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Kelkheim: Kommt Leinenpflicht wieder an „lange Leine“?

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Diese Schilder haben für viel Unmut gesorgt. Nun wird neu diskutiert über den Leinenzwang.
Diese Schilder haben für viel Unmut gesorgt. Nun wird neu diskutiert über den Leinenzwang. © wein

„Schwarze Schafe“ im Visier: Nach Bürgergespräch wird Kompromiss über Arbeitsgruppe angestrebt

Kelkheim. Mehr als eine Stunde hatten sie diskutiert, mal mehr, mal weniger lautstark Argumente ausgetauscht. Es gab viele Redebeiträge am Mikrofon, Zwischenrufe unter den rund 80 Besuchern im Plenarsaal, Szenenapplaus und Privatdialoge. Dann schritt am Dienstag nach 21 Uhr ein Mädchen ans Mikro. „Es ist wichtig, dass wir einen guten Kompromiss finden und uns Mühe geben, dass wir alles ordentlich hinterlassen“, sagte sie mit sanfter Stimme. Sprach’s - und machte sich mit der Mutter auf den Heimweg.

Der kurze Auftritt hatte Spuren hinterlassen, brachte Applaus. Denn die Leinenpflicht für Hunde in Kelkheim, in diesem Jahr erstmals von März bis 15. Juli während der Brut- und Setzzeit angeordnet, sorgt für viele Emotionen. Hundehalter auf der einen Seite, Landwirte, Jäger, Naturschützer auf der anderen: Das Konfliktpotenzial ist groß, im Rathaus sind viele Protestnachrichten der Hundefreunde und eine Lob-Anzeige der Jagdgenossen eingegangen.

Deshalb hatte die Stadt sich laut Bürgermeister Albrecht Kündiger „für ein ungewöhnliches Format“ entschieden: Erstmals in seiner Amtszeit gab es ein Bürgergespräch. Das Ergebnis nach emotionalen, aber konstruktiven knapp zwei Stunden: Es könnte sein, dass die Leinenpflicht wieder an die „lange Leine“ kommt, nach einem Kompromiss gesucht wird. Dieser Ansicht sind auch die meisten der politischen Fraktionen, die das am Ende entscheiden werden (Text rechts). Zudem soll eine Arbeitsgruppe um den Kelkheimer Hundetrainer Lothar Brosette, Vertreter der Stadt und Interessenten gebildet werden, um vielleicht eine neue Satzung auszuarbeiten - möglicherweise ohne Leinenzwang, aber mit der örtlichen Pflicht, dass Mensch und Tier auf den Wegen bleiben.

Die Stadtverordneten hatten den Leinenzwang damals einstimmig beschlossen, so Kündiger. Während der viereinhalb Monate sei es zu vielen Gesprächen mit letztlich einsichtigen Hundehaltern und nur zwei Bußgeldbescheiden durch den Kelkheimer Hundebeauftragten gekommen. Kündiger und die Bürger im Saal sind sich einig, dass 90 Prozent der Tierbesitzer vernünftig seien.

Ein Hundefreund und Jurist aus Eppenhain betonte, die Satzung sei nicht haltbar. Die Stadt dürfe so weit nicht in die Rechte der Bürger eingreifen. Alle Halter, die er kenne, hätten ihre Vierbeiner so gut im Griff, „dass sie niemanden belästigen“. Es störe ihn, dass er als „Naturfrevler“ gelte. Kündiger verwies darauf, dass die Stadt eine Mustersatzung übernommen habe, die andere Kommunen ebenfalls nutzen. In Kriftel im Hochfeld gab es den Zwang, andere Orte blicken auf Kelkheim. Die Brut- und Setzzeit sei von der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises vorgegeben. Circa 1720 Hunde gibt es in Kelkheim.

Von Brüter-Ruhe und Hunde-Verhalten

Ein Naturfreund benannte die Problematik: Wenn das Gelege einer Fasan-Henne mehr als zehn Mal am Tag gestört werde, etwa durch schnüffelnde Hunde, wechsele sie bis zu fünf Mal ihren Platz. Habe sie immer noch keinen Bruterfolg in Ruhe, setze hier die Vermehrung aus. Dazu gebe es Studien. „Wir sollten uns anständig benehmen, damit es uns allen ein bisschen besser geht.“

Dass immer wieder Hundekot auf seiner Streuobstwiese lande, ärgert einen Kelkheimer. Landwirt Thomas Herr berichtete von solchen Hinterlassenschaften im Heu. Das führe so weit, dass Reitbetriebe sich ihr Futter aus Südhessen kommen lassen. Herr betonte auch, während der Leinenpflicht seien weniger Rehe gerissen worden - nun habe es wieder mehr Vorfälle gegeben. Ein Jagdpächter ärgerte sich, dass sich vor allem Hundehalter ihre Trampelpfade in Wald und Feld schaffen.

