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Kelkheim: Von "Treffern" und "Fehlschüssen" der Jäger

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Von: Frank Weiner

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Leser kritisiert Vorgehen der Schützen deutlich - Verantwortliche stellen klar: Laien lässt hier keiner ran.

Kelkheim. "Bei einer Drückjagd wird das Wild mit Hunden und Treibern vorsichtig aus der Deckung gedrückt, ohne es zu sehr zu treiben. So können die Tiere sicher und tierschutzgerecht erlegt werden." So hat die Stadt eine Drückjagd im Schmiehbachtal Ende November angekündigt. So wie viele ähnliche Aktionen zuvor bereits. Doch dieses Mal sind die Sätze Kreisblatt-Leser Gerhard Schuler nicht entgangen. "Mit einer die grausame Wirklichkeit verklärenden und verharmlosenden Jägerprosa" habe die Stadt auf die Drückjagd hingewiesen. Schuler hat dazu viel recherchiert und einen Beitrag der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz gefunden. Bewegungsjagden auf Schalenwild würden kritisch diskutiert, heißt es. Da das Wild in Bewegung sei, seien bei ungünstigen Schusswinkeln "tödliche Treffer viel schwieriger als bei stehendem Wild anzubringen". So sei bei Drückjagden auf Schwarzwild in Hessen nur etwa ein Drittel der Tiere mit Blattschuss erlegt worden.

Diese Zeitung wollte vor einer Veröffentlichung der deutlichen Worte Schulers erst den Verantwortlichen die Chance einer Stellungnahme geben. Der Kelkheimer hat noch seine persönliche Sicht der Dinge klar gemacht (Lesermeinung rechts). Auf Anfrage kann Bürgermeister Albrecht Kündiger berichten, dass die Stadt bisher keine Kritik zu den angekündigten Jagden erhalten habe. Zuständig im Magistrat und Vorsitzender der Jagdgenossenschaften ist Stadtrat Wolfgang Zengerling. Für ein Gespräch zum Thema trommelt er weitere Experten zusammen: Peter Wittekind, seit mehr als 20 Jahren der Jagdpächter in Fischbach, zudem Stellvertretender Kreisjagdleiter, sowie Karl Roth, der schon gut 50 Jahre die Jagdpacht in Hornau hat.

"Das wird sehr ernst genommen und nicht lapidar behandelt", sagt Wittekind allgemein zum Thema. "Wir wollen ja nicht, dass hier leichtfertig mit den Wildtieren umgegangen wird", ergänzt Zenglerling und betont: "Das ist keine Juxplatz-Veranstaltung." Die Fachleute listen auf, wie sie vorgehen und welche Voraussetzungen Plicht sind. So muss jeder Jäger seinen Schieß-Nachweis erbringen, der auch Hessen Forst vorzulegen ist. Dafür gebe es spezielle Schieß-Kinos, in denen jeder Schuss genau analysiert werde, berichtet Wittekind. "Wir üben so lange, bis es vernünftig ist." Der Kreis stellt zudem Jagdscheine aus, 776 sind es aktuell. Dann sind da die Hunde, die das Wild "in Bewegung bringen", ihm aber nicht ständig hinterher jagen sollen, so der Fischbacher. Gemäß Hessischem Landesjagdgesetz seien "brauchbare Jagdhunde" zu verwenden. Sie müssten eine Prüfung ablegen und ebenso wie die Jäger auch immer wieder erneuern.

Das beste Schieß-Team mit Nachweis wird ausgewählt

Zur Jagd selbst laden die Verantwortlichen nur ihnen bekannte Kollegen oder solche mit Nachweis ein. "Und nicht, weil jemand vielleicht Bankdirektor ist", verdeutlicht Wittekind. Er hat zuletzt eine Jagd in Fischbach organisiert - kein einziges Wildschwein wurde erlegt. "Wir wollen die Tiere sauber schießen. Oder sagen: ,Heute hat es nicht gepasst'." Kollege Roth hatte für die von Schuler kritisierte Jagd im Schmiehbachtal 16 von ihm ausgewählte Schützen dabei. Sie werden im deutlichen Abstand postiert - nur wer ein gutes Schussfeld hat, soll auch abdrücken. Oft sei es so, dass die Wildschweine sich wieder in Sicherheit wiegen und gehen oder stehen - die besten Chance für den nötigen Blattschuss.

Dazu wiederum hat Leser Schuler recherchiert: Die Stuttgarter Organisation "Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg" berichte, bei Drückjagden seien in der Regel nur 25 bis 40 Prozent der abgegebenen Schüsse tödliche Treffer. Den übrigen Tieren werde entweder der Kiefer weggeschossen, ein Bein zersplittert; andere würden durch Bauchschuss oder am Rückenmark verletzt. Bis zu drei Viertel der Tiere litten starke Qualen.

