Hattersheim: Ein würdiges Abbild von besonderen Menschen

Fotobuch zum Thema Obdachlosigkeit von Erhard Scherfer und Klaus Störch ist bereits ausverkauft.
Hattersheim -Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Caritas-Obdachloseneinrichtung Haus Sankt Martin am Autoberg wurde ein Projekt initiiert, das ebenso originell wie respektvoll realisiert wurde. Der pensionierte Lehrer Erhard Scherfer sowie der Sozialpädagoge und Leiter der Einrichtung, Klaus Störch, haben mit Obdachlosen und ehemaligem Klientel ein blitzgescheites Büchlein mit dem Titel „Mein Leben - so anders“ geschaffen. Und zwar mit Hilfe von sensibel herausgearbeiteten Porträtfotos und Textpassagen. Das querformatige, fast 60 Seiten umfassende Fotobuch beginnt bei der Gestaltung der Außenseite mit einer Brauntönung, dann folgen weiße Deckblätter, bevor es über einen Grauton zu den bräunlich gefärbten Fotoseiten geht: Das Buch endet wieder mit weißen Deckblättern.
Die Fotos sind allesamt an Plätzen entstanden, die von den porträtierten Personen ausgewählt wurden. Kurze Texte zu ihren Fotos sind mit Hilfe von Gesprächen und einem Fragenkatalog zustande gekommen. Die Antworten sind zusammengefasst oder mit wenigen Worten formuliert. Dabei werden die Wörter „Stabilität“ und „Ufer“ sowie „Fahrrad“ oft genannt. Das Mainufer in Frankfurt mehrmals und überhaupt das Aufhalten in der Natur oder an Flüssen sowie die Freiheit, mit dem Rad unterwegs zu sein - alles dies sind für viele Menschen, die von vielen Problemen bedrückt sind, beliebte Aufenthaltsorte und Fortbewegungsmittel. Kein Wunder also, dass dies alles von den Protagonisten mehrfach in dem kleinen Werk genannt wird.
Für die Realisierung des Buches, das die beiden Fotokünstler Klaus Störch und Erhard Scherfer auf die Beine stellten, haben sich Obdachlose oder ehemalige Obdachlose offen den beiden Fotografen und Gesprächspartnern präsentiert. Die Hauptpersonen nennen ihre „Knackpunkte“ im Legen, ihre Lebenswünsche. Es liegt ein kleiner Zauber über dem Werk von Scherfer und Störch. Denn es bedient keinen üblichen Voyeurismus, sondern weckt Interesse. So geben einige der porträtierten Personen an, stabilen Verhältnisse anzustreben. Und dafür wollen sie etwas tun. Sie lassen sich nicht bedauern, sondern benennen, was sie so außer Tritt gebracht hat. Dezent und nie aufdringlich wird mittels der Fragen das Leben von Menschen dargestellt, die zu den am meisten Benachteiligten zählen, weil manche von ihnen keinen Wohnsitz nachweisen können. Als ob der Mensch kein Mensch wäre, wenn er keinen Wohnsitz hat. Schließlich ist seine Existenz real. Doch ohne Wohnsitz geht nichts, ohne dass es große Schwierigkeiten gibt. Das fängt bei offiziellen Hilfeersuchen an und hört bei einer ganz bescheidenen Lebensgestaltung auf der Straße auf. Ganz abgesehen vom gesellschaftlich niedrigen Ansehen. Umso mehr man sich mit dem kleinen Büchlein beschäftigt, umso mehr kommen Worte aus der Bibel in den Sinn, vom Kamel, das eher durch ein Nadelöhr kommen wird als ein reicher Mensch. Und sind vor dem irdischen Gesetz nicht alle Menschen gleich? Die Würde der abgebildeten Personen wird in dem Buch mittels ruhiger Positionen auf ein Podest gestellt. Das Ansehen dieser Personen beunruhigt nicht. Im Gegenteil. Sensible Betrachter spüren beim Betrachten deutlich: Sie wollen als Menschen wie alle anderen auch behandelt werden und nicht als Exoten in einer Endstation des menschlichen Lebens.
In den Äußerungen zu ihren Lebensumständen sind auch die negativen Situationen auf der Straße, auf „der Platte“, zu finden, die sie in verschiedener Art und Weise schildern. Jede und jeder, der das Buch liest und die Bilder betrachtet, erkennt, wie schwer es ist oder war, dass die Fotografierten eine Beziehung zu sich selbst in Ordnung brachten oder bringen. So ist es den beiden Fotografen und zugleich Fragenden gelungen, ein würdiges Abbild von besonderen Menschen mit viel Fingerspitzengefühl und Mitgefühl zu präsentieren. Schön zu wissen: Das Buch wird wohl eine zweite Auflage bekommen, die es auch verdient. meh