Individuelles und selbstständiges Lernen

Gesamtschule Rosenberg startet mit neuem Konzept: Weg vom Frontalunterricht.
Hofheim -Normalerweise kennt man Schulstunden so: Vorne steht die Lehrkraft und erklärt, die Schüler und Schülerinnen beteiligen sich mehr oder weniger, der eine kapiert es, der andere nicht. Nach einer Dreiviertelstunde ist es vorbei.
An der Gesamtschule Am Rosenberg (GsAR) läuft der Unterricht seit Schuljahresbeginn für alle fünften Klassen und eine achte Gymnasialklasse anders. Gelernt wird in den Hauptfächern Mathe, Deutsch und Englisch nach dem INSEL Konzept. INSEL steht für individuelles und selbstständiges Lernen. Gerade während der Schulschließungen in der Corona-Pandemie habe man gesehen, dass viele Schüler nicht in der Lage seien, selbstständig zu arbeiten. „Wir wissen nicht, wie zum Beispiel die Berufswelt in einigen Jahren aussieht. Unser Bildungsauftrag ist es, die Kinder zukunftsfähig zu machen. Mit Frontalunterricht in 45-Minuten-Einheiten schaffen wir das nicht“, ist Linda-Helene Kiesel überzeugt. Die Lehrerin für Deutsch und Englisch ist gemeinsam mit Mathe- und Physiklehrerin Gera Rohlfing sowie Schulleiter Hendrik González Peña Ideengeberin für das Konzept.
Lehrkraft behält über Plattform den Überblick
Und so läuft es: Die Schüler erhalten über die Lernplattform „LearningView“ Wochenpläne mit Arbeitsaufträgen von ihren Lehrkräften auf iPads. „LearningView“ ist laut den Entwicklern von der Pädagogischen Hochschule Schwyz ein Werkzeug zur Planung, Dokumentation und Reflexion des eigenen Lernprozesses und zur Förderung der Selbstlernkompetenzen. Wann die Kinder und Jugendlichen ihre Aufgaben erledigen, können sie selbst festlegen. Die Lehrkraft behält über die Plattform den Überblick, wie weit ihre Schützlinge sind und wer wo Unterstützung braucht. Im normalen Frontalunterricht blieben die Schüler, die etwas nicht verstanden haben, häufig auf der Strecke, betont Rohlfing. Lernvideos, die wiederholt angeschaut werden können, unterstützen den Lernfortschritt. „Keine Angst, die Kinder hängen nicht den ganzen Tag vorm Bildschirm“, beruhigt Kiesel. Es gebe nach wie vor Arbeitsblätter und Bücher, das iPad sei nur ein Hilfsmittel. Angeschafft wurden die Geräte mit Fördermitteln aus dem „DigitalPakt Schule“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Englisch ist nicht gerade Eddies Lieblingsfach. Die Schülerin aus einer fünften Klasse im Gymnasialzweig der GsAR hat daher entschieden, jeden Tag ein bisschen Englisch zu machen, um sich den Stoff gleichmäßig verteilt anzueignen. Anfangs habe sie das INSEL Konzept als komisch empfunden, aber: „Jetzt finde ich es cool, dass ich selbst entscheiden kann, was ich wann mache.“ Durch die individuelle Arbeitsweise entstehen für die Lehrenden Zeiträume herumzugehen, um einzelne Schüler zu unterstützen und ihnen die Zeit zu geben, in ihrem Rhythmus zu lernen.
Schüler helfen sich gegenseitig
Am Gruppentisch diskutieren zwei Schüler leise miteinander. Flavio ist gut in Deutsch, Elias in Mathe. „Wir helfen uns gegenseitig“, erklären die Elfjährigen. Sich selbst helfen zu lernen ist ein weiteres Ziel des Konzeptes: „Wir sehen uns als Begleiter, als letzte Option“, sagt Rohlfing augenzwinkernd. Er habe erst in das Konzept reinfinden müssen, gibt Elias zu. Er achte jetzt zum Beispiel darauf, seine Rechenaufgaben immer dann zu erledigen, wenn die Mathelehrerin anwesend ist.
Begonnen hat das Ganze 2019 mit einer Pilotklasse. Vorbereitend habe man sich viel Input geholt, auch bei anderen Schulen, die ähnliche Programme umsetzen, erzählt Kiesel. Daraufhin wurde INSEL speziell für die GsAR entwickelt. „Wir haben gesehen, dass es funktioniert, und beschlossen, das Konzept im laufenden Schuljahr in allen fünften Klassen einzuführen“, schildert Schulleiter González Peña. Ziel ist es nun, das Konzept sukzessive in allen Klassen umzusetzen. Die Erarbeitung des Konzepts habe viel Arbeit bedeutet, dafür hätten sie und ihre Kollegen auch einen Teil ihrer Freizeit hergegeben, sagt Kiesel, die zweifache Mutter ist. „Veränderung funktioniert nur, wenn es Menschen gibt, die sich einsetzen. Ich bin sehr glücklich, dass wir das geschafft haben“, unterstreicht González Peña. Das Kollegium habe teils kritisch reagiert, auf der letzten Gesamtkonferenz konnte aber eine Zweidrittelmehrheit für das Konzept erreicht werden. Von den Eltern sei bereits positives Feedback gekommen, freut sich Rohlfing.
In Eddies Klassenraum haben sich drei Mädchen in eine Ecke zum Lernen auf den Boden gekuschelt. Die Kinder haben zwar einen festen Sitzplatz, dürfen aber wechseln. Wem es doch mal zu laut ist, der kann Kopfhörer tragen oder in einen Stillarbeitsraum umziehen. Lara arbeitet an einem Stehtisch. Die Elfjährige findet INSEL gut: „Ich möchte meine Aufgaben selbst schaffen können.“