Treibt ein Bücherdieb in Flörsheim sein Unwesen?

Alle Bücherschränke der Stadt Flörsheim wurden zuletzt nahezu leergeräumt. Das Motiv des Plünderers gibt Rätsel auf.
Flörsheim - Für Leseratten sind sie längst mehr als ein Geheimtipp: Die Bücherschränke in den drei Flörsheimer Stadtteilen stellen ihre Nutzer oftmals vor die Qual der Wahl - so vollgepackt sind die grauen Telefonzellen mit bunt gemischtem Schmökerstoff. Doch nun: Ebbe. Wer den begehbaren Schrank vor dem „Haus am Weilbach“ öffnet, steht vor einer traurigen Auswahl, die auf ein einzelnes Regalbrett passen würde. „Hitlers Krieger“ von Guido Knopp und eine Ausgabe des Dudens sind zwei der verbliebenen zwölf Bücher. Haben in Weilbach also gerade besonders viele Menschen ihre Freude am geschriebenen Wort entdeckt? Die Verantwortlichen für die Bücherschränke sind skeptisch.
Egal in welchen Stadtteil man geht: Überall herrscht seit einigen Tagen das gleiche Bild. Sowohl der Bücherschrank vor dem Wickerer „Tor zum Rheingau“, als auch der Schrank auf dem Flörsheimer Rathausplatz sind bis auf wenige Werke leer geräumt. Der geplünderte Bücherverteiler sehe „gespenstisch“ aus, heißt es auf Nachfrage aus der Pressestelle im Rathaus. Im Internet diskutieren Nutzer des Angebots bereits über mögliche Hintergründe. Treibt etwa ein Bücherdieb im Stadtgebiet sein Unwesen, der die kostenlos zur Verfügung gestellte Literatur weiterverkauft?
„In diesem Ausmaß hatten wir das noch nie“
Rechtlich würde sich ein solches Vergehen in einer Grauzone zu bewegen. Schließlich laden Bücherschränke ja ganz bewusst dazu ein, sich ungefragt zu bedienen. Allerdings sieht das Konzept ein Geben und Nehmen vor, indem Bücherwürmer ihre ausgelesenen Werke abgeben und sich neuen Lesestoff - im vernünftigen Rahmen - mitnehmen. Ganze Schränke mit vermeintlicher Profitabsicht zu räumen - und dies auch noch an mehreren Stellen - ist definitiv nicht im Sinne der Erfinder. Darüber hinaus ist die Gewinnerzielung mit dieser Beute ohnehin fragwürdig. Schließlich werden gebrauchte Bücher auf entsprechenden Internetseiten meist nur für Cent-Beträge gehandelt.
Mehrere Ehrenamtler haben ein Auge auf den Zustand der Bücherschränke. In Weilbach kümmert sich Frank Laurent um die Pflege des Angebots. Einen Kahlschlag wie jetzt hat der Fraktionsvorsitzende der GALF (Grüne Alternative Liste Flörsheim) in den vergangenen zehn Jahren noch nicht erlebt. „Es ist nie irgendetwas vorgekommen“, erklärt der Weilbacher, der sich fragt, ob es sich bei der jüngsten Ausräumung des Schrankes um ein einmaliges Problem handelt. Er habe von Leuten gehört, die eine Person dabei beobachteten, wie sie Bücher im Schrank mit dem Smartphone gescannt hat. Dies spreche tatsächlich für Verkaufsabsichten, meint Laurent, der feststellt, dass man für den Abtransport der fehlenden Bücher mit einem Kombi vorfahren müsste. Bisher sei es nicht notwendig gewesen, für die Nutzung des Bücherschranks Regeln aufzuhängen. Nun plane er jedoch ein Hinweisschild anzubringen, sagt der Ehrenamtler. Außerdem plane er, einen Stempel anzuschaffen, mit dem er die Bücher markieren will, um deutlich zu machen, dass sie nicht zum Verkauf bestimmt sind.
„Wir sind der Meinung, das ist vorsätzlich“
Überrascht sind auch die Wickerer Landfrauen, die den Bücherschrank im Weindorf betreuen. „In diesem Ausmaß hatten wir das noch nie“, berichtet die Vorsitzende Annette Neubecker. Schon einige Tage bevor die Situation in Weilbach auffiel, habe ihr ein Mitglied berichtet, dass fast alle Bücher am Wickerer Standort verschwunden sind. Nachdem die Verantwortliche den Schrank aus ihren Vorräten wieder aufgefüllt hatte, seien erneut alle interessanten und gut erhaltenen Bücher weg gewesen. „Wir sind der Meinung, das ist vorsätzlich“, erklärt Annette Neubecker.
Bei den Landfrauen wurde auch schon darüber nachgedacht, ob jemand die Bücher einsammelt, um sie zu verheizen. Das kann sich die Vorsitzende aber nicht so recht vorstellen. „Dann würde ich doch alle mitnehmen und nicht die alten Schinken stehen lassen“, sagt Neubecker. Dass ein Stempel hilft, glaubt sie nicht. Schließlich würden auch Bücher verkauft, die Bücherei-Stempel oder Widmungen aufweisen. Die Wickerin hofft jedoch, dass die Berichterstattung und die öffentliche Aufmerksamkeit auf Täter abschreckend wirken. (sas)
Derweil gibt es gute Nachrichten für ehrliche Nutzer des Bücherschranks in Weilbach. Am Freitagvormittag meldete sich ein Leser dieser Zeitung, der gemeinsam mit seiner Frau den Schrank rechtzeitig zum Wochenende wieder mit Lesestoff befüllen will. Gleich 20 Bücher würde man stiften, in der Hoffnung, dass diese auf Interesse stoßen - und zwar im ursprünglichen Sinne der Bücherschrank-Idee. (rk)