Hofheim: „Gedenken allein reicht nicht“

Erinnerung an das Pogrom von 1938 - Antisemitismus ist kein Gespenst der Vergangenheit
Hofheim. Lange war sie nicht mehr so gut besucht wie an diesem 9. November 2023, die alljährliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des nationalsozialistischen Pogroms am Türmchen, der früheren Hofheimer Synagoge. Vor 85 Jahren hatten Nazis jüdische Gebetshäuser in ganz Deutschland geplündert und in Brand gesteckt. Lange war es Menschen wohl nicht mehr so bewusst in diesem Land, dass es ihn nach wie vor gibt. Der Antisemitismus, er ist kein Gespenst aus der Vergangenheit, sondern täglich erlebbar. Leider auch in Deutschland. Seit dem 7. Oktober, dem Tag des Angriffs der Hamas auf israelische Dörfer und Feste, scheint der Ungeist verstärkt aus der Flasche zu steigen.
Solidarität mit Israel war denn auch ein ganz aktueller Grund mehr, gestern Abend dem Aufruf zum Gedenken zu folgen. Eingeladen hatten die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (CJZ), Stadt, Kreis, Kirchen und Bürgervereinigung Altstadt, auch die Main-Taunus-Schule unterstützte die Veranstaltung wieder mit musikalischen Beiträgen von Schülerinnen und Schülern unter Leitung von Lucian Lange.
„Gruselkabinett des Mittelalters“
Carol Wanske, Vorsitzende der CJZ, machte in ihrer Begrüßung gleich den Kreis des Gedenkens weit. „Wir trauern heute Abend auch um die unschuldigen Menschen und die Opfer der Gewalt“, die von der Hamas ausgegangen sei, so Wanske. Sie fügte an: „Zugleich bekennen wir uns zu der Verpflichtung, Antisemitismus in jeder Form zu bekämpfen“. In Reaktion auf die AfD-Vertreterin Storch, die am Morgen im Bundestag Antisemitismus mit dem Islam verknüpft hatte, sagte die CJZ-Vorsitzende, Antisemitismus gebe es in allen Teilen der Gesellschaft. Sie selbst könne sich gar nicht vorstellen, wie jemand heute noch Antisemit sein könne. Ihre einzige Erklärung: Wer so eingestellt sei, sei noch dem Gruselkabinett des Mittelalters verhaftet - „oder einfach nur bekloppt“. Für die CJZ-Vorsitzende das Einzige, was helfe: Immer wieder in Dialog zu treten und nicht müde zu werden, auf den anderen zuzugehen. „Einfach machen, jeder Einzelne von uns“, so die Kriftelerin mit US-amerikanischen Wurzeln. Die Opfer des Pogroms und der Shoa „ehren wir, indem wir ihre Namen sagen, aber auch, indem wir jede Hassbotschaft, und wenn sie noch so demokratisch daherkommt, bekämpfen“, schloss Wanske.
Auch Hofheims Bürgermeister Christian Vogt und Stadtverordnetenvorsteher Andreas Hegeler erinnerten an die aktuellen Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen und die Reaktionen auf deutschen Straßen. „Wir sind letztlich alleine“, habe Marc Grünbaum von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt vor wenigen Tagen gesagt, zitierte Vogt. Umso dankbarer sei er für das „starke Zeichen, dass Sie alle hier heute Abend setzen.“ Er jedenfalls hoffe, dass jener bittere Satz Marc Grünbaums „hier nicht gilt - nicht heute Abend, nicht in Hofheim“.
Stadtverordnetenvorsteher Hegeler nannte „die kleinen Gedenken“, wie sie in Hofheim und überall im Land stattfänden, genauso notwendig wie das große Gedenken in Berlin. Das Erinnern daran, dass diese Menschen Nachbarn und Bekannte waren, auch in Hofheim, lasse das Gedenken noch einmal näher an uns heranrücken. Gedenken allein aber reiche nicht, befand auch Hegeler. Er jedenfalls wolle nicht erleben, dass, wie in Tangerhütte (Sachsen-Anhalt) hier jemand auf die Idee komme, den Anne-Frank-Hort umzubenennen, weil der Name und die Geschichte von Anne Frank den Kindern schwer zu vermitteln sei.
Schmerzlicher Gedenktag
„Da kann einem im Blick auf die Erinnerungskultur in unserem Land nur angst und bange werden“, zitierte Hegeler den geschäftsführenden Vizepräsidenten des internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. „Der 9. November wird für immer ein schmerzlicher Gedenktag für uns bleiben“. so Hegeler, und er bleibe Aufforderung zum Kampf gegen den Antisemitismus. „Immer - und ganz besonders in diesen Tagen und Wochen.“
Die Jüdin Susana Badian von der CJZ sagte in sehr persönlichen Worten, sie frage sich, „was heute in Deutschland in den Köpfen der Menschen und in der Öffentlichkeit vorgeht“. Und „Wie kann man heute das Erstarken der Rechtsradikalen verhindern?“ Ihre Antwort: Zum einen die Bitte der Auschwitz-Überlebenden: „Erzählt euren Kindern“, zum anderen die Aufforderung Schalom Ben-Chorins: „Suchen wir den Frieden!“