Kelkheim: Trauer um „roten Bürgermeister“

SPD-Triebfeder Hans-Walter Müssig mit 79 Jahren gestorben.
Kelkheim. „Hans-Walter Müssig ist der erste ,rote Bürgermeister’: Der Kulturdezernent vertritt die hauptamtliche Spitze.“ So titelte diese Zeitung vor elf Jahren, als der SPD-Mann für wenige Tage Regisseur im Rathaus sein durfte. Auch wenn er nur eine Vertretung war und die SPD nach dem Krieg niemals ernsthaft am festen Chefsessel schnuppern durfte, so hat Müssig doch für die Stadt viel geleistet und einige Spuren hinterlassen. Entsprechend groß ist nun die Trauer in Politik, Kultur und Kirche, seinen drei Steckenpferden, über den Tod Müssigs. Im Alter von 79 Jahren ist er vor wenigen Tagen gestorben. Die Trauerfeier ist am Donnerstag, 14. September, um 11 Uhr in der evangelischen Paulusgemeinde.
„Ich bin für alle da“: 23 Jahre Stadtrat
23 Jahre war Müssig Stadtrat und als Kulturdezernent eine Marke. Respekt und Anerkennung untereinander seien im Magistrat großgeschrieben, hatte er mal berichtet. Die Arbeit sei immer kollegial. Aus seiner Offenheit gegenüber anderen politischen Farben machte er nie ein Geheimnis. „Ich bin für alle da“, sagte er über sein Ehrenamt jenseits des roten Parteibuchs, das bei Müssig ohnehin eine blaue Farbe hat. Er bezeichnete sich einmal als „mü So“, als „müden Sozialisten“. Er sei „nie so ein Ideologe“, sondern Realist gewesen. So hielt er es mit Willy Brandt, sich Mehrheiten zu suchen, in dem sich die SPD anderen Parteien zuwendet.
Vor allem seine freundschaftliche Nähe zur CDU war bekannt, weshalb in Kelkheim immer mal wieder über große Koalition gesprochen wurde. So wird er sich gefreut haben, dass Union, seine SPD und FDP sich nach der Kommunalwahl 2021 zusammenschlossen - auch wenn Müssig in diesem Moment sein Amt aufgab. Doch seine Verdienste wurden deutlich, als ihn die Wähler von Position 27 auf 18 nach vorne schoben. Sein Rat war danach noch gefragt. Bis zum Frühjahr 2023 war er im Parteivorstand.
Als Bürgermeister seine Brötchen verdienen - das wollte der ehemalige Oberstaatsanwalt nie. Dieser Job sei ihm zu sehr mit einem Schleudersitz vergleichbar. Er habe die Politik „immer als Hobby gesehen“, sagte er mal im Gespräch. In Schlangenbad geboren und in Höchst aufgewachsen, trat Müssig 1964 in die Partei ein, seine Eltern hätten ihn schon sozialdemokratisch geprägt. Ein Schulfreund fragte, ob er nicht in Kelkheim - wo er seit 1957 lebte - die Jusos mitgründen wollte. So fing er 1966 dort an und hätte schon zwei Jahre später ins Parlament einziehen wollen. Doch da junge Leute damals erst mit 25 wählbar waren, musste sich der 24-Jährige etwas gedulden, bevor er von 1972 bis 1985 in die Stadtverordnetenversammlung einzog. „Ich gehöre aber zu denen, die eine Auszeit genommen haben“, erklärte Müssig. In der Politik sei nach langen Jahren vieles zur Routine geworden - während die Bürger die Dinge oftmals ganz anders sähen, wusste der Sozialdemokrat. Habe er den Plenarsaal verlassen, „kam der raue Wind der Wirklichkeit auf mich zu“, begründete er die Entscheidung, Abstand gewinnen zu wollen.
Doch 1995 machten die Sozialdemokraten den Vater einer Tochter und zweifachen Opa zum Parteichef. Ins Parlament wollte er aber nicht zurück, lieber in den Magistrat - „um zu sehen, wie etwas entschieden wird“. Er wurde 1998 Kulturdezernent - für den Hobbymaler, der mit farbintensiven Bildern gerne positive Atmosphäre verbreiten möchte, ein Glücksfall.
Gerne mochte er auch kulinarische Genüsse oder unterstützte seine Frau Heide in Verwaltungsfragen der Paulusgemeinde, wo sie schon mehr als 30 Jahre im Kirchenvorstand sitzt. Sein Nachfolger als Vertretung im Rathaus, bevor der Erste Stadtrat wieder eingeführt wurde, war übrigens Wolfgang Männer. Der sah sich passend zu Müssig als „schwarzer Bürgermeister“ und ist im vergangenen Jahr gestorben. Mit Wolfgang Zengerling, Othmar Nicolaus und Claus-Jürgen Lehming starben weitere Granden. Eine Reihe von schmerzlichen Verlusten in der Kelkheimer Politik.
„Humorvoll“ und nie „unter Gürtellinie“
Das sehen auch Bürgermeister Albrecht Kündiger und Michael Hellenschmidt so. Der heutige SPD-Partei- und Fraktionschef hat Müssig im Krankenhaus kennengelernt. In langen Gesprächen habe er dort viel über die Partei und die Stadt erfahren und danach die Treffen der Genossen besucht. Müssig sei „unfassbar humorvoll“ gewesen, „sachlich orientiert“ und „nie unter der Gürtellinie“. Er habe auch nie gefragt, welche Partei jetzt einen Antrag unterschrieben hatte, „Hauptsache, das Richtige passierte“. Sachlichkeit statt Polemik - so war dessen Credo, betont Hellenschmidt.
Bürgermeister Kündiger kennt Müssig schon lange und schätzt ihn als „sehr engagierten Politiker, der sich um die Stadt verdient gemacht hat“. Er habe auch „in schwierigen Zeiten die Position der SPD hochgehalten“ und als Dezernent sehr eng und gut mit dem Kulturreferat im Rathaus zusammengearbeitet. Zudem war er lange im Aufsichtsrat der Stadthallen GmbH, habe sich für die gute Stube eingesetzt.