Kelkheim: Geschichte spüren, aber Demokratie heute leben

Ausstellung zu 175 Jahren Paulskirche und den Gagern verbindet Epochen, will mahnen und wachrütteln
Hornau. Schaffen Waffenlieferungen Frieden? Klimaschutz als Grundrecht? Und wie wird die frühere Rolle von Kirche und Staat gesehen? Fragen, die Potenzial für Diskussionen bieten. Das ist möglich in der neuen Sonderausstellung „Demokratie weiter denken“ in der Alten Kirche. Dort wird beim Erstbesuch der Rest einer Debattierstation aufgebaut. Vor allem junge Leute, Schülergruppen können dort zu den Fragen das Pro, Contra und Neutrale ausloten - und ihre Begleiter abstimmen, wem sie folgen.
„Wir möchten, dass die Ausstellung lebendig ist“, sagt Daniel Groth von der Bonner Gesellschaft Concultura, die mit der Stadt die Präsentation konzipiert hat. Im Hintergrund werkeln seine Kollegen Rainer Henssler und Vera Dommershausen an letzten Details. Es soll alles passen, wenn morgen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nach dem Festakt in der Martinskirche St. Martin die Ausstellung eröffnen wird. Zu sehen ist die Schau vom 5. Mai bis 25. Juni (Text rechts).
Die Hornauer Familie von Gagern begleitet die Besucher durch ihre Demokratiegeschichte. Und die Kuratoren spannen den Bogen zum Hier und Jetzt. Die Grundrechte-Tafel in Folge der ersten Nationalversammlung 1848, deren Jubiläum nun gefeiert wird, bildet das „Scharnier“, wie es Torsten Weigelt, Autor des Buches über die Gagern-Familie, nennt. Wichtig sei es, „dass man nicht im Gestern stehen bleibt“, freut sich Kulturamtsleiterin Beate Matuschek über den zweigeteilten Weg durch die Demokratie - die Vorbereitung um 1848 und das, was daraus geworden ist.
Es gelte, „wachsam zu sein“, denn „Demokratie ist ein wertvolles Gut“, betonen die Protagonisten. Und nicht nur sie. Gleich am Eingang werden die Gäste von Politiker-Zitaten „empfangen“. Wie dem von Winston Churchill: „Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe.“ Aber auch kritisch zu sehende Zeitgenossen wie Erdogan und Stalin kommen zu Wort. Im Kontrast hat Kameramann Olaf Jahnke Schüler der Eichendorffschule und ihre Aussagen zur Demokratie aufgenommen, die gleich zur „Begrüßung“ gesendet werden. Ebenfalls Teil des Empfangs ist ein Teppich, der die Weltkarte der Demokratiesierung zeigt - erläutert an der Tafel durch den Index, der die Rangfolge von Norwegen bis Afghanistan auflistet. Die Kuratoren sind sich einig, dass die Gagern mit ihrer Haltung vor 175 Jahren wohl bei Singapur anzusiedeln wären - einer noch unvollständigen Demokratie.
Der steinige Weg dorthin wird von Stadtarchivar Julian Wirth und Autor Weigelt aufgezeigt. Wirth befasst sich mit Napoleon, der zwar „Geburtshelfer der deutschen Nation“, aber eben eine sehr „polarisierende Persönlichkeit“ gewesen sei. Dass Charlotte und Hans Christoph von Gagern bei seiner Selbstkrönung in Paris dabei waren sowie deren Söhne Friedrich, Heinrich und Karl bei Waterloo gegen Napoleon kämpfen, spannt den Bogen nach Hornau. Dort lebte ein Teil der Familie, dort war Rückzugs- und Denk-Ort der drei zentralen Brüder Heinrich, Friedrich und Max. Dort gelobten sie auf dem Staufen, sich für die Demokratie einzusetzen. Diese lokale Historie erzählt Weigelt - mit der Verfassunggeschichte als „roter Faden“.
