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Fischbachs kleine Märchen-Landschaft

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Von: Frank Weiner

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© Hans Nietner

Als er 1943 aus der Schule kam, wurde er mit 16 zum Luftwaffenhelfer abkommandiert. Er geriet in Kriegsgefangenschaft. Günther Herrs Traum, Förster zu werden, platzte. Er lernte Zimmermann. Dies kommt ihm heute bei seiner großen Passion entgegen.

So mancher Autofahrer hat sich auf der B 455 schon verwundert die Augen gerieben: Steht da ein kleines Märchenland am Ortsrand von Fischbach? Was hat es mit all den Türmen, verzierten Mauern und Mosaiken auf der Wiese am Bach auf sich? Auch das Kreisblatt hat lange Zeit gerätselt und bei Gelegenheit immer mal wieder nachgeschaut, ob es auch ein Gesicht zu all diesen schönen Bauten gibt. Einen Hinweis auf einen Fischbacher Künstler gab es schon, nun hat diese Zeitung ihn endlich einmal live in seinem Burgenpark angetroffen.

Viele Kelkheimer werden ihn kennen: Günther Herr ist schon stolze 87 Jahre alt, aber trotzdem noch fast jeden Tag beim Bauen in seinem Kunstwerk anzutreffen. Er habe auch den Turm der Evangelischen Kirche Fischbach eingeschalt, erzählt der gelernte Zimmermann gleich nach der sehr freundlichen Begrüßung.

Von Schlössern inspiriert

Wer die beiden Holztore dann durchschreitet, dem öffnet sich eine bunte, verschnörkelte Steinkunst-Welt, die sicher ihresgleichen in der Region sucht. Damit nicht genug: Günther Herr hat verschiedene Requisiten in seine Kunst eingebaut – seien es Gitarren, gleich am Eingang ein Fußball, ein Bembel, Autoreifen, ein Spiegel, eine Uhr, ein altes Waschbecken und sogar eine Duschwanne.

Wie lange er an diesem Lebenswerk schon baut? Gut 40 Jahre dürften es schon sein, überlegt Herr, der die vielen tausend Arbeitsstunden hier nicht gezählt hat. Eine Jahreszahl an einer Sitzecke aus Stein gibt Auskunft: 1967 ist dort vermerkt. Das war sein erstes Projekt gleich in der Nähe der B 455, die erst knapp zehn Jahre später dort gebaut wurde. Damals sei sein Grundstück deutlich größer gewesen, erinnert sich der Senior. Doch auch so ist ausreichend Platz für seine Stein-Stadt. Einen Namen dafür hat er nicht. An einer Wand ist von der „Burg Fischbach“ zu lesen, woanders steht „Steinbaukunst“ geschrieben.

Die erste Variante trifft es ganz gut, denn Günther Herr ist fasziniert von prachtvollen Bauten. „Mich hat das Schloss Neuschwanstein inspiriert, und die Burgen in der Region“, sagt der Mann in zünftiger Arbeitshose. So hat er begonnen, sein Fischbacher Neuschwanstein zu schaffen – alles selbst mit eigener Zementmischung eingeschalt. Aktuell liegt wieder eine Platte auf den Holzböcken, eingegossen in eine selbstgebaute Holzform. Dort hat er verschiedene kleine und große Steine eingesetzt. Eine Nacht müsse die Platte liegen, dann werde sie mit Wasser abgespült, die die Kiesel sichtbar machten, erläutert er – ganz so wie bei der Waschbetonplatte. Die Steine habe er nach und nach auf Baustellen, im Wald, Feld und an Bächen gesammelt. Durch ihre unterschiedlichen Größen, Farben und Formen entstehen die Steinmauern mit den vielen Facetten und Strukturen. So ist sein Kunstwerk längst bekannter geworden, das Fernsehen sei schon mehrmals da gewesen, sagt Herr, der allerdings kein Telefon hat. Zuletzt sei ein Engländer vorbeigefahren und habe über die Stadt gefragt, ob er sich das mal anschauen könne. Günther Herr ist da offen für alle. Jeder, der wolle, könne vorbeikommen und einen Blick in seine eigene, kleine Welt werfen. Meist ist er täglich so ab 14 Uhr dort.

„Das hält mich fit“

Günther Herr ist einer, auf den die Bezeichnung „liebenswertes Unikum“ zutreffen würde. Er ist ein wenig speziell, aber sehr herzlich und offen. Er hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich. „Ich wollte Förster werden“, sagt der Ur-Fischbacher. Doch als er 1943 aus der Schule kam, wurde er mit 16 zum Dienst als Luftwaffenhelfer abkommandiert. Er berichtet, wie er mit Kollegen eine Eisenbahnbrücke bei Bietigheim vor der Zerbombung bewahrt habe. Als er im Juni 1945 aus der Gefangenschaft nach Hause kam, wurde nichts mehr aus seinem Förster-Traum. Statt dessen lernte er Zimmermann in Königstein, arbeitete dann viele Jahrzehnte auf dem Bau. In seiner Freizeit widmete er sich der „Burg Fischbach“, spielte aber auch Geige und malte. Die Steinbaukunst ist davon noch im hohen Alter geblieben – und Herr denkt nicht ans Aufhören: „Ich mache immer weiter, das hält mich fit.“

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