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Wenn aus Post Kunst wird

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Von: Sascha Kröner

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Einrichtungsleiter Klaus Störch hat ein sogenanntes „Mail-Art-Projekt“ zum Thema Wohnungslosigkeit gestartet. Was es mit dieser besonderen Kunstform auf sich hat, erlebten Besucher bereits in den vergangenen Wochen bei einer Ausstellung des Künstlers Norbert Koczorski.

Der 200. Geburtstag des Autors Georg Büchner gab den Ausschlag für das Kunstprojekt mit dem Titel „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“. Das Büchner-Zitat inspirierte Norbert Koczorski zur kritischen Auseinandersetzung mit den Themen Armut und Ungleichheit. Soweit erscheint die Idee noch wie ein gewöhnlicher künstlerischer Prozess. Die Entstehung der Ausstellung, die in den letzten Wochen im Haus St. Martin zu sehen war, ging aber einen ganz besonderen Weg: 136 Künstler aus der ganzen Welt beteiligten sich mit individuellen Werken. Die kreativen Köpfe schickten ihre Beiträge als Postkarten.

„Mail Art“ ist politisch

Koczorski hat seine Idee als „Mail Art“ (Post Kunst) umgesetzt. Damit griff er eine Kunstform auf, der sich bereits die Freiheitskämpfer vergangener Jahrzehnte bedienten. Die besondere künstlerische Herangehensweise sei in den 1960er Jahren als Gegenpol zum gängigen Kunstmarkt entstanden, erläutert der Initiator. In den Diktaturen Lateinamerikas und Osteuropas sei sie als Form des Widerstands praktiziert worden. „Mail Art war immer politisch“, betont Koczorski. Im Kern geht es darum, künstlerisch gestaltete Briefe oder Postkarten per Post zu verschicken. Die Ergebnisse werden dann gesammelt und in einer Dokumentation zusammengestellt. Zu den wichtigen Grundsätzen gehöre der Verzicht auf Zensur, erklärt Norbert Koczorski.

Viele Künstler sind dabei

Der politische Künstler aus Diepholz hat 300 Personen angeschrieben – die Hälfte davon lebt im Ausland. Mit einer Postkarte, die den Kopf Georg Büchners, die Frankfurter Skyline und eine Siedlung des sozialen Wohnungsbaus zeigt, lud Koczorski zu seinem Kunstprojekt ein. Nicht alle Künstler antworteten. Manche gestalteten jedoch gleich mehrere Postkarten, so dass insgesamt rund 300 Werke zusammen kamen, die in einer Wanderausstellung präsentiert wurden. „Es scheint ein ideales Medium zu sein, um so schwierige Themen einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen“, berichtet Kurator Andreas Pitz. Die Ausstellung „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“ wurde an über 40 Stationen in ganz Deutschland gezeigt. Von Januar bis Anfang der Woche konnte man einen Teil der Werke in der Hattersheimer Wohnungsloseneinrichtung Haus St. Martin sehen.

Jeder Künstler ging auf seine Weise an das vorgegebene Thema heran: Einige orientierten sich am literarischen Werk Georg Büchners, andere übten offen politische Kritik. Ein spanischer Künstler beteiligte sich mit einer Postkarte, die Klaus Kinski in der Rolle des Büchner-Charakters Woyzeck zeigte. Den Oberkörper der Figur hatte der Teilnehmer auf einen Frauenkörper gesetzt. Eine andere Karte zeigt eine Heiligenfigur mit dem Gesicht von Russlands Präsidenten Vladimir Putin. Der Untertitel: „Scheinheiliger“. Das Thema Armut hatte ein Künstler aufgegriffen, der zwei Obdachlose neben dem Logo der Deutschen Bank abbildete.

Eigenes Projekt in Arbeit

Die nächste Mail Art Ausstellung des Haus St. Martin ist bereits in Arbeit: Einrichtungsleiter Klaus Störch hat ein eigenes Projekt zum Thema Wohnungslosigkeit angestoßen. Die Idee sei ihm unabhängig von der Ausstellung Norbert Koczorskis gekommen, berichtet Störch. Der Chef des Haus St. Martin hat Künstler um Rückmeldungen zum Thema „No Home“ gebeten. Dabei habe er vor allem Personen aus der näheren Umgebung angeschrieben. Störch hat die Phrix-Künstlergemeinschaft aus Okriftel und den Kunstverein Kelkheim in seinen Briefwechsel einbezogen. 50 Einsendungen kamen bisher bereits zurück. Eine Ausstellung der Briefe und Postkarten ist für den Spätsommer geplant.

Gestern startete eine weitere neue Ausstellung im Haus St. Martin. Unter dem Titel „20 + 6 Obdachlosigkeit hat jedes Gesicht“ beschäftigte sich die Fotografin Ann-Kathrin Kampmeyer mit wohnungslosen Frauen. Unter 26 Porträtaufnahmen verbergen sich 6 Frauen ohne festen Wohnsitz. Die Ausstellung gibt keinen Hinweis und fordert den Betrachter damit auf, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Die Bilder sind bis zum 30. April werktags von 8.30 bis 15.30 Uhr im Haus St. Martin, Frankfurter Straße 43, zu sehen.

(sas)

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