Stets werden die einzelnen Stationen mit Zitaten überschrieben, stets dienen Bilder wie das Hofgut Hornau als dezente Hintergründe der Tafeln. Das Modell der Anlage ist auch ausgestellt. Drei Neuheiten bauen die Kuratoren ein: Der Museumsvereinsvorsitzende Jürgen Moog hat auf Initiative von Christa Wittekind bisher nicht bekannte Porträts von Charlotte und Hans Christoph abfotografiert. Weigelt hat die „Europakarte“ der Gagern erstellt - mit all ihren Wirkungsstätten zwischen London, Paris und Waterloo im Westen, Warschau im Osten und dem Herz in der Region mit Hornau, Wiesbaden sowie Darmstadt. Zudem skizziert der Familienkenner das „Promi-Netzwerk“ des Vaters mit Kontakten zu Goethe, den Brüdern Grimm und dem Fürsten von Metternich.
Weigelt spart kritische Dinge nicht aus, wie die Protestaktion der UKW-Fraktion vor 25 Jahren an den Gagernsteinen, deren mit initiierte Schrift „Der Anti-Gagern“ oder das Buch „Die Flamme der Freiheit“, in dem Jörg Bong die Rolle der Gagern-Gegner stützt. „Es ist wichtig, dass es andere Meinungen gibt“, so Weigelt. Der in einem Artikel dieser Zeitung betont hat: „Sie waren weder Heilige noch Schurken.“ Eigentlich sei ja nur eine kleinere Ausstellung geplant gewesen, so Matuschek. Doch die zentrale Rolle der Familie hat immer ein Teil zum Anderen gebracht, so dass mit den Protagonisten die Ansprüche wuchsen. Matuschek selbst hat sich um die heutigen Grundrechte gekümmert. „Sie sind die Essenz dessen, was die Freiherrn von Gagern mit auf den Weg gebracht haben.“ In der Ausstellung kann dazu jeder sein Wissen testen und die Grundrechte bei einem Puzzle mitten im Raum zusammensetzen. Finale ist eine Wahlkabine mit Hörstation zu diesem zentralen Recht.
Viele Sondertermine
Die Ausstellung „Demokratie weiter denken“ in der Alten Kirche Hornau, Rotlintallee 12, ist vom 5. Mai bis zum 25. Juni geöffnet - und zwar mittwochs bis sonntags von 15 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Ein Katalog zur Präsentation, erschienen bei der Edition Pauer aus Kelkheim, kann für 10 Euro erworben werden. Auf der Empore der Alten Kirche ist auch der Gagern-Film der Stadt zu sehen. Förderer der Ausstellung sind die Hessische Staatskanzlei, der Kulturfonds Frankfurt/Rhein-Main, die Aventis Foundation, der MTK mit der Stiftung der Nassauischen Sparkasse, Matthias Bonczkowitz. Unterstützer sind zudem die „Bürger für Hornau“ und der Museumsverein. Es gibt Sonderführungen sonntags um 15 Uhr durch die Ausstellung für 5 Euro (Mitglieder des Museumsvereins frei) mit Marianne Bopp, Julian Wirth oder Rüdiger Kraatz. Zudem weitere Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Thema:
„Charlotte von Gagern - eine Mutter mit zehn Kindern“, Führung mit Christa Wittekind am Sonntag, 7. Mai, 15 Uhr (ab Alte Kirche).
„Auf zum Staufenschwur“ - Wanderung auf den Staufen mit Erläuterungen von Torsten Weigelt und Julian Wirth am Sonntag, 14. Mai, 14 Uhr (Start Gagernanlage).
Führungen durch die Ausstellung mit dem Schwerpunkt „Epochen der deutschen Verfassungsgeschichte im Überblick“ mit Rüdiger Kraatz am Donnerstag, 18. Mai und 8. Juni, 15 Uhr.
Führung durch die Präsentation mit dem Titel „Napoleon und die Freiherrn von Gagern“ am Sonntag, 11. Juni, um 15 Uhr mit Julian Wirth.
Finissage der Aktion „Demokratie weiter denken“ am Sonntag, 25. Juni, um 15 Uhr mit Auszügen aus dem Theaterstück „Revolution und Rosen“ von und mit Michael Quast und der „Fliegenden Volksbühne“ am Gagernhaus, Rotlintallee.