Hattersheim: Ein leidenschaftlicher Schneidermeister

Athanasios Bakalis hat seinen Betrieb in einen ehemaligen Partykeller verlegt.
Okriftel -Das Reihenhaus in der Stettiner Straße 10 sticht nicht besonders aus der umliegenden Wohnbebauung heraus. Es steht in einem Seitenarm der Straße - gleich hinter der Okrifteler Feuerwehr. Eine ruhige Ecke, in die eigentlich nur Anwohner einbiegen. Seit Anfang dieses Monats erscheinen jedoch immer wieder neue Gesichter, die an dem unscheinbaren Häuschen klingeln. Die meisten Gäste sind mit Tüten und Taschen beladen, die sie zurücklassen, nur um wenige Tage später erneut aufzutauchen und das Gepäck abzuholen.
Der Grund für den ungewohnten Betrieb in der Wohngegend liegt im Keller des Reihenhauses. Dort hat sich Schneidermeister Athanasios Bakalis eine professionell ausgestattete Werkstatt eingerichtet. Maschinen, die der Okrifteler verwendet, um Kleidungsstücke zu flicken und zu säumen, erstrecken sich über hell beleuchtete Tische. In der Mitte des Raumes steht ein Bügelbrett, während Garnrollen in unterschiedlichen Farben im Regal auf ihren Einsatz warten. Der einzige Hinweis, dass der Raum nicht schon immer als Schneiderei genutzt wurde, findet sich unter einer der Tischplatten: Wer genau hinschaut, der sieht zwei Öffnungen, in denen vertraut wirkende Kugeln rollen. Es handelt sich um einen Billardtisch, den Bakalis zur Arbeitsfläche umgewandelt hat. Früher sei dies mal ein Partykeller gewesen, in dessen Ecke eine Bar eingebaut war, erzählt der 68-Jährige. Von der Theke gibt es mittlerweile keine Spur mehr. An ihrer Stelle hat der Schneider eine Umkleidekabine für seine Kundschaft eingerichtet.
Für Athanasios Bakalis und seine Frau Doris ist der Keller die letzte Station, an der sie den seit Jahrzehnten bestehenden Laden betreiben. Die Eheleute sind mit ihrem Geschäft wortwörtlich zu Hause angekommen. Vielen Menschen in der Region ist die Änderungsschneiderei Bakalis bekannt. Nach Anfängen in Rödelheim und Sossenheim öffnete der Schneidermeister und Kürschner seinen Laden zunächst in Hofheim und dann in Hattersheim. Zuletzt ratterten die Nähmaschinen in Okriftel - im Ladenlokal an der Ecke Neugasse/Taunusstraße. Dort gab es jedoch keine Zukunft. Zum Ende des vergangenen Monats wurde Bakalis der Mietvertrag gekündigt.
Die Leidenschaft des Griechen für seinen Job ist so groß, dass es sich noch nicht mir dem Ruhestand abfinden wollte. Drei Monate lang ließ Bakalis den Partykeller, der zuletzt als Abstellraum genutzt wurde, umbauen. Noch während der Arbeiten sei die erste Kundin erschienen und habe eine Hose vorbei gebracht. „Die Kündigung war für uns ein Ansporn“, sagt der 68-Jährige, der sein Gewerbe bei der Stadt auf die Privatadresse umgemeldet hat. Jetzt fragt sich das Ehepaar, warum es diesen Schritt nicht schon früher gegangen ist. „Unser einziger Fehler war, dass wir das nicht schon vor sieben Jahren gemacht haben“, findet Doris Bakalis, die den Kunden gerne mal eine Kaffee oder Saft in den Keller bringt. Ihr Mann kann sich seine Arbeit nun einteilen, wie es ihm gerade passt. Ein Schild vor der Haustür gibt die Öffnungszeiten mit Montag bis Samstag von 9 bis 18 Uhr an. Mittwoch ist Ruhetag. Wenn er Lust hat, steht Athanasios Bakalis auch zu anderen Zeiten im Keller. Die Arbeit ist für den Schneidermeister nämlich mittlerweile ein Hobby, das er gerne ausübt. „Andere habe ihre Modelleisenbahn im Keller - ich habe meine Nähmaschinen“, sagt der Okrifteler, der sich in seiner Werkstatt so richtig wohl fühlt. Eine Ausnahme ist garantiert: Wenn die Mannschaft von Eintracht Frankfurt spielt, sei er lieber vor dem Fernseher als bei der Arbeit, betont Bakalis. sas