Fischbach: "Wir glauben, dass wir Brückenbauer sind"

Ex-Fischbacher hat Hilfsverein mitgegründet.
Fischbach/München. Einen Fernseher haben Marcel Schana und seine Freundin Martina Niesyto in München nicht. Doch an jenem 4. August saßen sie gebannt vor dem Handy, als es im Hafen von Libanons Hauptstadt Beirut eine gewaltige Explosion gab mit gut 200 Todesopfern und mehr als 6500 Verletzten. "Das war Wahnsinn. Diese Explosion hat uns mitgenommen", erinnert sich der in Fischbach aufgewachsene junge Mann. Und überlegte bald darauf: "Vielleicht können wir ja helfen?"
Dieser Gedanke des Paares sollte der Beginn einer besonderen Geschichte werden. Denn inzwischen haben Schana und Niesyto die Gründung des Vereins "Aid Pioneers" in die Wege geleitet, schon sechs Hilfsgüter-Transporte nach Beirut organisiert und ein Team von rund 25 Helfern. Schana ist offiziell der Präsident und seine Freundin die Generalsekretärin, doch die Gruppe setzt auf flache Hierarchien mit passenden Aufgaben für jeden. "Wir wollen zeigen, was man selbst tun kann, wenn man sich zusammentut", sagt der 25-Jährige, der sein Studium in Volkswirtschaftslehre und Philosophie fast beendet hat und dann an den Master geht.
Güter für die Kinder, sechs Flüge nach Beirut
Doch aller Anfang war schwer. Rund 500 Mails seien geschrieben, gut 100 Telefonate bis zum ersten Hilfsflug geführt worden, überschlägt Schana. Erst einmal fragte das Paar Hilfsorganisationen ab. "Es gab keinen, der etwas nach Beirut fliegt. Dann machen wir das einfach mal selbst", erinnert er sich. Ihr Ziel: Freie Kapazitäten auf Flügen nach Beirut nutzen, um dort Hilfsgüter vor allem für die Kinder mitzuschicken. Denn sie würden bei allen Aktionen oft vergessen. Fluglinien wurden kontaktiert, bei Sundair, einer kleinen Airline aus Stralsund, wurden sie fündig. Der Geschäftsführer rief an und bot an, die Kisten könnten bei freiem Platz von Berlin und Düsseldorf aus mitgenommen werden - über das "Handgepäck" von Passagieren.
Nun fehlte noch ein verlässlicher Partner im Libanon. "Denn wir wollen auf keinen Fall etwas mit der Hisbollah zu tun haben", betont Schana. Über das Orient-Institut bekamen sie Kontakt zur bekannten Schauspielerin Anja Rihana, die selbst aktiv werden wollte. Inzwischen haben die "Aid Pioneers" rund 1000 Namen von Familien, die Hilfe brauchen. Die Spenden wurden anfangs vor allem in Berliner Schulen gesammelt, ein Spielwarenhändler, der auch einen Lagerplatz stellt, steuerte 10 000 Stifte bei. Nun brauchte es schnell eine notarielle Beglaubigung für die Zollbefreiung, auch das wurde abends ab 19 Uhr nach Telefonaten ermöglicht.
So konnte am 21. August der erste Sundair-Flieger mit 25 Umzugskartons der Gruppe abheben. Kuscheltiere, Stifte und Kinderkleidung wurden in Beirut von den Kontaktleuten dort übergeben. Allerdings erst nach der letzten Hürde: Denn die Kisten waren in der Fundstelle gelandet - und der Fluggast, auf dessen Namen sie liefen, musste erst aus dem Südlibanon zurückgeholt werden.
Trotz einiger Hürden hat Schana und Niesysto diese Premiere bestärkt. Helfer kamen hinzu, die Gründung einen Vereins wurde gestartet, die "Aid Pioneers" wollen sich als anerkannte Nichtregierungsorganisation (NGO) nun im Hilfssektor für Kinder etablieren. Das Team habe entschieden, "es so lange wie möglich am Leben zu halten". Es gab schon sechs Flüge nach Beirut, zuletzt wurden Weihnachtsgeschenke für 1200 Kinder ausgeflogen, zuvor 500 Kilo dringend benötigte Schulmaterialien via Frankfurt zum Partner "Boxes4Beirut" (auch eine studentische NGO) gebracht. "Dabei haben Volunteers der Malteser Caravan geholfen, die anstatt eigener Koffer die Spendenkisten als Gepäck aufgegeben haben", freut sich Schana, der in Fischbach und Hornau Fußball spielte, ans Richter-Gymnasium ging, dann ein Stipendium an einem Internat bei Kiel erhalten hatte. Zuletzt war er wieder in Fischbach bei der Familie, die natürlich hinter dem Projekt steht.
Das nun wachsen wird. Inzwischen gibt es bereits eine zweite Luftbrücke von Frankfurt nach Athen. Von dort werden die Güter ins Flüchtlingslager Moria auf Lesbos gebracht. Hier nutzen die "Aid Pioneers" leere Flugkapazitäten des Bundes, der Flüchtlings-Flüge organisiert. Als neues Projekt will der Verein über den Irak die Menschen in Syrien mit Gütern erreichen. Und an das Flüchtlingsdrama in Bosnien denkt Schana. Warum nicht Busse nutzen, die fast leer dorthin fahren?
"Wir glauben, dass wir Brückenbauer sind", sagt Schana zum Engagement, bei der die Gruppe mit anderen Visionären zusammenarbeiten will. Und dessen Team die Dynamik eines jungen Start-Ups nutzt. Vielleicht irgendwann hauptberuflich - der aktive Ex-Fischbacher schließt das nicht aus.
Noch bis Jahresende läuft eine Aktion, mit der die "Aid Pioneers" ihr Budget fürs 2021 einsammeln. 20 000 Euro sind ihr Ziel, mehr als 13 000 haben sie erreicht. Dafür gibt es über die Homepage eine so genannte Crowdfunding Kampagne, Interessenten können sich aber auch an info@aidpioneers.com wenden, um eine Individual- oder Sachspende auszumachen oder später zu spenden. Auf Instagram (@aidpioneers) ist dann genau zu sehen wo, wie und bei wem die Dinge letztendlich ankommen. Infos zum Verein und zur Spende auf www.aidpioneers.com .