Eine Fischbacherin zitierte eine Tierärztin damit, die Hunde hätten ein „ausgeprägtes Lauf- und Informationsbedürfnis“, was der Leinenzwang einschränke. „Es verringert sich die erfahrbare Erlebnisvielfalt. Das kann sich in Verhaltensstörungen auswirken.“ Und sie betonte, der Hund sei für viele, oft alleinstehende Menschen „der wichtige Kamerad, oft der einzige Partner“. Sie habe die Sorge vor einer ganzjährigen Leinenpflicht, die ihr der Bürgermeister aber gleich nahm. Hundetrainer Brosette brachte spezielle Freiflächen ins Spiel, wo der Zwang nicht gelten muss. Seine Hündin zum Beispiel könne angeleint ihr Geschäft nicht machen. Deshalb sei er bis Mitte Juli nach Hofheim gefahren - wie einige andere Kelkheimer auch. Brosette betonte: „Bodenbrüter brauchen Rückzug, aber Hunde brauchen Auslauf. Wir können sie nicht komplett einsperren.“

Kritik kam am öffentlichen Hundeplatz, der in Münster zu abgelegen mitten in der Sonne sei. Kündiger räumte diese Fehlplanung ein, berichtete von der Idee einer deutlich größeren Hundewiese oberhalb des Hauptfriedhofs. Nichts hält er von der Nebendiskussion, mehr Mülleimer und mehr Hundebeutel-Boxen aufzustellen. Es seien jetzt schon gut 400 000 Beutel im Jahr, von denen einige trotzdem in Wald und Wiese landen.

Eine Hundebesitzerin regte an, die Stadt solle eine Broschüre herausgeben. Zudem kam die Idee, die aktuell 250 Verbotsschilder auf der Rückseite zu positiv wirkenden Informationstafeln umzufunktionieren. Ein Hundebesitzer brachte es unter Applaus auf den Punkt: „Es gibt bei uns schwarze Schafe, über die darf man sich zu Recht ärgern. Aber die Hundehalter fühlen sich ungerecht behandelt, wenn sie über einen Kamm geschoren werden.“ Eine Tierärztin ist überzeugt, dass die „Hunde-Community funktioniert“, sich die Halter auf Fehler ansprechen. Am Ende verteilte sie Lob. Das neue Format des Bürgergesprächs ist offenbar gut angekommen.

Politik kann sich Veränderungen vorstellen

Beim Bürgergespräch hatten alle politischen Fraktionen mit Ausnahme der FDP auf dem Podium Platz genommen. Sie hörten sich die Argumente zur Leinenpflicht in Ruhe an - und gaben zum Finale ihre Tendenz ab. Denn letztlich wird die Stadtverordnetenversammlung im Winter entscheiden müssen, wie es mit dem umstrittenen Verbot im nächsten Jahr weitergeht. Fast alle Fraktionen nahmen aber das Wort „Kompromiss“ in den Mund, so dass in jedem Fall von Veränderungen der Satzung auszugehen ist.

UKW-Chefin Doris Salmon räumte ein, die Vorlage sei damals kurzfristig „mit der heißen Nadel gestrickt“ worden. Sie könnte sich einen Wege- statt Leinenzwang vorstellen. Der „Eingriff“ in die Rechte der Bürger solle „so gering wie möglich“ sein, und Hunde „müssen artgerecht gehalten werden“. Eine Broschüre sei eine gute Idee, sie könne ja zum Thema Naturschutz erarbeitet werden.

Es sei wichtig, eine Idee zu finden, „wie wir es allen Recht machen können“, sagt Carolin Eichhorn-Loftus (CDU). Ihr Fraktionschef Carsten Schrage wünscht sich „einen vernünftigen Kompromiss, mit dem alle leben können“. SPD-Fraktionschef Michael Hellenschmidt hat zwar aus der „anregenden, emotionalen“ Diskussion einiges mitnehmen können, doch Änderungen müssten gut überlegt sein. Er sei mit der Leinenpflicht „nicht unzufrieden“. Robert Wintermayr (Freie Wähler Kelkheim) hält davon nichts. Deshalb hat die Fraktion den Antrag gestellt, den Zwang aufzuheben - das muss die Politik beraten. Es werden Bürger „in Kollektivhaft“ genommen. Doch auch er hält einen Kompromiss für gut. Ivaloo Schölzel (fraktionslos, Freie Wähler) sah eine „sehr fruchtbare“ Diskussion: „Wir müssen das öffnen.“ Ganz ohne Beschränkungen gehe es aber nicht.

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