Flörsheim: „Der wilde Westen fängt gleich hinter Flörsheim an“

In der Stadthalle, dem Saloon des FCV, wurden scharfe Pointen abgefeuert und getanzt statt geprügelt.
Flörsheim -Fast jeder kennt die Szene: Ein einsamer Fremder mit Zigarillo im Mundwinkel reitet in die Stadt und macht sein Pferd vor dem Saloon fest. Kaum hat der Cowboy die Schwingtür durchschritten, folgen ihm die Augen aller Anwesenden gebannt bis zur Theke. Das Klavier verstummt. Wenn der Fremde unbeeindruckt seinen Drink bestellt, scheinen zwei mögliche Ausgänge gewiss: Entweder fliegen gleich die Fäuste oder es kommt zum Duell vor dem Saloon. Die Aktiven des Flörsheimer Carneval Vereins (FCV) demonstrierten am Samstag, dass es noch eine dritte Option gibt: Der ganze Saloon feiert eine ausgelassene Party, bei der alle gemeinsam singen, lachen und Freude haben. „Hall die Gail im Westernstyle“ lautet das diesjährige Motto. Dabei wurde getanzt statt geprügelt, und anstelle von blauen Bohnen trafen die Narren mit scharfen Pointen ins Ziel.
„Der wilde Westen fängt gleich hinter Flörsheim an“, erklärten die Moderatoren Sabine Roth und Christian Greb dem Publikum, das von Beginn an mit bester Laune bei der Sache war. Passend zum Motto, konnte man etliche Cowboyhüte im Saal der Stadthalle erspähen. Auch vor Indianerkostümen schreckten die Flörsheimer Narren nicht zurück. Die Aufregung über Winnetou und unangebrachte Verkleidungen nahmen die Narren gleich in ihrem Eröffnungsspiel auf die Schippe: Der Klavierspieler im Saloon wurde erschossen, weil er den Song „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“ spielte.
Ein Pianist, der gänzlich ungehindert in die Tasten hauen durfte, war Flörsheims ehemaliger Pfarrer Sascha Jung. Erste Beifallsstürme gab es bereits als der frühere Geistliche die Bühne betrat. Jung hat sein kirchliches Amt mittlerweile abgelegt, geheiratet, und ist Vater zweier Kinder. „Kann sein, dass ich ein anderer bin, als der, der damals von euch ging“, reimte der Fassenachter, der sich dafür bedankte, dass ihn der FCV in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen habe. „Ich war zwanzig Jahre bei der katholischen Kirche in einem Zeugungsschutzprogramm“, scherzte Sascha Jung. In einem Song blickte er in „die gute alte Zeit“ zurück, als es noch Telefone mit Schnur gab und Youtuber kein Beruf war. Jung machte sich auch über die Klimaktivisten lustig, deren Waffen Kartoffelpüree und Sekundenkleber seien. „Da hätte Olaf Scholz auch noch zwei Monate gezögert, ob er das in die Ukraine liefern lässt.“
Im Cowboy-Kostüm schoss Protokoller Gregor Stark auf alles, was ihm politisch und gesellschaftlich gegen den Strich ging. Natürlich durfte die Pandemie nach drei Jahren Pause nicht fehlen. Beim Corona-Test habe er sich gefühlt wie im alten Ägypten, wo den Toten das Hirn durch die Nase gezogen wurde. „Ich war entsetzt, wie viel Hohlraum in meinem Schädel ist“, so Stark. Auch er nahm die zögerlichen Hilfsmaßnahmen für die Ukraine ins Visier: „5000 Helme - das kannst du echt knicke“ - ist wie bei einer Hungersnot 5000 Teller zu schicke“, reimte der Sheriff. Den Ausrutscher von Kanzlerkandidat Armin Laschet während der Flut im Ahrtal hatte Gregor Stark ebenfalls nicht vergessen: „Einmal kurz geschmunzelt - sofort abserviert - das wär“ Olaf Scholz garantiert nie passiert.“
Das emotionslose Auftreten von Olaf Scholz prangerte auch Patricia Lowin an. Die langjährige FCV-Aktive nutzte die große Leinwand auf der Bühne, um „Klatsch und Tratsch“ im Stil eine Nachrichtensendung zu präsentieren. Dabei stellte sie den Bundeskanzler als Scholz-Roboter dar. Den 40. Geburtstag des Songs „99 Luftballons“ nutzte die Büttenrednerin für einen tagesaktuellen Witz. „Ob ebenso viele chinesische Spionageballons unterwegs sind, ist noch unbekannt“, so Patricia Lowin. Mit neuer Bühnenfigur kehrte die Flörsheimerin Jutta Schlosser ins Rampenlicht zurück. Anstelle der Russin Olga schlüpfte die Rednerin nun in die Rolle der Einheimischen Betty Berzel. Schlosser verstand es hervorragend, zahlreiche Witze in ihre fiktive Familiengeschichte einzubauen, und gab den Zuschauern einen wichtigen Rat mit auf den Weg: „Lachen ist die beste Medizin - außer bei Durchfall.“
Er sei froh, endlich wieder feiern zu dürfen, erklärte der FCV-Vorsitzende Hans-Joachim Greb, der als Stiefopa „Hoppes“ von seinen Erfahrungen mit dem Enkel berichtete. „Plötzlich wird mir warm am Hals, den Duft bemerke ich ebenfalls“, reimte der bekannte Fassenachter, der seit 40 Jahren immer in der Fastnachtszeit auf der Bühne steht. Begeisterung im Saal löste auch der Auftritt des Männerballetts „Horny Hornets“ aus. In Western-Kostümen zeigten die Herren viel Bewegung und akrobatische Einlagen.
Kreativ und durchdacht waren auch die Choreographien der FCV-Balletts „Cassiopeia“ und „Inkognito“. Die Zuschauer im Saal bewegten sich zwischendurch zu live gespielten Stimmungsliedern der Band „De Handkäs“ und sei’ Musik“. Die Gruppe steht unter der Leitung von Oliver Wiesmann, dem Sohn des Büttenredners Jürgen Wiesmann, der die gelungene Sitzung als letzter Aktiver des Abends beendete. sas