Stadt ist fassungslos: Gericht kippt Baugebiet wegen geschütztem Vogel

Der Bebauungsplan für das Hofheimer Gebiet Vorderheide II ist nichtig. Hintergrund des Scheiterns sind Klagen.
Hofheim – Das geplante Baugebiet Vorderheide II steht vor dem Aus. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel hat in zwei Urteilen entschieden, dass der Bebauungsplan für das Gebiet ungültig ist; er hat damit Klagen des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und mehrerer Privatpersonen statt gegeben. Der BUND ist zufrieden, die Stadt sprachlos.
Es ist vor allem der Gartenrotschwanz, ein besonders geschützter Zugvogel, der dem Baugebiet wohl den Garaus macht. Das Land Hessen hätte den Bereich am Steinberg im Hofheimer Norden als Vogelschutzgebiet zugunsten des Gartenrotschwanzes anmelden müssen, argumentiert das Gericht. Offenbar ist das nicht passiert, und deshalb ist dieses Thema in die Abwägung bei der Aufstellung des Bebauungsplanes nicht eingegangen. Eine sachgerechte Abwägung aller Belange aber ist Pflicht.
Vorderheide II in Hofheim: Aus für Baugebiet – Auch zu wenige Wohnungen
Nach Einschätzung des Gerichts reicht auch der Ersatz nicht aus, der geschaffen wurde oder werden soll. Die vorgesehenen Ausweichhabitate - vereinfacht gesagt: Lebensräume - für verschiedene Vogelarten seien nicht genügend gesichert. Ausgleichsmaßnahmen, die auf Gartenrotschwanz und Zwergfledermaus abzielen, reichen nicht aus. Bekanntlich plante die Stadt, einzelne Bäume mit Höhlen, in den die Fledermäuse ihren Nachwuchs aufziehen, umzusetzen.

Drittens weist das Gericht auf die vom Regionalplan vorgegebene Bebauungsdichte hin. Diese ist festgelegt, um einen sparsamen Umgang mit Boden zu sichern. Die Vorgaben werden nicht erreicht. Es entstehen zu wenige Wohnungen auf der Fläche. Daran könne auch der Hinweis auf den hohen Wohnraumbedarf in der Region nichts ändern.
Geplant war, auf etwa einer 11,3 Hektar großen Fläche am Waldrand unterhalb des Kapellenberges etwa 220 Wohnungen für bis zu 700 Bewohner zu bauen, vor allem in Einfamilienhäusern. Dagegen hatte der BUND unter Hinweis auf den hohen ökologischen Wert des Areals geklagt. Anwohner, die ebenfalls vor Gericht gezogen sind, fürchten überdies eine übermäßige Verkehrsbelastung durch das Neubaugebiet.
Der BUND hat gestern in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass in dem Gebiet 200 Tierarten festgestellt wurden, darunter 13 landesweit bedrohte Arten. Dazu gehören der Steinkauz und verschiedene Spechtarten. "Die Lehre aus dem Urteil lautet, dass wertvolle, artenreiche Flächen geschützt und nicht bebaut werden sollten", so der BUND-Landvorsitzende Jörg Nitsch.
Hofheim: Baugebiet für den Artenschutz gekippt – Letzte Möglichkeit ist eine Beschwerde
Der VGH hat eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. Dagegen wiederum könnte die Stadt in Form einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgehen. Nur wenn dies erfolgreich wäre, käme es zu einem Hauptverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Keiner weiß, wie viel Zeit dies in Anspruch nehmen würde.
Die Stadt hat gestern zu ihrer weiteren Vorgehensweise keine Auskünfte gegeben. Ohne Urteilsbegründung könne man die Entscheidung des Gerichts nicht bewerten und keine Aussagen zum Umgang damit machen, lässt die städtische Pressestelle wissen. Die Pressemitteilung des Gerichts könne die Urteilsbegründung nicht ersetzen.
"Das ist ein höchst unerfreuliches Urteil", sagt Thomas Müller, Geschäftsführer der in Hanau ansässigen Terramag GmbH. Das Unternehmen ist als Träger der Erschließungsarbeiten des Baugebietes vorgesehen und möchte die Grundstücke zum Teil auch selbst entwickeln. Mit anderen Grundeigentümern hat sich die Firma zur Entwicklungsgesellschaft Hofheim (EGH) zusammengeschlossen. Inhaltlich sagt Müller nur wenig mehr als die Stadt zu der Entscheidung des VGH. Mit dem Beschluss habe er nicht gerechnet, so Müller. Jetzt müsse man die Begründung abwarten, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Spannend sein wird zu beobachten, ob Stadt und Investoren zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen.
Aus für Baugebiet in Hofheim (Taunus): Eine Menge Geld versenkt
Fest steht, dass beide eine Menge Geld versenkt haben, wenn es beim Aus für das Baugebiet bleibt. Während die Stadt eine Nachfrage dazu nicht beantworten möchte, erläutert Terramag-Chef Müller, dass die EGH die Kosten für Planung, all die Gutachten, aber auch für die teuren Ausgleichsmaßnahmen übernommen habe. Das eigentliche Bebauungsplanverfahren wiederum sei auch finanziell eine Sache der Stadt.
Und was wird aus dem Baugebiet? Die Grundstücke blieben, wenn das Urteil Bestand habe, bei den ursprünglichen Eigentümern, sagt Müller. Die Eigentumsübertragung im Grundbuch sei noch gar nicht vorgenommen worden. Es sieht so aus, als fänden sich einige, die vor Jahren ein gewöhnliches Gartengrundstück abgegeben haben, urplötzlich als Besitzer eines reichlich verwilderten Geländes wieder.(Manfred Becht)
Kommentar: Die Stunde der Politik
Ist das geplante Baugebiet Vorderheide II nun mausetot, oder zuckt es noch ein wenig in der Hoffnung, dass es auf dem Weg über eine Nichtzulassungsbeschwerde und anschließende Revision beim Bundesverwaltungsgericht gerettet werden kann? Das ist die Frage, die jetzt im Rathaus zu klären ist. Eine schnelle Klärung wäre wünschenswert, aber da es darum geht, juristische Chancen einzuschätzen, wird es wohl eine Weile dauern.
Auf jeden Fall ist es jetzt aber der richtige Zeitpunkt für eine politische Prüfung - will man das Baugebiet überhaupt noch? Ist es nicht ein wenig aus der Zeit gefallen? Weil relativ viel Natur für relativ wenige Wohnungen geopfert wird? Entstehen nicht auf dem Wege der Nachverdichtung in Hofheim nicht schon hochpreisige Wohnungen genug? Ist es nicht sinnvoll, dass es Vorgaben übergeordneter Ebenen gibt, nach denen im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet nicht mehr zu locker bebaut werden darf?
Man kann gespannt sein, ob die Stadtverordnetenversammlung sich zu Wort meldet. Das Urteil aus Kassel kommt zu einer Zeit, die in Hofheim politisch unsicher ist; es gibt keine Mehrheitskoalition mehr. Das ist eine Tatsache, die dem Baugebiet jetzt den Rest geben könnte.