Das Trio will das nicht kommentieren. Sie unternehmen aus ihrer Sicht alles für den optimalen Moment. Im Schmiehbachtal seien 16 Schuss bei 16 Treffern abgegeben worden, betont Roth. Die Fehlschuss-Quote sei niedrig. "Das ist ja auch in meinem Interesse", so der Verantwortliche. Sollte sich ein Tier nach dem Schuss bewegen, werde dem nachgegangen, die Jagd unterbrochen. Nicht ins Visier genommen werden führende Bachen und Frischlinge unter 10 Kilogramm.

Wie Roth weiß, hätten die Bürger im Schmiehbachtal die Jagd begrüßt. Denn Ziel ist es, die zunehmende Wildschwein-Population einzudämmen. Waren es im Hegering I mit Hofheim, Epstein und Kelkheim 1979 noch 15 erlegte Tiere und damit 0,3 pro Hektar Waldfläche, so stieg diese Zahl auf 652 tödliche Schüsse und 13 Schwarzkittel pro Areal, berichtet Wittekind. Die drei Fachleute wissen, dass die Wildschweine wegen fehlender Nahrung im Wald an die Häuser kommen. In Fischbach wurden zuletzt der Bolzplatz und die Wiese am Gimbacher Friedhof verwüstet, bis auf wenige Meter an den Ortskern seien sie rangerückt, so Wittekind. Hasen gebe es auch, würden aber in Ruhe gelassen. Zengerling moniert, dass Wildsachweine sogar angefüttert werden. Und dass im Feld oft die Hunde ein viel größerer Feind seien. So will der Stadtrat vor allem für die Brut- und Setzzeit nun eine Leinenpflicht durchsetzen.

Lesermeinung: "Auch Wildtiere haben eine Würde"

Zuschrift zur Notiz "Drückjagd im Schmiehbachtal", HK, 20. November.

Seit Tagen bewegt mich das Foto eines sterbenden Rehs mit zerschossenem Unterkiefer und zerfetzter Nase. Ein Bild des Elends und des Schmerzes. Es ist nicht das Ergebnis einer krankhaften Phantasie, sondern ein erschütterndes Dokument brutaler Realität. Woher nehmen Jäger das Recht, so mit wildlebenden Tieren umzugehen? Es handelt sich um Lebewesen, die Schmerzen und Angst empfinden, nicht um regungslose Pflastersteine. Wildtiere dürfen keine lebendigen Zielscheiben für "Hobby-Jäger" sein. Daher hat das Tierschutznetzwerk "Kräfte bündeln" von den Arbeitsgruppen der Berliner Koalitionsverhandlungen folgerichtig ein Verbot der Jagderlaubnis für "Hobby-Jäger" gefordert.

Das Foto steht in keinem Bezug zur Drückjagd im Schmiehbachtal. Dennoch: Es erinnert an einen heiklen problematischen Aspekt der Jagd, der dringend einer kritischen Aufmerksamkeit sowie selbstkritischer Reflexionen und Einsichten bedarf. Das Foto ist kein Unikat, kein Zufallsdokument. Diese Tatsache wird durch Zahlen vom Arbeitskreis Wildtiere und Jagd der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz zu "Tierschutz und Bewegungsjagden" unterstrichen. Die Autoren heben hervor, dass unter Tierärzten, die als Jäger und im Tierschutz aktiv sind, "die zunehmende Tendenz zur Durchführung von Bewegungsjagden auf Schalenwild aufgrund der Tierschutzrelevanz kritisch diskutiert wird". Da das Wild in Bewegung sei, seien bei ungünstigen Schusswinkeln "tödliche Treffer viel schwieriger als bei stehendem Wild anzubringen". So sei bei Drückjagden auf Schwarzwild in Hessen nur etwa ein Drittel der Tiere mit Blattschuss erlegt worden. Der Rest habe Keulen- oder Laufschüsse aufgewiesen. Bei 30 Prozent des männlichen Rehwilds und etwa 60 Prozent der weiblichen Tiere fanden sich Bauchschüsse. Von dem Philosophen und Tierrechtler Tom Regan stammt der Satz: "Die Art, in der wir mit Tieren umgehen, ist ein Symptom einer grundlegenden, systemischen Krankheit unserer Kultur." Jäger sollten darüber nachdenken - und es nicht dabei bewenden lassen. Auch Wildtiere haben eine Würde und unverletzliche Rechte.

Gerhard Schuler , Kelkheim

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