hätte, versichert der Kandidat.
Am nächsten Morgen treffen wir ihn nur ein paar Meter weiter am Info-Stand der Hofheimer Seniorenunion wieder, gerade auf dem Sprung zurück ins Büro. Er müsse ja nun auch arbeiten, sagt Cyriax. Nur ein paar Schritte entfernt kämpft sein Gegenkandidat Thomas Völker wegen des Windes mit dem roten Sonnenschirm mit Linken-Schriftzug. Barbara Grassel eilt ihm zur Hilfe. Die Stadtverordnete, die zwar kein Parteibuch hat, aber zu den bekanntesten Gesichtern der Linken gehört, ist auch sonst als Unterstützerin da.
Völker trägt zum roten Polo-Hemd kurze Hose und Sneaker. Seine Erfahrung nach 18 Info-Ständen und 1200 Haustür-Besuchen: Viele wüssten nicht, dass Landrats-Wahl ist am Sonntag. „Da kandidiert doch nur einer von der CDU“, habe sie schon vielfach gehört, ergänzt Grassel und will auch an diesem Morgen gegen solche Un-Informiertheit etwas tun. Tütchen mit Samen vom Roten Mohn zählen zu den kleinen Geschenken, die auf einem Tisch bereit liegen.
Menschen zu erreichen, ist aber schwer an diesem Mittwoch-Morgen. „Nicht meine Partei“, begründet einer, dass er den angebotenen Flyer nicht annimmt. Als eine Frau ebenfalls brüsk ablehnt, sagt Völker: „Schauen Sie’s sich doch mal an. Was haben Sie denn gegen uns?“ „Ja, nichts“, meint die Frau und geht weiter. Immerhin, beim ein oder anderen wird der Linke doch auch einen Flyer los, ein Ehepaar sagt sogar ermutigend: „Weiter so!“ Er habe schon von einigen gehört: „Wir wählen Sie“, sagt Völker. Der Linke sorgt sich vor allem, dass die Wahlbeteiligung wieder unter 30 Prozent bleiben dürfte. „Da kann sich eigentlich niemand als Sieger fühlen.“
Gut sechs Stunden später. SPD-Kandidatin Özlem Bumin ist zum Haustür-Wahlkampf nach Kriftel gekommen. Weil sie sich ja nicht so auskenne hier, werde sie eine Genossin aus der Obstbaugemeinde begleiten, erläutert die Hattersheimerin. Dorothea Barth, Fraktionsvorsitzende im Gemeindeparlament, lotst Bumin zu den Mehrfamilienhäusern im Robert-Schuman-Ring. Hier lässt sich schnell an vielen Wohnungstüren klingeln, das sei deutlich effektiver, als in einer Reihenhaus-Gegend, weiß Barth aus Erfahrung. Davon hat auch Bumin nach sechs Wahlkampfwochen einige. Im gelben Bläser zur weißen Hose und in roten Pumps ist sie mit einer Tasche voller Marmeladengläschen mit ihrem Konterfei und Karten mit kurzer Info zur Person unterwegs. Als sich auf ihr Klingeln nach der Haustür gleich die erste Wohnungstür öffnet, sagt sie: „Hallo, mein Name ist Bumin, ich kandidiere für das Amt der Landrätin“. Die Karte nimmt der Mann, die Marmelade nicht. „Das ist mir zuviel“, sagt er und schließt die Tür gleich wieder. „Bin ich überhaupt wahlberechtigt?“, will ein anderer zwei Stockwerke höher wissen. „Als EU-Bürger? Ja, das sind sie“, sagt Bumin. „SPD?“, lautet die nächste Frage und auf das Ja der Kandidatin sagt der Mann noch: „Find ich gut!“, bevor auch er die Tür wieder schließt. „Fragen hat heute niemand“, stellt Bumin nüchtern fest und erzählt, dass ihr ein Mann am Info-Stand in Kriftel schon gesagt habe: „Hier sind nur die Erdbeeren rot.“ Deshalb habe sie Erdbeer-Marmelade, erklärt die Sozialdemokratin mit verschmitztem Lächeln und nimmt die nächsten Treppenstufen in Angriff,
Bis zum Sonntag noch werden sie weiterkämpfen und allesamt versuchen, Menschen zu motivieren, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Dass das offenbar auch bei dieser Direktwahl wieder viel zu wenige tun werden - am Einsatz der Kandidaten liegt es nicht.
180 372 Wahlberechtigte
Am Sonntag, 4. Juni, ist Landrats-Wahl. Die Wahllokale in den Kommunen sind von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Erste Kreisbeigeordnete und Wahlleiterin Madlen Overdick ruft die Bürgerinnen und Bürger auf, sich rege an der Wahl zu beteiligen: „So können sie dazu beitragen, den Main-Taunus-Kreis zu gestalten.“ Die einlaufenden Ergebnisse sind nach Schließung der Wahllokale in Echtzeit im Internet abrufbar. Das Portal wird über die Seite des Main-Taunus-Kreises (www.mtk.org) und die Sozialen Medien verlinkt. Wahlberechtigt sind 180 372 Personen. Die Amtsperiode dauert von Oktober 2023 bis September 2029. Falls die Entscheidung nicht im ersten Wahlgang fällt, wäre eine Stichwahl am Sonntag, 18. Juni, nötig.
Wozu braucht es einen Landrat?
Was der Bürgermeister für seine Stadt ist, ist der Landrat für den Landkreis: Oberster Verwaltungsbeamter, Behördenleiter, Repräsentant. In Hessen werden Landräte seit 1992 direkt vom Volk gewählt, davor durch den Kreistag. Der ist nach wie vor das übergeordnete Organ, seine Beschlüsse hat der Landrat umzusetzen. Landräte bestimmen in ihrer Verwaltung über die Dezernatsverteilung und stehen dem Kreisausschuss aus haupt- und ehrenamtlichen Beigeordneten als Leitungsgremium der Kreisverwaltung vor. Der MTK ist unter anderem Träger von Schulen und KfZ-Zulassung, außerdem fallen in seine Zuständigkeit Aufgaben aus Bereichen wie Bauaufsicht, Gesundheit, Soziales, Umwelt oder Verkehr.

